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CHINESISCHES INTERMEZZO

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Wir folgen Pater Teilhard nicht bis in die Einzelheiten einer Reisen und wissenschaftlichen Arbeiten; wir interessieren uns ja hauptsächlich für seine geistige Entwicklung. Er fühlte den Aufenthalt in China zuerst als eine ihm auferlegte Prüfung; nach Paris mußte ihm Tientsin ja auch wirklich ziemlich eintönig scheinen, und hätte er nicht Reisen in die Mongolei unternehmen können, so wäre er recht unglücklich gewesen. Er studiert die fossilen Reste gewisser kleiner Nagetiere, der Sipneiden; er kann ihre Entwicklung in einem Terrain verfolgen, das während einer langen geologischen Periode erstaunlich unverändert geblieben war; aus seinen Beobachtungen zieht er den Schluß, daß die Evolution in einer bestimmten Richtung vor sich geht. So findet er einen für ihn wesentlichen Begriff, nämlich den der Orthogenese; damit will er sagen, daß die Evolution nicht dem Zufall unterworfen ist, sondern immer in ein und derselben Richtung weitergeht. Das Innere Chinas, das zu dieser Zeit noch wenig bekannt war, erregt seine Neugier. Aber nicht das Malerische zieht ihn an, sondern das verborgene Leben der Seelen. Ist es denn möglich, alle diese Wesen zur Einheit zurückzuführen? Wie sollen denn Seelen, die von den unseren so grundverschieden sind, in einem gemein-

samen Zentrum konvergieren? Wieviel Arbeit ist da noch zu leisten! Machen die Missionäre ihre Sache gut? Ist ihr Christentum nicht zu eng, zu abendländisch,, zu starr? Gäbe es nicht auch reichliches Gut aus dem Buddhismus zu gewinnen? „Dieser Kopf gefällt mir“, meinte er vor einer Buddhastatue. „Er sagt mir, daß es da etwas gibt, was sich das Christentum zu eigen machen sollte.“ Er möchte das Christentum seines ererbten ,,Mittelmeer“-Charakters entkleiden und ihm universale Dimensionen geben, damit es allen Völkern der Erde zugänglich sei. Das Wesentliche des Evangeliums enthält eine „kosmische“ Botschaft, wir aber haben es infolge jahrhundertelanger Kleinlichkeit „mit Bändern umwickelt wie eine Mumie“.

Dabei ist zu sagen, daß die orientalische Geistigkeit an sich Pater Teilhard nur wenig zusagte. Sie predigt ja die Abwesenheit von der Welt, die Befreiung durch die Auflösung des Ich, die Seligkeit durch die Ablehnung des irdischen Lebens.

Er tröstet sich mit der Niederschrift von geistlichen Betrachtungen, wie zum Beispiel seine „Messe über die Welt“, die er in der Grdos-Wüste schrieb, als er zur Meßfeier weder Wein noch Hostie hatte. Doch er erhebt zu Gott die unermeßliche Hostie des Wirklichen und opfert ihm „auf dem Altar der ganzen Erde die Arbeit und das Leid der Welt“. Da er nichts veröffentlichen darf, schreibt er inhaltsreiche Tagebücher und verfaßt kleinere Abhandlungen, wie zum Beispiel „Mein Universum“, wo er sich bemüht, die wichtigsten Ergebnisse seiner Forschung zusammenzustellen. Seine Betrachtungen richten sich immer an den kosmischen Christus, den Erlöser, dessen Geburt innerhalb der Geschichte stattfand und der sich in Jesus offenbart hat, doch dessen Gegenwart und Wirken in der ganzen Folge der Zeiten wahrzunehmen sind.

Die unausdenkbare Dauer, die der ersten Weihnacht vorausgeht, ist nicht leer von Christus, sondern durchdrungen von seinem mächtigen Einfluß Alle diese Vorbereitungen waren kosmisch und biologisch nötig, auf daß Christus Fuß fasse auf der Bühne der Menschheit. Und diese ganze Arbeit wurde durch das tätige und schöpferische Erwachen seiner Seele in Bewegung gesetzt, insofern diese menschliche Seele zur Belebung des Universums auserwählt war. Als Christus in Mariens Armen erschien, hatte er eben die Welt auf eine höhere Stufe erhoben.

Es bedurfte der Entdeckungen der modernen Wissenschaft, der ungeheuren Rückblicke in Zeit und Raum als Bedingungen der Geologie und der Astronomie, um Christus solche Dimensionen zu verleihen. Auch die glühenden Mystiker hatten sich bisher niemals zu solchen Geschichten erheben können, blieb doch ihre Einbildungskraft auf die beschränkten Funktionen verwiesen, die ihren Begriffen entsprachen. „Wenn die Welt so fürchterlich weit und mächtig wird, so ist eben Christus noch viel größer, als wir dachten.“ Der Kontrast zwischen den Bildern, die uns das Mittelalter vererbt hat, und den Anschauungen, die den modernen Entdek- kungen entsprechen, die Tatsache, daß im selben Bewußtsein zwei „Maßstäbe“ von so verschiedener Größe nebeneinander existieren, waren Teilhard, dem Forscher, aber auch dem Mystiker, unerträglich. So ging sein beständiges Streben danach, beide Bilder einander zu nähern und in Zusammen-

hang zu bringen. Die Feststellung, daß eine solche Annäherung nicht nur möglich sei, sondern sogar beide Teile „überaktiviere", war das große Glück seines Lebens.

Sobald man das Christentum nicht mehr isoliert und es nicht zu dem, was in Bewegung ist, in Gegensatz bringt, sondern es entschieden an die Welt in Bewegung „anschließt“, findet es sofort und vollkommen seine ursprüngliche Kraft wieder und wird fähig, alles zu beleben und für sich zu gewinnen, mögen auch unsere modernen Heiden meinen, es sei veraltet und überholt schrieb er am Ende seines Lebens. Anderseits nimmt das Universum im Kontakt mit den wesentlichen und „kosmisch notwendigen" Elementen des Christentums eine erhebende Bedeutung an, da sein Fortschritt uns zum Geist emporträgt.

Im großen und ganzen hat Pater Teilhard unter seinem Aufenthalt in China ziemlich gelitten. Am Ende schien er gealtert und ermüdet; seine Zukunft lag noch im Dunkel. Mit Pater Licent lebte er nicht im besten Einverständnis; seine Pariser Lehrkanzel war ihm entzogen worden; seine Schriften wurden nicht gedruckt. Immer mehr versenkte er sich in sich selbst, auf der Suche nach jenem inneren Licht, das ihn für Augenblicke erleuchtete gleich einer Offenbarung. Auf dem Deck des Schiffes, das ihn nach Frankreich zurückbrachte, schrieb er:

Einst ließ das Licht für mich die Oberfläche aller Dinge erglänzen und alles war mir sogleich Genuß. Jetzt hat es sich förmlich verkrochen. Die farbige Hülle macht mich so traurig, daß ich weinen könnte. Was ich liebe, ist unsichtbar.

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