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Christ in der Gegenwart

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Das Christentum als Lehre vom Kreuz ist jeweils nur von wenigen Begnadeten begriffen worden, die entsprechend verkannt wurden. Für die große Masse war es immer der Begriff des äußeren und inneren Wohlstande, der belohnten und lohnenden Tüchtigkeit, aus dem heraus die Begriffe „Gut“ und „Böse“ dann jenen üblen Beigeschmack gewannen, der leicht eine ins Psychologische gehende Philosophie dazu verleiten konnte, die Begriffe selbst anzugreifen und mit ihnen ihre Basis: die Offenbarung.

Es ist der Irrtum, sich im Überkommenen, ohne Kampf Wohlsein lassender Gläubigen, die Angriffe auf die Kirche mit empörter Miene oder einem Achselzucken abtun zu dürfen, statt sich zu fragen, inwieweit der Gläubige schuld ist, das Erhabene, Göttliche, das auch der Ungläubige mit seinem Ideal nur meinen kann, da es nur das eine gibt, in solcher Weise ins Menschliche gezogen zu haben, daß ein so schneidender Angriff Wirkung —. und langdauernde Wirkung — hat. Es ist verständlich, daß Männer, die auf ihren Wegen mit allen Waffen des Geistes und der Selbstzucht um die Wahrheit ringen, sich empören über einen wohlgenährten Katholiken oder gar Ordensmann, der zufrieden die Hände über sein Bäuchlein faltet und behauptet:- Ich habe sie! Oder über diese und jene Schwäche, die ja im Grunde immer dieselbe ist: daß das Christentum nicht als Wagnis aufgefaßt wird, sondern als Bequemlichkeit, nicht als Selbstaufgabe, sondern als Eigennutz. Nicht als Mysterium, sondern als Gebrauchsobjekt, eine Sache „von der Stange“, voller Zugeständnisse an die menschliche Schwäche, Armseligkeit und Gemeinheit.

Ist aber die Kritik verständlich, so gilt es, sich solche Kritik zunutze zu machen und durch Erkenntnis der eigentlichen Grundlagen ofes Christentums sowohl die Kritik zu vernichten als das, was die Kritik angreift. Es ist weit weniger eine Beleidigung Gottes, die Mißstände zu sehen als die Mißstände nicht abzustellen — oder doch den Versuch dazu zu machen, der die täglich neue Wandlung des Sinnes auf Gott zu ist. Freilich übernimmt Gott selbst zumeist solche von Zeit zu Zeit notwendige Reformationen, indem Er ein reinigendes Gewitter über die Erde schickt, in dem die satte Alltäglichkeit zerschlagen und das Wesentliche vom Beiwerk gereinigt wird. Für die Sattheit des „letzten Menschen“ ist heute kein Raum mehr, nachdem die ganze Welt in Furcht vor dem Hunger ist. Und die Gedankenlosigkeit von Gebeten hebt die Angst der Menschenherzen genau so wenig auf, wie die hungernde Menschheit von wohlgeschliffenen Versen, hinter denen die Wahrheit nicht steht, nicht satt wird. Das Leben als solches aber steht, inner- wie außerhalb der Klöster, täglich auf des Messers Schneide — und den • Typ des selbstzufriedenen Katholiken gibt es derzeit so wenig wie den des zufriedenen Menschen überhaupt. Alle Unechtheit ist zerbrochen. In der Not bleibt nur das Echte und Ewige bestehen. Es sind die Litaneien und Gebete der Kirche. Es ist das mysterium fidei, aus dem auch die menschliche Schwäche, Armseligkeit und Gemeinheit Leuchtkraft erhält.

Ein Rosenberg, der mit schneidender Zunge und aus unsauberen Quellen das Christentum angreifen und vernichten zu können meinte, gibt zu, vielleicht etwas allzu schneidig gewesen zu sein. Und all diese und jene Krakeeler sind still geworden vor den leisen Kräften, die doch so gewaltig sein können, daß sie Völker zerstampfen wie man die Kelter tritt.

Nun aber bleibt das eine: Gott. Eine kahle Kammer mit dem Zeichen des Kreuzes. Ein bißchen Freude an der Sonne, am Werden des Frühlings. Es bleiben Liebe und Glaube und Hoffnung und Ehrfurcht. Es bleiben die einfachen Dinge — und das Leid. Es bleibt das Aushalten und Durchhalten und Tragenkönnen. Wir haben das immer alles so leicht genommen — oder so schwierig. Wir sind betriebsam gewesen und tüchtig. Es war alles wohl geordnet um uns. Nun hat Gott uns das weggenommen. Die schneidigen Angriffe und den Wohlstand, das „Jenseits von Gut und Böse“ und. das„ was $vir aus „Gut“ und „Böse“ gemacht haben. Wir können nicht mehr dahergerauscht kommen mit unserer Erhabenheit und mit unserer Sattigkeit und all unserem Ich. Aber vielleicht können wir wieder in die Kirche gehen — die, die es früher nicht taten, und die anderen, die es früher taten wie eine Steuer oder eine Lebensversicherung, die man dem Herrgott zahlt. Vielleicht können wir alle nun alles so tun, wie es gemeint und wie es eigentlich ist. Und das Eigentliche ist im Anfang und im Ursprung gelegen. Vielleicht kann es sein, daß wir nun wieder dem guten Hirten nachfolgen und einmal begreifen, was die „Nachfolge Christi“ eigentlich bedeutet.

Die aber ist eben nicht das gefahrlose „In-der-Herde-Laufen“, sondern das gefahrvolle Dortsein, wo der Wolf einbrechen will. Es ist das mühselige Steigen hin zur himmlischen Au, nicht das behagliche Sichsättigen in der Ebene. Es ist das Gehören zum himmlischen Stamm, zum auserwählten Volk. Es ist das Zählen zur Minorität, nicht zur Masse. Es ist der Gang durch die schmale Pforte und durch das Nadelöhr, durch das der Reiche nicht kommt. Es ist revolutionärer als jede politische Revolution, denn es packt den Menschen von A bis Z — in allen seinen Belangen. Es bleibt nichts übrig von ihm als Er, der Herr ist über die Schafe. Immer wieder wird es nicht weitergehen wollen in diesem neuen Leben — und doch geht es weiter. Immer wird ihm die Kraft versagen — und sie wird ihm von oben gegeben werden. Und er wird einen mühsamen Atem haben — und doch einen längeren und tieferen als er jemals besaß. Er wird nichts mehr sein — und doch der neue Mensch sein, der alles beurteilt, selbst aber von niemand beurteilt werden kann, weil er ein Mensch des Geistes ist.

Das ist die Nachfolge Christi, wie sie in vielen Büchern verzeichnet ist und wie sie doch so selten im Leben begriffen wird: der Weg des Kreuzes. Unsere Zeit, über der das Kreuz steht, wird den neuen Menschen des Kreuzes bilden: armselig, zerschlagen und groß. Immer in Ängsten und doch voller Kühnheit. Von großer Schwäche und unüberwindlich stark. Mit tausend Tränen — und voll des goldenen Lachens. Ganz altmodisch — und viel neuer als neu. Gehaßt — und liebend, verachtet und voll des Segens, unwissend und aller Weisheit voll. Unschön — und von höchster Sdiön-heit. Ein Sünder — und strahlend rein. Ein gewöhnlicher Mensch innerhalb des Gesetzes — imd Übermensch jenseits von Gut und Böse im Lichte dessen, vor dem die Engel sich neigen in demütigem Stammeln: „Heilig bist Du!“

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