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Christen auf der Suche nach Heilung

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Am Montag beten sie in einer Pfingstkirche um Heilung, am Dienstag um finanziellen Erfolg; und am.Sonntag kommen sie zur katholischen Messe. Der südafrikanische Theologe Stuart Bäte im Fl RCHE-Gespräch über Christen in seinem Land. .

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Am Montag beten sie in einer Pfingstkirche um Heilung, am Dienstag um finanziellen Erfolg; und am.Sonntag kommen sie zur katholischen Messe. Der südafrikanische Theologe Stuart Bäte im Fl RCHE-Gespräch über Christen in seinem Land. .

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DIEFURCHE: Welche Rolle spielt die katholische Kirche in Südafrika angesichts eines wachsenden religiösen Marktes? Ist sie nur mehr ein religiöses Angebot unter vielen3 Stuart C. BatK: Das Bild vom „religiösen Markt” drückt gut aus, wie sehr westliche Konsumorientierung auch das religiöse Leben bestimmt. In Südafrika stimmt das jedoch nur für einige Menschen, denn in unserem Land gibt es viele verschiedene Kulturen; Religion ist dabei ein eigener Wert. Ein Beispiel: Viele Schwarze sind deswegen katholisch geworden, weil ihnen Priester lnd verschafft haben. Schwarzen war es nämlich verboten, Land zu besitzen. Auf diese Weise wurden sie schrittweise zu Landbesitzern, so entstanden ganze „katholische” Stämme mit einer speziellen Verbindung zur Kirche. Diese Menschen haben ihre Kultur geändert. Kirche ist hier nicht als religiöser Anbieter zu verstehen, sondern zum Teil ihrer Identität geworden.

DIEFURCHE: Die katholische Kirche hat - wie die anderen traditionellen Kirchen-Mitgliederverloren, Neue, zum Teil charismatische Kirchen wachsen jedoch stark (Anm: siehe Statistisches). R\tk: Man muß zwischen den unabhängigen afrikanischen Kirchen unterscheiden, die nicht mehr so stark wachsen, und neuen Pfingstkirchen, die von Amerika beeinflußt sind. Eine davon ist die in Brasilien gegründete „Universale Kirche des Gottesreiches”, welche zur Zeit besonders große Zuwächse hat. Allen gemeinsam ist, daß sie charismatischer sind als die katholische Kirche; sie stillen die Bedürfnisse der Menschen auf sehr konkrete und einfache Weise und machen Transzendenzerfahrungen möglich. Die katholische Kirche hat nicht genügend auf diese Bedürfnisse reagiert und sich zu sehr an ihre Traditionen geklammert oder ist zu stark eine soziale Diskussions- und Aktionsgemeinschaft geworden. Diese Dimension der Volksfrömmigkeit hat sie vernachlässigt.

DIEFURCHE: Fordern diese neuen Kirchen die katholische Kirche so heraus, daß sie sich ändert? BATK: Leider nicht. Die meisten Katholiken denken, es handle sich dabei nur um wenige Menschen. Es ist jedoch eine Tatsache, daß viele woanders hingehen. Dadurch entsteht der Eindruck des religiösen Marktes. Viele dieser Menschen bleiben aber auch ”katholisch. Sie kommen am Sonntag zum katholischen Gottesdienst, während der Woche gehen sie aber beispielsweise zur „Universalen Kirche des Gottesreiches”: Dort wird am Montag für Heilung, am Dienstag für finanziellen Erfolg, am Mittwoch für die Kranken gebetet. Die Katholiken gehen dann dorthin, wenn für ihr spezielles Bedürfnis gebetet wird, aber sie kommen am Sonntag wieder zu uns.

DIEFURCHE: Wie gehen Sie damit um, daß in einer Person gleich mehrere Kirchen „vereinigt” sind? Ba'I'E: Wir können von den neuen

Pfingstkirchen und den unabhängigen afrikanischen Kirchen lernen. Zum Beispiel, ob und wie man Tanz in der Liturgie einsetzt, oder ob und wie Menschen einander die Hand auflegen dürfen, sodaß sie geheilt werden. Einige dieser Elemente wurden jetzt auch in katholischen Gemeinden eingeführt. Mittlerweile gibt es bei uns monatlich eine Messe, in der „Heilung” im Mittelpunkt steht. Man versucht, neue Wege zu gehen. - Ein anderes Thema ist die Musik, die für Schwarze eine Selbstverständlichkeit ist. In westlichen Kirchen ist die Verwendung von Musik als Weg zur Transzendenz verkümmert. Daher gibt es jetzt in den westlichen Kirchen Versuche, Musik so zu spielen, daß sie heutige Menschen verstehen.

DIEFURCHE: Welche Rolle spielen traditionelle Glaubensvorstellungen wie Heilungs- oder Ahnenkulte? batk: Europäer glauben oft, daß die Menschen in Afrika auf dem Land leben und Ahnenkult betreiben. Das trifft auf einige Länder Afrikas zu. Aber in Südafrika ist die Hälfte der Menschen westlich orientiert. Natürlich gibt es alte Traditionen, die das Leben der Menschen beeinflussen. Christen sollten auch mit diesen Traditionen in einen Dialog treten. Früher wurden solche Themen nicht diskutiert, sie galten als heidnisch und tabu. Man konnte nicht gleichzeitig ein traditioneller Heiler und ein Katholik sein. Aber diese Themen werden zunehmend wichtiger. 40 Jahre lang wurde in Südafrika nur über Apartheid und Rassismus gesprochen. Wir hatten keine Zeit uns anderen Fragen und Themen zu stellen.

DIEFURCHE: Während der 70er und 80er Jahre spielte die kontextuelle Theologie, die südafrikanische Spielart der Befreiungstheologie, eine entscheidende Rolle. Gibt es heute einen neuen theologischen Ansatz? batk: Die kontextuelle Theologie spielt immer noch eine entscheidende Rolle. Sie sucht nach den Zeichen des Geistes in dem Milieu, in dem wir leben. Eine wichtige Entwicklung auf diesem Gebiet ist, das Entstehen der neuen Kirchen von möglichst vielen Perspektiven aus zu betrachten - psychologisch, anthropologisch, naturwissenschaftlich-medizinisch. Über diese Inhalte kann dann theologisch nachgedacht werden. Theologen tun das zur Zeit nicht; sie schauen bloß darauf, was die Bibel und die Tradition zu sagen haben. Oder sie beurteilen ein Phänomen aus der Sicht einer Philosophie, meistens aus der marxistischen. Aber das ist eine schlechte Art, Theologie zu treiben. Alles ist viel komplexer. Wenn man eine Sache von vielen Seiten betrachtet, entsteht Verwirrung. Doch darauf muß Theologie aufbauen. Man wird deshalb auch nicht zu klaren Schlüssen kommen. Wer bei dieser komplexen Wirklichkeit zu eindeutigen Ergebnissen kommt, der treibt nicht Theologie sondern Ideologie.

DIEFURCHE: Glauben Sie, daß die Situation der südafrikanischen Kirche auch Europa herausfordert? batk: Ja. Unsere südafrikanische Erfahrung ist für die gesamte Kirche wichtig. In der dunkelsten Stunde, als wir in Südafrika die Zerstörungen, die Morde und das Sterben hinnehmen mußten, als wir nicht mehr dachten, daß wir den Kampf gegen die Apartheid gewinnen, wandte sich Gott uns zu. Das ist eine christliche Interpretation dessen, was in Südafrika geschehen ist: Gott griff in die Wirklichkeit ein und brachte Veränderung zum Guten. Unsere Erfahrung ist, daß Gottes Kraft in der dunkelsten Stunde helfen kann. - Ich meine, die europäischen Kirchen bedürfen einer Volksfrömmigkeit wie dieser. Sie brauchen den einfachen Glauben an Gott, der unter uns wirkt. Diesen Glauben sehe ich zur Zeit nicht. Ich glaube, daß das die eigentliche Schwäche der europäischen Kirchen ist; sie öffnen keine Räume, wo Menschen Erfahrungen mit Gott machen können. In Südafrika sind wir in unserem Gottvertrauen und in unserer Ausdrucksweise etwas naiv; aber das kann auch segensreich sein.

DIEFURCHE: Auf der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz vor einigen Wochen wurde eine tiefe Kluft zwischen Ost- und Westkirche deutlich Wie sehen sie diese Spaltung? rath: Es ist gut, daß es Unterschiede gibt. Wir müssen nicht alle gleich sein. Aber wir müssen davon wegkommen, einen Saal zu verlassen, wenn jemand spricht, mit dem wir nicht einverstanden sind. Aber all das braucht Zeit. Was ich sagen möchte ist: Wir sollten mehr dem Geist vertrauen, der in uns wirkt, damit wir seinen oder ihren Willen erfüllen. Dann sollten wir Wege suchen, wie wir das Wirken dieses Geistes feiern können. Das geschieht einfach nicht genug.

Das gespräch führte

Otto Fredrich

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