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CHRISTINE LAVANT IN STAMBUL

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Es gibt Menschen, die man schon immer gekannt hat, deren erster Händedruck nichts Fremdes aufweist. Irgend etwas schwingt nach den ersten Worten in längst vertrauter Harmonie, so daß sie nicht ins Leere verklingen, sondern einer beredten Stille Raum geben.

Wie Christine Lavant nach Istanbul kam, weiß ich nicht. Es war bestimmt ein Fehler, sie nicht danach zu fragen. Auch wie sie ihre Tage hier verbrachte, vermag ich nicht zu sagen. Nicht, wie alt sie ist und ob es ihr gefallen hat.

Man kann mit dieser Frau kein übliches Interview machen, ihr einen gesprochenen Fragebogen vorlegen und sich dazu seine Notizen machen. Weshalb wohl nicht? Sie hat nichts dagegen, aber ihre Antwort klingt seltsam: „Ich hab’ gar nichts dagegen, denn Wissens S wenn einen die Leute erkennen, muß man’s wohl in Kauf nehmen." Dabei schauen die dunklen Augen — aber welche Farbe haben sie eigentlich, daß sie dunkel wirken? — ruhig und selbstverständlich wie immer.

„Ich mag vor allem an dem Land hier die Musik.“

Kaum noch hat man einen Europäer, der die Türkei besuchte, solche Worte sprechen hören. Klingen doch die türkischen Volkslieder und Tänze für unsere Ohren mehr als fremd, als eine nicht endenwollende Folge von monophonen Tönen, anschwellenden Klagetönen vergleichbar, die zu schrillen Halb- und Vierteltönen sich erheben, unharmonisch und monoton.

„Vielleicht sind Sie jetzt furchtbar enttäuscht, wenn ich dazu sag’, daß ich für Beethoven, Bach, Mozart und wie sie alle heißen, gar nichts übrig hab’. Es sind mir zuviel Instrumente da, ich komm’ überhaupt nicht mit, wenn ich zuhören will. Ich hör’ nur Lärm…"

Dann ist Wieder die Stille da. Ich sehe ihre Hände, wie sie auf dem kleinen Rauchtisch liegen, Hände, denen man nicht ansehen wollte, daß sie eine Feder halten könnten. Hager sind sie und abgearbeitet, arme Hände, in denen mehr von Entbehrung und Not zu lesen steht als in manchem Antlitz.

Ein Ärmel der Strickjacke hat sich verschoben und gibt den Arm bis zum Ellenbogen frei. Tiefe Narben graben sich hinein, viele nebeneinander. Es sind die Arme einer Häuslern aus dem Lavanttal, wie denn auch die ganze Erscheinung Christine La- vants irgendwie nicht herzupassen scheint in einen orientalischen Rahmen. Zu den hundertfach zitierten „nadelspitzen Minaretten“ und den Kuppeln aus Tausendundeiner Nacht. Oder irrt man sich? Ist ihr Platz nicht genauso hier, wo einfache Dörfler aus Anatolien mit ihren harten Gesichtern die Straßen und Plätze füllen, ih selbstverfertigten Wickelgamaschen, mit einem Stock und einem Bündel, darin sich ihr ganzes Hab und Gut befindet, in den Händen? In Händen, die ähnlich aussehen, wie die der Dichterin. Denn sie haben eines gemeinsam, was die Wagon-Lits-Cook-Reisenden von ihnen trennt: die Verbundenheit mit ihrem Heimatdorf, mit ihrer Arbeit…

„Aber ich hab’ die Musik gern, wie die Leute sie hier machen, und könnt’ stundenlang zuhören.“ Einige Herzschläge sinnt die Dichterin nach. Dann: „Wissen Sie. daß jedeT Vokal — und der ist ja auch Musik — seine eigene Farbe hat?"

Nein, ich wußte es nicht, wiewohl mir jeder Ton einer Farbe zugeordnet scheint.

Oder… ? „Ist ein U blau?“ fragte ich da plötzlich und weiß, daß ich es nun auch gefunden habe.

Christine Lavant nickt. „Und das O ist schwarz.“

Sie hat recht, o ist schwarz, wenn ich auch nicht folgen kann, als sie a für silbergrau anspricht — ich hätte es für rot gehalten — und i für rot.

„Die türkische Sprache ist in meinen Augen eine Harmonie von Lila, Gelb und Honigbraun.

Welche Anregungen für ihr späteres Schaffen mochte Christine Lavant von hier mitnehmen?

„Keine. Reisen ändern da gar nichts. Entweder komm ich in den Zustand, daß ich schreiben kann und muß, oder nicht. Da ist’s dann ganz egal, ob ich in St. Stefan bin oder in Istanbul."

„Aber Goethes italienische Reise? Hat er nicht… ?"

„Goethe ist ganz wer anderer. Der hat auch Gelegenheitsgedichte gemacht. Das kann ich nicht, und die Leut’ machen mich unglücklich, wenn s’ von mir verlangen, daß ich ihnen ein Gedicht irgendwohin schreiben soll. Da nimm ich halt eins, was ich noch halbwegs auswendig im Kopf hab — denn ich kann’s einfach nicht.“ Es klingt nur deshalb so natürlich und unmittelbar, wejl Christine Lavant im „Lofntoler“ Dialekt spricht, sie hat überhaupt kein Pathos.

„Das letzte hab’ ich vor mehr als einem Jahr g’schriebn. Seither nichts. Und ich weiß auch gar net, ob ich überhaupt noch was schreibn werd’ können. Das kann ma nämlich nie sagn.“

Dieses Gespräch fand am gleichen Tag statt, da die Schönheitsköniginnen Europas — ein Dutzend oder mehr — von der türkischen Presse mit zollgroßen Lettern und verheißungsvollen Photos begrüßt wurden. Von Christine Lavant hatten sie keine Notiz genommen…

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