Weihnachten Auto - © Foto: Pixabay

Christine Nöstlinger: "Ans Christkind habe ich nie geglaubt"

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Christine Nöstlinger über Weihnachten, taxelnde Volltrottel, ihre Angst um das rote Wien, Political Correctness und den Unterschied zwischen Frechheit und Renitenz.

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Christine Nöstlinger über Weihnachten, taxelnde Volltrottel, ihre Angst um das rote Wien, Political Correctness und den Unterschied zwischen Frechheit und Renitenz.

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Nebenan liegt die Bäckerei "Gül", unten ist ein Geschäft mit russischen Spezialitäten und hoch oben, in einer modernen Dachgeschoßwohnung in Wien-Brigittenau, lebt Christine Nöstlinger. Am 13. Oktober ist Österreichs bedeutendste Kinder- und Jugendbuchautorin 80 Jahre alt geworden. Seither ist viel passiert. Ein Weihnachtsgespräch.

Die Furche: Ich muss mit einem Geständnis beginnen: Als Kind habe ich kein einziges Buch von Ihnen lesen dürfen, das war alles viel zu renitent und unchristlich. Bücher von Mira Lobe gab es aber schon.

Christine Nöstlinger: Die Mira war doch um nichts christlicher als ich! Aber naja, natürlich hat es damals Anfeindungen gegeben

Die Furche: Jetzt nicht mehr?

Nöstlinger: Nein, im Gegenteil wird mir versichert, dass ich die christlichen Werte hochhalte. (lacht)

Die Furche: Welche? Freiheit, Gleichheit, Solidarität?

Nöstlinger: Ja, außerdem scheren sich heute nicht mehr so viele Menschen um Kinderbücher. In den 1970er-Jahren war das anders.

Die Furche: Immerhin wird heute im Internet noch vor Ihren "Weihnachtsgeschichten vom Franz" gewarnt, weil Sie darin gnadenlos Tacheles reden. "Der Weihnachtsmann in der Familie vom Franz ist die Mama", heißt es da. War Ihnen bewusst, dass das manche Eltern in Erklärungsnotstand bringt?

Nöstlinger: Ich nehme doch nie Rücksicht auf Eltern, ich nehme nicht einmal Rücksicht auf meine Leser. Mir fällt eine Geschichte ein, das ist mühselig genug, und ich versuche die Geschichte möglichst echt zu beschreiben. Wenn es Kindern dann gefällt, soll es mir Recht sein, wenn nicht, naja, dann werden sie das Buch zuklappen.

Die Furche: Mögen Sie selbst eigentlich Weihnachten?

Nöstlinger: Das ist für mich überhaupt kein spezieller Termin. Ich habe zwei sehr erwachsene Töchter: Die eine mag Weihnachten nicht, die andere mag Weihnachten schon. Wenn die, die Weihnachten schon mag, mit ihren Kindern da ist, dann unterwerfen wir uns den weihnachtlichen Ritualen mit Tannenbaum und sonstwas. Wenn die nicht hier ist, dann passiert überhaupt nix.

Die Furche: Und früher, als Sie noch ein Kind waren?

Nöstlinger: Das war ganz speziell bei uns. Meine Mutter war einmal ein sehr reiches Kind und hatte daher ganz üppige Weihnachten. Doch dann ging das ganze Geld verloren. Wir waren später zwar arm und haben Zimmer, Küche, Kabinett gewohnt, aber Weihnachten, das hat müssen so sein wie früher: Der Christbaum hat müssen bis zur Decke rauf gehen, und ich habe dann eigentlich im Christbaum geschlafen, weil die unteren Äste die Hälfte meines Bettes bedeckt haben. Außerdem gab es wahnsinnig viele Geschenke: Meine Mutter hat ja schon im Jänner angefangen, einzukaufen.

Die Furche: Und das Christkind?

Nöstlinger: Ans Christkind habe ich nie geglaubt. Das geht auch schwer, wenn man eine ältere Schwester hat, die einen aufklärt. Außerdem waren wir immer eine völlig areligiöse Familie.

Die Furche: Eine agnostische oder eine atheistische?

Nöstlinger: Na atheistisch, durch und durch atheistisch.

Die Furche: Und wie hat Ihre Mutter dann erklärt, warum sie Weihnachten so groß zelebriert?

Nöstlinger: "Das ist das Fest der Liebe", hat sie gesagt.

Die Furche: Tatsache ist, dass christliche Rituale und Symbole wie das Kreuz derzeit für viele wieder wichtiger werden - wohl auch, um sich gegen den Islam abzugrenzen. Wie finden Sie das?

Nöstlinger: Merkwürdig. Vor allem finde ich merkwürdig, dass sich diese Menschen "christlichjüdisch" sagen trauen - bei alldem, was Juden bei uns passiert ist. Warum kann man nicht einfach sagen: Erstens sind unsere Werte in der Verfassung und zweitens beruhen sie auf der Aufklärung. Aber komm einem Kronen Zeitung-Leser mit der Aufklärung!

Die Furche: Die hat es derzeit überall schwer: Kurz nach Ihrem 80. Geburtstag ist Donald Trump gewählt worden. Was war aus Ihrer Sicht die Hauptursache dafür?

Nöstlinger: Die Dummheit der Menschen - und außerdem lässt sich alles nicht so leicht erklären. Ich habe gerade vorhin mit einer alten Freundin telefoniert, die in Utah lebt - die sind ja selbst am entsetztesten. Aber wir leben halt in postfaktischen Zeiten. Ich stehe auch hilflos davor, wenn es heißt: Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen! Ja, gefühlte Ängste kann der Psychoanalytiker ernst nehmen, aber wie begegnet man Ängsten, die überhaupt nicht auf Fakten beruhen?

Die Furche: Das könnte manche veranlassen, Sie zur "abgehobenen Elite" zu zählen...

Nöstlinger: Entschuldigung, aber wenn mir ein Volltrottel von einem österreichischen Taxler den größten Blödsinn erzählt, soll ich mich nicht als Elite fühlen? Soll ich ihn ernst nehmen? Wie mache ich das?

Die Furche: Nicht wenige Intellektuelle üben sich aber in Selbstbezichtigungen und nehmen sich vor, ihre "Blase" zu verlassen.

Nöstlinger: Na, dazu gehöre ich nicht! Die Leute sollen verdammt noch einmal etwas Ordentliches lesen. Man kann sich doch heute wirklich informieren, aber gut 30 Prozent unserer Bevölkerung informieren sich nur mehr auf Facebook und stecken in einer Blase, in der sie nur die Informationen bekommen, die zu ihrem kaputten Weltbild passen. An die Leute kommst du ja gar nicht mehr heran.

Die Furche: Sie haben einmal gesagt: "Es hat keinen Sinn, mit Strachewählern zu diskutieren". Kanzler Christian Kern hat hingegen vor der Bundespräsidentenwahl ein überraschend amikales Gespräch mit HC Strache geführt und ihm attestiert, dass er das Land "voranbringen" wolle. Behagt Ihnen das als Sozialdemokratin?

Nöstlinger: Ich bin bei Gott kein Parteimitglied, aber ich kann mir vorstellen, dass er halt ehemalige SPÖ-Wähler, die jetzt FPÖ wählen, zurückgewinnen und einen anderen Ton hineinbringen will. Aber behagen tut's mir trotzdem nicht.

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