Die Alleinseglerin - © Foto: Pixabay

Christine Wolters Roman „Die Alleinseglerin“: Ein emanzipatorisches Lehrstück

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Wiederzuentdecken: Christine Wolters Roman „Die Alleinseglerin“ ist von bestechender, überzeugender Klarheit – ein schmales und zugleich ein großes Buch.

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Wiederzuentdecken: Christine Wolters Roman „Die Alleinseglerin“ ist von bestechender, überzeugender Klarheit – ein schmales und zugleich ein großes Buch.

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Manche Bücher setzen partout keine Patina an. Da mag man sie noch so überzeugend in ihren historischen Kontext stellen und betonen, dass sie nur „aus ihrer Zeit“ heraus zu verstehen seien, doch beim Wiederlesen dann spielt das keine entscheidende Rolle mehr, weil sie einen Ton treffen, der alle Schlacken der Vergangenheit abwirft.

Der 1939 geborenen Christine Wolter ist ein solches Kunststück gelungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam sie in die DDR, studierte Romanistik, arbeitete als Übersetzerin und Lektorin und debütierte 1973 mit einem Prosaband. 1978 übersiedelte sie mit ihrem Mann nach Italien, wo sie noch heute lebt, und publizierte auch danach in der DDR, im Ostberliner Aufbau-Verlag.

Dem Ecco-Verlag ist es zu verdanken, dass Wolters bekanntester Roman, „Die Alleinseglerin“, nun in einer schmucken Edition wieder auf den Markt kommt. 1982 zuerst erschienen, lag er kurz darauf auch im Westen Deutschlands als Lizenzausgabe vor und erlangte weitere Popularität, als Herrmann Zschoche ihn 1987 für die DEFA überzeugend verfilmte und die Hauptrolle mit der Drummerin Christina Powileit besetzte.

Protagonistin des offenkundig stark autobiografisch geprägten Romans ist die Literaturwissenschaftlerin Almut, die an einer Doktorarbeit sitzt und versucht, sich allen Herausforderungen zu stellen, die das Leben für eine alleinerziehende Mutter bereithält. Mühsam bewegt sie sich im Viereck „Büro/ Kind/Studium/Boot“ und leidet darunter, auf keinem Gebiet Befriedigung zu erlangen und stets mit schlechtem Gewissen in den Tag zu gehen. So gesehen gehört „Die Alleinseglerin“ in den Kontext der feministisch orientierten DDR-Literatur, für die gemeinhin Namen wie Christa Wolf, Irmtraud Morgner oder Brigitte Reimann stehen. Dass Autorin und Roman in diese Schublade dennoch nicht recht passen, hat mit dem Stichwort „Boot“ zu tun. Es bezieht sich auf ein nobles Segel-, genauer: Drachenboot, das Almuts Vater, einem vielfach dekorierten Architekten, gehört. So apart sich dieses auf den Seen im Berliner Umland macht, so kostspielig ist sein Unterhalt. Als Almut den Drachen von ihrem Vater übernimmt, spielt sie anfangs mit dem Gedanken, das Erbstück zu veräußern, da ihre finanziellen Mittel begrenzt sind. Doch je näher sie dem Verkauf tritt, desto stärker werden ihre Zweifel, sich von dieser emotional aufgeladenen Schönheit zu trennen.

So verbringt Almut ihre knappe Freizeit damit, das leicht marode Boot auf Vordermann zu bringen, ungeachtet dessen, dass in der Mangelwirtschaft des Sozialismus die benötigten Materialien – Lacke oder Abdeckplanen – selten vorrätig sind und dass sie von den alles besser wissenden Männern in den Werften und Häfen mitleidig belächelt wird.

Eigenständiges emanzipatorisches Lehrstück

Erzählt wird diese Geschichte im Rückblick. Almut lebt mittlerweile in Mailand, wo der Regen die Illusion vom immer sonnigen Italien gründlich zerstört, und blickt voller Heimweh und Sehnsucht auf die Seenlandschaft ihrer früheren Jahre zurück. Wie sich Almut damals ihre Freiheiten erkämpfte, wie sie mit ihrem Vater rang, der als „Herr Professor“ seine Privilegien genoss, und sich dank ihrer „Dickköpfigkeit“ auch von ihren Kurzzeitliebhabern nicht dreinreden ließ, macht „Die Alleinseglerin“ zu einem ganz eigenständigen emanzipatorischen Lehrstück.

Es setzt auf die Individualität seiner unkonventionellen Heldin und hat mit den lautstark vorgetragenen Appellen an den sozialistischen Gemeinsinn wenig zu tun. Das Kollektiv zählt hier wenig. Almut baut vor allem auf sich selbst; schon als Zwölfjährige hat sie erfahren, dass es am besten sei, allein zu sein. Kein Wunder also, dass sie sich anschickt, mit dem knapp zehn Meter langen Drachen ihres Vaters zur „Alleinseglerin“ zu werden – ein Unterfangen, das selbst erfahrene Segler nicht mit links erledigen.

Christine Wolters Roman, der en passant grundlegende nautische Kenntnisse vermittelt, ist von bestechender, überzeugender Klarheit und frei von schiefen Bildern – ganz der Absicht der Erzählerin Almut folgend: „Am Schreibtisch in Mailand, mit den endlosen Übungen der Studenten vor mir, im Fenster die gleichfarbigen Tageszeiten des Winters, kommen mir die Bilder, quellen wie die Stoffe meiner Mutter aus den Schubladen. Die Bilder lassen, wie sie sind. Auch gelblich und ausgeblichen. Nichts kolorieren mit Trauer und Bedeutung.“

Ja, es lässt sich nicht anders sagen: Christine Wolters „Die Alleinseglerin“ ist ein schmales und zugleich ein großes Buch, mit Selbstbewusstsein und Leichtigkeit erzählt, eines, das herausragt aus den deutschsprachigen Romanen nicht nur der 1980er-Jahre und ein nachhaltiges Comeback verdient hat.

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