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Christliche Bühnenkunst

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Der Vizepräsident der österrei. chischen Gesellschaft zur Förderung christlicher Bühnenk unstnimmt hier Stellung zu einem wichtigen Problem unserer öffentlichen Kultur — zur Erneuerung des Theaters. Allen Wissenden ist heute bekannt, daß die vielberufene „Theaterkrise” tiefer wurzelt als in Budgetschwierigkeiten. Wir behalten uns vor, dieses umfassende Problem in nächster Zeit von verschiedenen Gesichtspunkten aus zur weiteren Diskussion zu stellen.

„Die Furche”

Die christliche Bühnenkunst ist keine selbständige Kunstgattung, die nach eigenen Gesetzen lebt und außerhalb der Bezirke der allgemeinen Kunst agiert. Die ästhetischen und ethischen Grundsätze, denen die Kunst im allgemeinen unterworfen ist, haben auch für sie volle Geltung. Aber ihre Lebensberechtigung, ja ihre Lebensnotwendigkeit geht eben auf die Tatsache zurück, daß die allgemeinen Grundsätze vielfach mißachtet, oft sogar bewußt negiert werden, und sich daher die zwingende Konklusion ergibt, den sublimsten Kern, das Wesen der Kunst von der Plattform nivellierender Schablone in eine Atmosphäre zu heben, die zwar vorerst nur einem kleineren Kreis der menschlichen Gesellschaft Lebensinhalt bedeutet, diesen aber zu einer apostolaren Gemeinschaft zusammenschweißt.

‘Wir wollen uns durchaus nicht von dogmatisch-theoretischen Gedanken leiten lassen und akademisch gültige Definitionen für die einzelnen Begriffe der Kunst an sich und ihrer Gattungen suchen oder aufstellen. Wir wollen vielmehr versuchen, vom eigentlichen Wunsch, ob ausgesprochen oder stumm, ob erkannt oder unerkannt, des Menschen auszugehen und eine Synthese mit unserer ethischen Pädagogik herzustellen. Dem Charakter des Einzelmenschen entsprechend, gebildet durch eine Unzahl von Komponenten, die aber alle beachtet werden müssen, bringt doch vielleicht gerade ein unbeachteter, unruhiger Ahne oder das Klima einer Landschaft die Entscheidung, sucht man den Ernst oder das Heitere in der Muse. Immer soll es eine Entspannung sein; im Ernsten entweder ein Beschäftigen mit Gedanken, zu deren Erörterung man im täglichen Berufsleben nidit Gelegenheit noch Muße hat oder sogar mit Ideen und Problemen, mit denen man selber ringt und die man nun von einem anderen dargestellt wissen will, um Vergleiche ziehen zu können, ob ftan sich am rechten Weg befindet oder um Anregungen für neu Wege und bisher nicht beachtete Variationsmöglichkeiten desselben Themas zu gewinnen; im Heiteren, um Enttäuschungen des Alltages leichter überwinden zu können, um das gefährliche Einerlei des mechanisierten Berufslebens gleichsam mit Blumen und Sonnenschein lebendiger und daher lebensnaher zu gestalten und um einmal in das Märchenreich unerfüllter, oft unerfüllbarer Wünsche zu wandern. Eines kann man jedenfalls mit aller Eindeutigkeit feststellen: der Mensch liebt im allgemeinen das negativ Abgründige, das Abwegige, das Verworfene und Verwerfliche nicht. Dem widerspricht auch nicht die so oft und mit Recht gerügte Sensationsgier besqmmter jugendlicher Kreise, denn es ist nidit die Jugend an sich, sondern nur eine Gruppe, eine Schichte, die uns ob ihrer — wenn das scheinbar paradox klingende Wort gestattet ist — passiven Aktivität auffällt, die man aber nicht verallgemeinern darf. Schlechte, schändliche Charaktergestalten, tragisches Schicksal aus dem bewußten Verschulden der Akteure werden im allgemeinen nicht mit Beifall aufgenommen. Es ist höchstens die Leistung an sich, die mit überraschender Objektivität anerkannt wird, sei es die schöpferische des Dichters, sei es die nachschaffende des Interpreten. Aber es bleibt keine innere Befriedigung, kein erhebendes movens.

Der Dichter ist ja schließlich kein Wesen, das außerhalb der menschlichen Gesellschaft lebt oder seine Kräfte aus Bezirken nährt, die dem Leben unseres Planeten ferne liegen. Der Dichter spiegelt letzten Endes immer die Synthese psychischer Realität seiner Tagewider. Was die menschliche Gesellschaft, meist unbewußt, fühlt, das komprimiert sich in einem Äußerungsfaktor, der gleichsam aus der Impression der Masse zum Eigenleben getrieben wird. Nicht umsonst sagt ein Wort, daß jedes Volk die Dichter hat, die es verdient. Wir haben schwere gesellschaftspolitische Umwälzungen hinter uns, die das seelische Gefüge der menschlichen Gesellschaft in Bedrängnis gebracht haben. Noch haben wir diese Krise nicht überwunden. Denn: ein Volk, das einen Krieg verlor, ist wie ein Mensch, der seinen Gott verlor. Ihn müssen wir wieder finden. Und nur das christliche Ethos vermag uns den rechten Weg zu weisen.

Es handelt sich gar nicht darum, mit einem Schlag das Gesamtinteresse der menschlichen Gesellschaft zu wecken und zu fesseln. Man muß behutsam, gleichsam mit medizinischen Methoden Vorgehen, denn die menschliche Psyche ist noch krank. Aber wenn man eine bestimmte, seelisch aktivistische Schichte erfaßt und organisiert, die Menschen zu Aposteln heranzieht und sie eine ordensmäßige Tätigkeit ausüben läßt, dann ist dem Volke damit mehr gedient, als sich in der Öffentlichkeit womöglich auf dem Forum parteipolitischer Auseinandersetzungen mit dem Begriffe „Kunst dem Volke” theoretisch zu befassen.

Eine christliche Bühnenkunst zu propagieren heißt nicht in der Organisation des Bühnenwesens, gelenkt von den Tendenzen eines „Wählerfanges”, kämpferische Ideen wirken zu lassen. Noch ist die Zeit nicht gekommen, um die Mehrheit — ich vermeide mit Absicht den Ausdruck Masse, weil er aus der Atmosphäre politischen Denkens stammt und daher leicht mißverstanden werden könnte — mit radikaler Geste zu einem bestimmten Programm zu führen. Der gesunde Instinkt wird die ungesunde Programmgestaltung allmählich aus eigener Kraft verurteilen, und es wird die Zeit kommen, da eine Abkehr vom Mitleben mit pseudokünstlerischen Emanationen eintreten wird. Aber für diesen Augenblick muß die christliche Bühnenkunst vorgesorgt haben.

Die bloße Ablehnung, die unfruchtbare Verneinung würde der menschlichen Gesellschaft nur zum inneren Schaden gereichen. Aus der geistigen Lethargie würde allmählich mit tödlicher Gewißheit und Unabänderlichkeit die seelische Leere erwachsen, die Keimzelle für den allmählichen Übergang vom Leben zum Vegetieren, von der Erkenntnis zum Instinkt, von der Liebe zum Trieb, mit einem Wort von der Seele zum Wesenlosen.

Wenn aber in diesem Augenblick gefährlicher Destruktion ein aufbauender Geist in einer Reihe von Menschen das Wissen ewiger Verbundenheit mit allen Weisheiten und Tugenden christlicher Ethik wachgerufen und verankert hat, dann wird die christliche Bühnenkonst ohne jede dogmatische Erstarrung und Bevormundung in der Lage sein, den hungernden Geist der Menschheit zu sättigen und ihr den Glauben an sich selbst wieder zu schenken.

Wollen wir es noch einmal klar und unmißverständlich sagen: die programmatische Gestaltung der christlichen Bühnenkunst unserer Tage soll nicht in den engen Grenzen dogmatisch bedingter Themata erstarren oder, gesehen durch rosarote Brillen jungfräulicher Idealistik, lebensfremde, nie erzielbare Idealgestalten auf die Bühne stellen. Auch ist es durchaus nicht ihre Aufgabe, nur raligionsphilosophisches Gedankengut zu vermitteln, wie es überhaupt vermieden werden muß, eine orthodoxe Tendenz mit inquisitorischer Härte zu propagieren. Nein, gebt doch dem Menschen das, was er sucht: Güte und Liebe in allen ihren vielfältigen Ausdrucksformen menschlichen Lebens. Nicht abgestoßen will der Mensch werden, aufgerichtet vielmehr, mutig und vertrauensvoll sich sein Schicksal mit christlichen Grundsätzen, also mit Gottes Hilfe, freundlicher gestalten. Sittlich erbaut und seelisch gehoben soll der Mensch aus dem Theater heimwärts wandern. Und dieses Ziel wird nicht durch extreme Moralpredigerei erreicht, auch nicht durch Vorführen von lauter Tugendhelden, sondern durch die dichterische Vermittlung und Darstellung der menschlichen Psyche in ihrer Vielgestalt, die fetzten Endes immer wieder auf eine Einheit hinweist, auf die Sehnsucht nach Frieden, nach der ewigen Heimat, nach der Rückkehr zum einzigen Ziel: zu Gott.

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