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Christliche Gegenwartsdichtung' in Europa

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Der protestantische Geist hat sich in den letzten Jahrzehnten zweifellos mehr in den religiösen Wissenschaften manifestiert als in der schönen Literatur. Trotzdem wäre es unzutreffend, in einer Zeit, in der die letzten großen Werke Hermann Hesses und Ernst Wiecherts sich die abendländische Welt erobern, zu behaupten, der Protestantismus hätte keine großen Dichter hervorgebracht. Wenn auch hier eingewendet werden mag, daß Hesse und Wiechert nicht als religiöse Dichter im strengen Sinn aufgefaßt werden können, verleiht doch der Protestantismus selbst noch den kirchlich ungebundenen Denkern eine unverkennbar starke Prägung, die sich offenbart in der immer wiederkehrenden Frage nach Recht und Gerechtigkeit, im Primat des Geistigen, in der unausgesetzten Bemühung um das Ethos, in der Leidenschaft für die Wahrheit und die biblischen Grundlagen.

Unter den Zeitgenossen nimmt wohl für den deutschen Sprachraum der 75jährige Rudolf Alexander Schroeder unbestreitbar den ersten Platz ein, dessen Werke in schöner fünf bändiget Ausgabe (im Verlag Suhrkamp) vor kurzem erschienen. Durch seine geistlichen Gedichte wurde er zum Erneuerer des evangelischen Kirchenliedes, und in der Tat sind seine im Dienst am Evangelium geschriebenen Werke von so tröstlicher Kraft, wie dies seit Paul Gerhardt keinem Dichter deutscher Sprache mehr geglückt ist. Glaubensgewißheit, Demut, Selbstanklage, Reue, das ist Inhalt und Antwort dessen, was Schroeder im geistlichen Gesang an die Not unserer Jahre und die Gefahren unserer Zeit gibt.

Aus der gleichen Tradition heraus schrieb auch Jochen Klepper seine „Geistlichen Lieder“, die nicht nur tiefen Glauben und Frömmigkeit atmen, sondern ihn auch als großen Lyriker zeigen. Sein bedeutendstes Werk ist jedoch das vielbeachtete biographische Lebensbuch „Der Vater“, das die verkannte Gestalt Friedrich Wilhelms in ihrer tragisch umwitterten Menschlichkeit unter dem Leitwort „Könige müssen mehr leiden als andere Menschen“ naherückt. Ihm schließt sich auf gleicher Linie „Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande“ an, das über das Verhältnis des Königs zu christlichen Persönlichkeiten berichtet und dabei die eigene Gläubigkeit des Dichters enthüllt.

Zu den bewußt evangelischen Dichtern der neuesten Zeit zählt der in Oesterreich wenig bekannte Willy Kramp, in dessen Werken der Mensch in der Wirklichkeit des Lebens überzeugend dargestellt wird, ohne dabei dem Nihilismus zum Opfer zu fallen. Das bisher wesentlichste Werk des in Ostpreußen beheimateten Dichters ist „Die Fischer von Lissau“, in dem er das schwere Leben der Fischer am Haff und ihren lebendigen Glauben, den auch die schwersten Schicksalsschläge nicht zu erschüttern vermögen, gestaltet. Aus den gleichen Wahrheiten heraus lebt der Roman „Die Jünglinge“, in dem der Dichter die Entwicklung junger Menschen zwischen den beiden großen Kriegen schildert, denen trotz ehrlichem Streben Irrwege und Torheiten nicht erspart bleiben, bis auch ihnen die Erkenntnis jener größeren Liebe zuteil wird, von der alle menschliche Liebe nur ein Abglanz ist. Das Erlebnis einer langjährigen russischen Kriegsgefangenschaft hat ihren Glauben nicht zerbrochen, sondern vertieft. („Die Prophezeiung“, „Was ein Mensch wert ist.“)

Mit dem „Worpsweder Hirtenspiel“, das zunächst für den Raum der Worpsweder Dorfkirche geschrieben wurde, dann aber an vielen Orten mit großem Erfolg aufgeführt wurde und das nicht nur Dichtung im edelsten Sinn, sondern auch echte Verkündigung ist, hat sich auch der bekannte Dichter Manfred Hausmann in den Dienst des Evangeliums gestellt.

Von besonderer Bedeutung für die protestantische Dichtung der Gegenwart ist Albert Goes, der durch seine berühmt gewordene Novelle „Unruhige Nacht“ Aufsehen machte, die das Erlebnis eines Kriegspfarrers zum Inhalt hat, der einen Deserteur auf die Hinrichtung vorbereitet. Auch die feine Besinnung auf das Wissen um den Tod,

die Albert Goes in dem Bändchen „Unsere letzte Munde" darlegt, und die sieben weihnachtlichen Betrachtungen des Buches „Christtag“ gehören zu den Schätzen, die dieser Dichter seiner Leserschaft schenkte.

Audi außerhalb Deutschlands kann die protestantische Literatur auf einige Dichterpersönlichkeiten von Rang hinweisen. Hier sei an den schwedischen Dichterpfarrer B o G i e r t z erinnert, dessen letzter Roman „Und etliches fiel auf den Fels“ vor kurzem ins Deutsche übersetzt wurde, der in einprägsamer, spannender Sprache Segen und Not der verschiedenen Erweckungsbewegungen, ihren Zusammenprall mit dem Geist der Zeit und ihren Weg durch Enthusiasmus und Selbstgerechtigkeit zeichnet.

In England ist zweifellos Christopher Fry der größte christliche Dichter protestantischer Prägung, dessen „Schlaf von Gefangenen“ auch über österreichische Bühnen ging und uns das Anliegen des Dichters, die Erneuerung dieser Welt vom Geist der Bibel her, nahebrachte.

Die protestantische Dichtung beschränkt sich jedoch nicht nur auf jene Länder, in denen das evangelische Bekenntnis vorherrscht, vielmehr sind auch dem Boden der Diasporakirche eine Reihe beachtlicher Talente entwachsen. Hier ist vor allem die junge Oesterreicherin Lieselotte Hoffmann zu nennen, deren moderne evangelische Lebensbilder „Frauen auf Gottes Straßen“ wie auch der jüngst in der Schweiz erschienene fesselnde biblische Roman „Ezechiel der Prophet“ (vgl. „Die Furche“ vom 25. Dezember 1953), der tiefe Gläubigkeit und künstlerische Darstellungskraft verrät, zu berechtigten Hoffnungen Anlaß geben. Ebenso darf auch an der protestantischen Literatur Frankreichs nicht vorüber-, gegangen werden. Hier verbinden Marion Gilbert, deren Romane kräftige Eigenart beweisen, und Elisabeth Barbier mit den „Leuten von Mogador“ die Dichtung mit dem Bekenntnis. Als neuer Stern aber gilt Pierre Lassieur, der mit seinem ersten Roman, „Memoiren eines zum Tode Verurteilten“, eine erstaunliche Gestaltungskraft zeigt.

Mag auch nicht all diesen Dichtern, die mit ihren Werken die Botschaft des Evangeliums in neuem dichterischem Gewände in die Welt tragen, Weltruhm zukommen, wie ihn etwa ein Claudel, Bernanos oder Mauriac erlangten, sind sie doch ein beredtes Zeugnis für die Lebenskraft des gegenwärtigen christlichen Schrifttums.

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