Himmel - © Foto: Pixabay

Christoph Ransmayr: „dieser verwehende Himmelsrand als Grenze“

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Ränder, das Überschreiten von Linien, das Überwinden „betörender Leere“: All das sind Themen des Lebens, die Ransmayrs Lyrik in "Unter einem Zuckerhimmel" Essenz geben.

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Ränder, das Überschreiten von Linien, das Überwinden „betörender Leere“: All das sind Themen des Lebens, die Ransmayrs Lyrik in "Unter einem Zuckerhimmel" Essenz geben.

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Gesänge von Vogelhochzeiten und Königskindern, vom roten Männlein im Walde, von Sternen und vom Mond. Schon als kleines Kind kommt der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr über alte Kinderlieder mit dem Erzählen in Berührung. Sie haben sich als erste Geschichten tief in sein Gedächtnis gesenkt, weil vor dem gesprochenen Wort das gesungene war. Diese Erfahrung bestätigt sich auch später auf seinen unzähligen Reisen, ob in die Wüste, zu den Archipelen der Südsee oder ins Himalajagebiet. Über Generationen überlieferte Geschichten überdauern als Gesang.

Im zwölften Band seiner Spielformen des Erzählens knüpft Ransmayr an diese jahrtausendealte Praxis an. Das Resultat ist ein wunderbar bibliophil gestalteter Gedichtband. Ein Kleinod mit zartblauem Aquarell auf dem Cover, das vom deutschen Maler Anselm Kiefer stammt, der diese Lyrik aufwendig und ausdrucksstark illustriert hat.

Diese poetische Textsammlung mit dem Titel „Unter einem Zuckerhimmel“ eröffnet Ransmayr mit einer Reverenz an den mythischen Helden Odysseus. Wie der antike Held möchte das lyrische Ich nach Hause. Hier steckt es fest im Krankenhaus, bis der Arzt den Patienten nach der „letzten Prüfung“ des „Blutes“ endlich freigibt, bevor sich für ihn „ein Knäuel von Routen der Heimkehr“ auftut.

Bildgewaltig schildert Ransmayr auch die Erfahrungen eines Bergsteigers in den „Nachrichten aus der Höhe“. Das Vordringen in Zonen jenseits der Vegetation und des Lebens, in die Welt des Eises und der Wolkenmeere, die einem irgendwann schier die Luft zu atmen rauben, gestaltet sich als räumliche und zeitliche Grenzüberschreitung – immer im Bewusstsein, dass auch das Leben auf dem Spiel steht.

Der Weg in die Höhe führt in die Einsamkeit und lässt kleinste Ritzen in die Unendlichkeit zu, die zugleich ein Schaudern in sich bergen: „dieser verwehende Himmelsrand als Grenze / zwischen einem überschaubaren Diesseits / und einem in Schnee- oder Sturmwolken / verborgenen Jenseits. // Dieses Grauen, eine Angst, / die wohl damals wie heute / im Grunde dem Tod galt, / hatte ihn zugleich verstört / und angezogen …“ In minutiöser Genauigkeit zeichnet Ransmayr die Ambivalenz unterschiedlicher Grenzerfahrungen nach.

Der von Schnee, Licht und wasserblauer Farbe funkelnde Berg wirft den Menschen zurück auf sein flüchtiges Sein. Denn hier hat nichts mehr „Bestand und Bedeutung, / was nicht selbst Stein ist“. Das titelgebende Gedicht hingegen kritisiert den gelassenen Umgang des Menschen mit dem Krieg: „Wir spielen / unter einem Zuckerhimmel / Krieg … und spielen / und spielen weiter“. Gewalt am Menschen und an der Natur wird gleichmütig hingenommen.

Ränder, das Überschreiten von Linien, das Überwinden „betörender Leere“, die Natur, antike Spiegelbilder – all das sind Themen des Lebens, die dieser Lyrik Essenz geben. Ransmayrs Erfahrungen aus seinen Begegnungen mit fremden Kulturen und mit der mannigfaltigen Natur diffundieren osmotisch in seine Texte und verleihen ihnen eine ungewöhnliche, bemerkenswerte Tiefe.

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