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Christus vor Chruschstschaw

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Vor Pfingsten veröffentlichte die in Bonn redigierte, im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebene Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) eine Betrachtung unter dem Titel „Beten für Chruschtschow — ein vernachlässigtes Anliegen unserer Frömmigkeit“.

Sie beginnt mit folgender Überlegung:,. .Beten Sie zur Buße von Himmelfahrt bis Pfingsten täglich ein Gebet für Chruschtschow I' Mit welchen Empfindungen verließen Sie den Beichtstuhl, wenn Ihnen diese Buße aufgegeben worden wäre? Fragen wir uns einmal im stillen: Wären wir von selbst auf den Gedanken gekommen — beten für Chruschtschow? Offen gestanden: was sollen wir für ihn beten? Er ist doch der Antichrist! Auf ihn und sein ganzes Konsortium paßt — so möchte man oft meinen — der Steckbrief, den die Heilige Schrift vom Bösen in Menschengestalt, vom Reich des Antichristen, vom Drachen und der alten Schlange gibt. Ähnlich denken manche unter uns, und manche sagen es offen oder verbrämt. Christen auf dem Holzweg! Sind deren Gedanken nicht zu sehr von gott-fremder Angst diktiert? Und wer regiert über die Angst? Der Teufel.... Uns aber, die Christus angehören, hat Gott zum Glauben auch Hoffnung und Lieke geschenkt. Diese Hoffnung und diese Liebe, die Gott in uns wirkt, erheben uns über das Getümmel auf Erdenzeit. Diese Hoffnung und diese Liebe geben uns Worte ins Herz und auf die Lippen: das Gebet im Namen unseres Herrn. Seit den Tagen der Apostel betet die Kirche im Namen des Herrn für ihre Verfolger, für Feinde und Sünder...“

Da Katholiken manchenorts, in unserer Zeit, leider oft nicht mit Phantasie, mit Einbildungskraft des Herzens und des Geistes ausgerüstet erscheinen — obwohl gerade diese Rüstung besonders wichtig wäre —, veröffentlicht dieselbe deutsche katholische Korrespondenz auch anschließend ein längeres Muster eines Gebets für Chruschtschow.

Diese beiden Publikationen erschienen vor Pfingsten, in einem Moment, in dem Moskau und Bonn, Chruschtschow und Adenauer, gerade auf einem neuen Höhepunkt der Auseinandersetzungen standen.

Was vor Pfingsten einem wachen deutschen katholischen Gewissen in Bonn billig und recht an der Zeit erschien, sollte nach Pfingsten in Wien einem österreichischen Gewissen teuer sein: die rechte innere Vorbereitung auf den Besuch des sowjetischen Regierungschefs, der in dreifacher Gestalt zu uns kommt: als Staatschef einer Großmacht, mit der Österreich freundschaftliche Beziehungen unterhält, als Repräsentant einer der stärksten gegenchristlichen weltanschaulichen und politischen Bewegungen unserer Zeit, und als ein Individuum, ein Mensch, eine Person. Zu allen diesen drei Momenten in dem in Wien auf Einladung der österreichischen Regierung als Gast zu Besuch weilenden Herrn Chruschtschow muß der Christ, der Katholik in Österreich zunächst innerlich Stellung nehmen. Wobei wichtig ist festzuhalten: diese drei Momente lassen sich ja nicht einfach trennen, sie stehen in der geschichtlichen Gestalt dieses Mannes innerlich und äußerlich in vielen offenkundigen und unbekannten Beziehungen.

Die Tage, die Herr Chruschtschow in Wien und Österreich weilen wird, wird er unsere Luft atmen: er wird, bewußt oder unbewußt, etwas von der Atmosphäre wahrnehmen, die unser Land beseelt.

Wir alle wissen: Welche Fülle negativer Energien, von Haß, von Neid, von ungereifter Liebe erfüllt oft schon „eine kleine Stadt“, our town, um mit Thornton Wilder zu sprechen, oder ein Dorf mit Explosivstoffen; mit Kräften eines „kalten Krieges“, die eine Familie, eine Gemeinschaft, ein Volk innerlich zerstören können.

Wir alle wissen, wie sehr solche Kräfte des Hasses unser Land etwa 1918 bis 1945 versehrt, verwüstet haben.

Wir alle wissen nicht: wie sehr das geschichtliche Geschehen in Rußland im Raum der Sowjetunion, 1918 bis 1960, mit beeinflußt worden ist nicht nur durch die Versuche anderer Mächte, in Krieg und Bürgerkrieg, in Rußland einzugreifen, sondern auch durch die massiven und riesenhaften Energien des Schlechtdenkens, des Hasses, die nicht zuletzt aus unserer europäischen Windrichtung dem Osten zugestrahlt sind. Adolf Hitler, unser engerer Landsmann, der in Wien so recht seinen Haß gelernt hat, konnte nur auf den Wellen dieses Hasses und dieser Angst seinen Krieg entfesseln, ja zur Machtübernahme schreiten.

Christus ist in die Welt gekommen, um den Haß, die böse Angst zu überwinden. Die Frohe Botschaft, wie sie uns gerade Pfingsten und zuvor eindringlich das Evangelium des Christi-Himmelfahrts-Tages vorstellte, verheißt, streng, heilig, verbindlich dem Christen die Kraft: Kranke zu heilen, giftige Getränke zu trinken ohne Schaden und Schlangen aufzuheben.

Nur an diesem vermag man, jenseits und außerhalb der Christenheit, den Christen zu er-

Photo: Swoboda kennen: daß er nicht ist wie andere; daß er den Kreislauf des Hasses und der Angst überwindet; daß er ein lebendiger Gottesbeweis ist, hier, heute.

Wir schmeicheln uns nicht in Illusionen; wir meinen nicht, daß wir Österreicher, wir Christen, diesen Mann der Macht und diesen Vertreter großer gegenchristlicher Interessen in den wenigen Tagen, in denen er unsere Luft atmen wird, zu einem christoffenen Menschen zu wandeln vermögen; so wenig, wie es uns gelungen ist, so manche bittere Gegner unseres Glaubens und unserer politischen Überzeugung in den langen Jahren von 1933 über 1945 bis 1960 hierzulande zu bekehren: Menschen unserer Art, nahe und nächste Verwandte.

Wir geben uns keinen Illusionen hin. Wir glauben aber an die Kraft des Geistes, des guten, des Heiligen Geistes; und an Sein Wirken, Sein Strahlen. Wer über diesen unseren Glauben hierzulande lächelt oder die Nase rümpft, lächelt über Christus.

Es wird also schlicht den gläubigen Christen in Österreich schon jetzt, in der inneren Vorbereitung, und dann während des Besuches des Herrn Chruschtschow ein „Beweis des Geistes und der Kraft“, wie die Heilige Schrift es nennt, abverlangt. Ein Beweis dafür, daß Christus, der menschgewordene Gott, hier in unserem Lande zugegen ist. Daß Er da ist, gerade dann in besonders eindrucksamer Weise, wenn „Er“ da ist.

Unser Herr sieht dem Herrn aus Moskau still und ruhig ins Gesicht: nicht zuletzt durch unsere Gesichter und Körper, unsere Gesten, Worte und Gebärden, mit denen wir den Gast aus Moskau empfangen.

Christus, der Herr, flieht nicht. Er flieht auch nicht in falsche, wenn auch gut gemeinte Demonstrationen und Proklamationen, hinter denen doch, bei aller laut tönenden Predigt, die kleine Angst unserer kleinen Herzen und Hirne steht: ein schwacher, kranker Glaube, der keinesfalls geeignet ist, Herrn Chruschtschow zu beeindrucken. Dieser „kleine“ Mann hat immer wieder den Anlaß willkommen, vielleicht allzu willkommen wahrgenommen, sich wie ein Bulle einer geballten Ladung feindseliger Gesten, Worte und wütender Gesichter entgegenzuwerfen: in Amerika und an manchen anderen Orten.

Nein, empfangen wir Herrn Chruschtschow nicht mit den Gesichtern der anderen: der anderen, die keinen Glauben oder nur einen schwachen, kranken Glauben haben. Empfangen wir ihn mit dem Gesicht Christi. Mit jener ruhigen, strahlenden, wahrhaft selbstsicheren, da auf unseren Herrn vertrauenden Art, die allein christliches Zeugnis für die Menschwerdung Gottes glaubwürdig macht. Nehmen wir uns ein Beispiel an dem Patron Wiens, dem heiligen Clemens Maria Hofbauer, diesem kleinen, von Haus aus tschechischen Bäckerlehrling, der in schwierigster Mission in Warschau einem polnischen Adeligen, der ihm ins Gesicht spuckte, die andere Wange hinhielt, zugleich freundlich ihn ersuchte, etwas für seine Kinder, seine Armenschule zu geben. St. Stephan in Wien wird Herrn Chruschtschow empfangen, so oder so, hoffentlich in einer wahrhaft würdigen Form, wie es dem Geist, der Tat, dem verpflichtenden Testament des Erzmärtyrers Stephanos entspricht, dem Apostel der Feindesliebe, der, gesteinigt, seinen Feinden vergab und in dieser Vergebung den Himmel offen sah, und der kleinen christlichen Ghettogemeinde die inneren Tore zur Welt, zur Weltkirche öffnete. Tief beeindruckt von seiner Tat war nämlich jener Mann, der seine Kleider neben dem Gesteinigten niedergelegt hatte, selbst ein neurotischer, wütender Verfolger der frühen Christen, Saulus, der zum Paulus wurde.

Wir bitten also und wir beten um einen wirklich würdigen, christlichen Empfang für Nikita Sergejewitsch Chruschtschow in Wien, für den Staatschef der Sowjetunion, den Repräsentanten einer der größten gegenchristlichen Bewegungen unserer Zeit, für die Person, deren innerstes Geheimnis nicht er selbst, nicht wir, sondern nur der Herr selbst durchschaut und in Händen hält: der lebendige Gott, der „Gott unserer Zukunft“, der Herr aller Menschen.

In dem Bonner Gebet für Chruschtschow heißt es: „Schenk ihm Deine Gnade, so bitten wir, und laß ihn nicht... der Gewalt des Satans verfallen. Auch er kann nicht tun und lassen was er will, sondern nur das, was Du zuläßt. Schenke ihm Deinen Heiligen Geist und die Gabe der Unterscheidung, damit er bald in Deinem Sinne denkt, leitet und regiert. Laß ihn noch in dieser Welt erkennen, daß an Deiner Macht alles gelegen ist.“

Es wäre schön, es wäre wichtig, für Österreich und für unsere Welt, wenn unsere Kirchen dieses deutsche Gebet jetzt bereits in tägliche Oratio-nen aufnehmen würden.

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