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Churchill gegen Sozialisierung

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Das große politische,Ereignis der vergangenen Wodie ist wohl die Rede Winston Churchills gegen die innere Politik der Labour-Regierung gewesen. Mit einer selbst bei seinem Temperament ungewohnten Schärfe und mit einem Pessimismus, der zum Aufhorchen zwingt, hat Churchill gegen den Sozialismus und die Versuche der britischen Regierung, das öffentliche Leben Englands dem sozialistischen Programm gemäß umzuformen, Stellung genommen und grundlegende Auseinandersetzungen in England für die kommenden Jahre prophezeit. — Vor den Wählen hätte man die Ausführungen des Führers der englischen Konservativen einfach als eine glanzvolle Wahlattacke auffassen können. In der gegenwärtigen Situation aber eröffnet der Vorstoß Churchills Perspektiven, die vielleicht auch dem sorgsamen Betraditer der politischen Entwicklung Englands bisher verborgen geblieben sind. Es wäre natürlich verfehlt, eine innen- und sozialpolitische akute Krise Englands zu befürchten. An anderer Stelle in unserem Blatte bringen wir einen Beitrag, der den absolut reformistischen, für kontinentaleuropäische Begriffe geradezu konservativen Charakter der Labour-Party aufzeigt. Aber die Rede Churchills zeigt doch ätmösphärischie Spannungen und Gegensätze m England -auf die fast den Eindruck hervorrufen könnten, daß wirklich nur die unerhörte politische Kultur* des englischen Volkes, der angeborene Sinn für Mäßigung Konflikte verhindert, die sonst losbrechen müßten.

Churchills Rede ist ein Appell an das Freiheitsbedürfnis der Menschen und ein Alarmruf gegen die mit jeder Sozialisierungs-tendenz notwendig verbundene Bürokrati-sierüngswelle. „Ich höre von allen Seiten“, so erklärte Churchill in seiner Rede, „daß aller Unternehmungsgeist gefesselt wird. Die Schlangen vor den Geschäften werden immer länger, die Gesichter werden länger und die Geschäfte leerer, nichtsdestoweniger wird das Alltagsleben immer strenger organisiert, mehr Formulare müssen ausgefüllt werden, es muß immer öfter auf Ämter gelaufen werden. Ganze Tätigkeitsgebiete erstarren — und alles nur deshalb, weil die Regierung kein anderes Ziel kennt, als ihre sozialistische Doktrin unter Beweis zu stellen, anstatt dem' Land zu zeigen, wie es wieder leben und Bewegungsfreiheit genießen könnte.“

Churchill weiß sehr wohl, daß er mit dem Appell an das Freiheitsbedürfnis den Engländer an seiner empfindlichsten Stelle trifft, gibt es doch in Europa kein Volk, dessen Freiheitsbedürfnis so ausgeprägt wie das des Briten ist — die Wahlniederlage Churchills selbst ist auf diesen Unabhängigkeitsdrang der Engländer zurückzuführen, denen die Gestalt des Premiers zu mächtig zu werden drohte —, andererseits dürfte sich Churchill bei aller hohen Bewertung der Kräfte, über die die konservative Partei auch in der Opposition verfügt, darübet im klaren sein, daß die Labour-Party gegenwärtig die Mehrheit des englischen Volkes in ihren Reihen hat. Um so größere Bedeutung kommt den Worten zu, die Churchill über die Entwicklung in* der nächsten Zeit fallen ließ: „Ich sehe mit Bedauern, aber ohne Furcht, voraus, daß es in den nächsten Jahren in England zu grundlegenden Auseinandersetzungen kommen wird. Man kann unmöglich an der Tatsache vorbeigehen, daß sich die Ereignisse unfehlbar auf die Alternative ,Volk gegen Sozialisten' zuspitzen.“ Wenn Churchill dann mit den Worten schloß, daß die Konservativen bereit seien, als wirkliche Wahrer der Interessen des Volkes alles zu konzentrieren, was in Großbritannien lebensfähig und gesund sei und daß sie nichts bekümmere als die Stärke und Freiheit des englischen Volkes, dann entsprach dies durchaus dem Stil dieses großen Staatsmannes, der zwar immer ein glühender Demokrat gewesen, aber stets auch ein Tory geblieben ist.

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