6634010-1957_03_15.jpg
Digital In Arbeit

Claudels „Columbus“

Werbung
Werbung
Werbung

Die lang erwartete Premiere des „Columbus“ im Burgtheater ist Ereignis geworden. Unvergeßlich in einem Schaugepränge, das da von Adolf Rott mit Hilfe von Robert Kautsky und Sepp Nordegg, mit Hilfe der modernen Technik, auf die Bühne gezaubert wird. Ganz im Sinne des Paul Claudel, der ein Weltenwanderer war, trunken an dieser Welt, berauscht durch ihren Wein der Leidenschaft, grausam hart in einer innersten Schicht, und der eben diese wunderschöne Welt mit ihren riesigen Horizonten des Leides und der Freude mitten in die Sonne Gottes hineinheben wollte. „Das Buch von Christoph Columbu s", mit der Musik von Darius M i 1 h a u d, in zwei Fassungen, als Oper und als Schauspiel, vorliegend, ursprünglich für Max Reinhardt geschrieben (und für die Salzburger Festspiele passend), ist ja, unter anderem, der Versuch einer Selbstdarstellung des großen französischen Dichters. Sein Columbus ist, genau so wie die männliche Hauptgestalt seines „Seidenen Schuhs“, ein Mensch, ein Mann, der nicht auf ein Gran von dem verzichten will, was ihm Gott und Dämon gegeben haben: Wahn und Wille, Gier und Vermessenheit, Sehnsucht, Herrschsucht und Inbrunst des Glaubens. Das ist ein ganz eigentümlicher Glaube, und der Zuschauer tut gut daran, diesen Glauben des „Columbus" mit dem Glauben seiner Mitmenschen zu konfrontieren. Nur so wird nämlich verständlich, warum diese beiden Glaubensformen einander mörderisch bekämpfen. Columbus-Claudel weiß um die unbändige Schöpfermacht, die Gott dem begnadeten, erlesenen Menschen eingesenkt hat, und in den Stunden der Krisis und Bewährung verschmilzt dieser Glaube an die Urmacht der eigenen Person nahezu nahtlos mit dem Glauben an den Schöpfer hinter dem Geschöpf. Dieser prometheische, früher hätte man gesagt „faustische“ und „dionysische Glaube" der starken Persönlichkeit an das Quellen Gottes aus ihren eigenen Tiefen muß den minderbemittelten Mitmenschen als Wahnsinn und Vermessenheit, ja als Verbrechen erscheinen. Sie werden also nicht ruhen, bis sie diesen unheimlich Glaubenden zerbrochen haben; wirklich zerbrechen kann er aber nur an sich selbst, am Uebermaß seiner Schau, seines physischen und metaphysischen Machtwillens Claudels Columbus ist König, Weltherrscher und Bettler, weil er wesenhaft seinen Mitmenschen und sich selbst Himmel Und Erde in einer grandiosen und hybriden Vision vermählt. Sein „Amerika“ ist gleichzeitig ein fernes auszubeutendes Land und das Reich Gottes, ein Reich, nicht von dieser Welt, das nur durch den Tod und letzte Entsagung hindurch zu „erreichen" ist. ' Grandios die Szene der Rebellion der Mitfahfer bei der ersten Fahrt „hinüber": Claudel- Columb.us bekennt da seinen entsetzten Zeit- und Fahrtgenossen, daß er ja gar nicht ankommen will: ankommen in einem Lande, wie seine Gefährten es eben wollen, in einem Lande, in dem man ißt und trinkt, schläft und sich herumtreibt, sich freut und den Strohtod, satt und alt und müde, im langsam erkaltenden, Bette stirbt. Nackt bekennt da Claudel- Columbus: die Fahrt, die Lebensfahrt, die Aufgabe des Menschen, gilt der „großen Reise“ hinüber: in das Reich der Himmel, jenseits aller Menschlichkeiten. Dieser großen Szene gesellt sich ebenbürtig jene andere, die den in Ketten gelegten Vizekönig Christoph Columbus, gebunden an den Mast des Schiffes im Sturm der Heimkehr zeigt: dieser neue Faust gebietet dem Sturm und den Wellen, aus der Macht seines unüberwindlichen Willens. Höchste Erhebung und Ueberhebung und tiefste Erniedrigung sind' hier ver- schwistert. — Es ist das Verdienst Rotts und des ganzen Ensembles der Burg und aller ihrer Mitarbeiter (sogar die Wiener Sängerknaben wurden auf- geboten), dieses Pandämonium der Leidenschaft eines Ich gebändigt, verklärt, in der Ordnung einer schönen Schau zur Darstellung zu bringen. Es ist sublimste Ironie Claudels (wobei er sich hier nicht ganz selbst durchschaut), diesen Sang einer vermessenen Leidenschaft als Oratorium zu gestalten, unterstützt, mit äußerster Diskretion, durch die Musik Milhauds. Diskretion verbindet sich in dieser hochbarocken Aufführung eines barocken Werkes meisterhaft den für unsere modernen empfindlichen Sinne übertönenden Worten und Gesten. Skoda, der als Sprecher das Buch von Christoph Columbus dem Publikum berichtet, übt diese Diskretion in wohltuender Selbstzucht und trägt dergestalt wesentlich die gan,ze Aufführung mit. Ewald Baiser ist, als Columbus, eine würdige Erscheinung, Judith Holzmeister licht und liebenswert als seine Beatriče, Spaniens Königin Isabella. — Zum Ganzen nochmals die Notiz des Einganges: eine Aufführung für die Salzburger Festspiele.

Festpremiere zum Eingang des Wiener Faschings: „Der Unbestechliche" von Hugo von Hofmannsthal im Akademietheater. Die Uraufführung, 1924, war ein glatter Durchfall. Wir verstehen das heute: Wien, das Oesterreich einer trüben und verworrenen Zwischenzeit, vermochte mit dieser liebenswürdigen Erinnerung an ein tändelndes, spielerisches Oesterreich einer „guten Gesellschaft“ von 1912 auf dem Gute der Frau Baronin nicht viel anzufangen. Man war zu befangen. Heute sind wir es nicht mehr; und sehen deshalb in dieser Komödie weniger die Schatten der Dekadenz, die Hofmannsthal behutsam kritisch über die Bühne gleiten läßt, wie schmale Wolkenschatten über einen immer heiteren Himmel, sondern das beglückende Menschliche. „Der Unbestechliche“ behandelt in einer einfachen Fabel ein Leitmotiv Hofmannsthals: die Treue, die Mitm-nschlichkeit, die eheliche Liebe zwis-ben Mpmi "nd Frau. In Vertretung des lieben Gottes hat die Regie seiner Vorsehung den Diener Theodor (Josef Meinrad), hier in der gegenwärtigen

Aufführung ein Faktotum, übernommen, das in seiner Sprache bereits die Humanitäten und Eigenheiten der böhmischen, ungarischen, polnischen und anderen außerdeutschen „dienstbaren Geister“ der alten Monarchie verkörpert. (Oh, hätten die Repräsentanten der damals herrschenden Gesellschaft diese Geister nur ebenso gut zu hüten vermocht, wie hier die alte Baronin, von Adrienne Geßner wieder einmal zu einer ihrer unvergeßlichen Gestalten verdichtet.) Theodor kittet also die innerlich noch kaum vollzogene Ehe des jungen Barons (Lindtner) mit seiner charmanten jungen Frau (Inge Brückelmeier) zusammen, indem er zwei ältere Freundinnen (Martha Marbo und Jane Tilden) des nicht mehr so ganz jungen Herrn sehr entschieden hinauskomplimentiert. Wenn er am Ende des heiteren, flotten Spiels, das knapp zwei Stunden währt, den nächtlichen Aufstieg zu seiner Liebsten (Gusti Wolf) unternimmt, entläßt ihn und das Stück das Publikum höchst ungern. Ein gutes Zeichen für den Erfolg dieser Neuaufführung.

„Jenseits vom Paradies ,, von Herbert Asmodi im Volkstheater, von Leon Epp mutig als ein Versuch eines jungen Autors herausgebracht, ist nicht nur durch John Steinbecks „Jenseits von Eden“ beeindruckt, sondern verdient vor allem Beachtung durch sein Bemühen, zum Naturalismus des jungen Hauptmann zurückzukehren. Porträt einer zerfallenden, einst großbürgerlichen Familie. Elli von Strosch (Paula Pflüger), Witwe und Freundin eines Industriellen (Otto Wögerer), der die Familie unterhält und seine blutjunge Tochter (Lotte Ledi) unfreiwillig dem verkommenen dunklen Bruder (Harry Fuß) preisgibt. Der lichte Bruder (Ernst Meister) bemüht sich, das Gut wieder in die Höhe zu bringen. Das Mädchen erschießt sich, wobei der Autor einige Mühe hat, seine dazu benötigten Requisiten, einen verheimlichten Brief und den Revolver, einigermaßen glaubwürdig auf die Bühne zu bringen. — Als Ganzes? — Warten wir ab. Vielleicht entsteht, in der sozialen Spannung in der heutigen westdeutschen Bundesrepublik zwischen übersatten Kreisen und anderen Elementen, ein neues deutsches naturalistisches Drama, das dann einer Situation seine Entstehung verdanken wird, die nicht ungleich ist dem Wilhelminum um 1890 und 1900. Wenn diese Entwicklung eintreten sollte, wird man Asmodis mit dem Hauptmann-Preis ausgezeichnetes Stück als einen beachtenswerten Vorläufer klassifizieren: wenn diese Entwicklung ausbleibt, bleibt das Stück, was es auch ist: eine Reprise von Themen, die zwischen Halbe und Hauptmann bereits in weit stärkerer Form variiert wurden. Die Aufführung ist sehr sorgfältig vorbereitet und macht dem Volkstheater alle Ehre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung