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Claudels Gespräch mit Hiob

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DAS GÖTTLICHE ABENTEUER, Paul Claudel und sein Werk. Ton Andre Eaptan de la Maestre. Otto-Müller-Verlag, Saliburg 1868. 380 Selten. S 336.—.

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DAS GÖTTLICHE ABENTEUER, Paul Claudel und sein Werk. Ton Andre Eaptan de la Maestre. Otto-Müller-Verlag, Saliburg 1868. 380 Selten. S 336.—.

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Franz Blei sagt einmal von Claudel: das einzige Kreuz, das er mit Würde trug, war das der Ehrenlegion. Das mag den Augen aller christlichen Claudel-Enthusiasten eine Blasphemie erscheinen. Und wenn Claudel von sich selbst gesteht: „du elender Spießbürger, der immer noch im Schlamme der Vergangenheit watet”, wird man vielleicht geneigt sein, ein solches Geständnis mit aufrichtigen Gefühlen christlicher Demut zu vergleichen, ohne einen allzu realen Hintergrund anzunehmen. Die offizielle christliche Kritik hat ihn zum Künder christlicher Glaubensgewißheit und Ver- herrlicher der göttlichen Vorsehung, die auch auf krummen Linien gerade zu schreiben weiß, erkoren. Hat man jedoch die Studien einiger weniger Fachleute, hier in Österreich die dies Professor Espiau de la Maestre vom französischen Institut in Wien genauer verfolgt, von denen er in Vorträgen und Essays immer wieder einige Proben ablegte, die aufhorchen ließen, dann kann man wahrhaftig auf das göttliche Abenteuer Claudels gespannt sein, das er uns nun in einem umfangreichen Buch bis in kleinste Details in Szene setzt. Schon daß er Claudel in seinem früheren Werk „Der Sinn und das Absurde” (im gleichen Verlag) in eine Reihe mit Sartre, Camus, Mal- raux und Pėguy stellte, sollte stutzig gemacht haben. Jetzt nun breitet der Autor sein Beweismaterial vor unseren Augen aus, das er in jahrelangen gründlichen Forschungen gesammelt hat, und man muß sich eingestehen, daß er zu den wenigen wirklichen Claudel-Fachleuten der Welt zählt, die keine Klischeevorstellungen Wiederkäuen oder zu zementieren versuchen, Amicus Plato, magis arnica veritas! Freund Claudel wird hier absolut nicht zum Feind pejorisiert, sondern um der Wahrheit willen zum Freund des Menschen aus Adam und Eva gemacht. Das Scheitern, die Anklage, das Schweigen, die Schwere des Körpers, das Unglück unseres Existierens, die Programmierung des Bösen, solche Titel des Inhaltverzeichnisses lassen schon ahnen, daß auch er an der Tragik und Schuld der conditio humana partizipierte, und zwar ohne sie allzu schnell mit einem „postulatorischen Optimismus” ans Jenseits zu veruntreuen.

Der bekannte Regisseur Jean- Louis Barrault schreibt tief erschüttert und blaß von den letzten Proben mit dem „Patriarchen, der im Kreis einer großen und edlen Familie würdevoll thront”: „Claudel kommt: sein Gesicht ist aufgewühlt, die Augen vom Weinen gerötet… sein Herz fließt über von Geständnissen über den Ursprung seines Dramas… Und dann, weinend, schluchzend, schnaubend, mit den Zähnen klappernd, stößt Claudel mit seiner alten und vor Rührung zitternden Stimme das schöne, leidenschaftliche Lied eines untröstbar Liebenden hervor.” Es handelt sich um die Dramen „Mittagswende” und „Der seidene Schuh”. Mit 76 Jahren noch verzehrte ihn also das tragische Liebeserlebnis, dem ein Kind (Donna Musica) entsprossen war. Seine Seele war also sehr real verwundet. Das große, blitzartige Bekehrungserlebnis, ein Paradestück aller christlichen Apologeten, geriet der Erinnerung wohl etwas zu dramatisiert, jedenfalls schematisiert. Vom Scheitern seines Priesterberufes, auf Grund einer „Zurückweisung Gottes”, ist er schon sehr schwer losgekommen, erst recht nicht von der „Schwere seines Körpers”, indem der Stachel einer illegalen Liebe schwärte. Das waren Prüfungen, die sein ganzes Welt- und Glaubensbild überschatteten, ja abschnittweise infizierten. So hebt das Gespräch des Menschen Job, Hiob, mit Claudel an, aus seinem Innern selbst spricht er, er war von Anfang an in ihm gegenwärtig. Die großen Bibelkommentare machen das nur ausdrücklich bewußt. „Wer hat jemals die Sache des Menschen mit solcher Kühnheit und mit solcher Kraft verfochten? Wem hat sich jemals aus der Tiefe seines Glaubens ein solcher Schrei entrungen, ein solches Aufbegehren, eine solche Lästerung?” kommentiert Claudel. Ja, Klage und Anklage, Revolte und Blasphemie trägt jetzt die Stimme des Dichters, ob des Scheitems, ob der Programmierung des Bösen in der Welt, ob der „Schöpferkammer”, die eine „Folterkammer” ist. Gott scheint mit dem Übel und dem Teufel zu paktieren, um den Menschen Not und Tod aufzuzwingen. Die Schöpfungsordnung erscheint nicht mehr aus der Allmacht Gottes hervorgegangen, er hatte auf Grund des Falles der Engel sozusagen die Hände nicht mehr frei, und Luzifer beteiligte sich an der Mißgestaltung des Kosmos. Durch die Schöpfung geht ein Riß, ein Zwiespalt, der alles ambivalent macht, teils gut teils böse, teils herrliches Abbild Gottes teils satanische Verfluch theit, am schmerzlichsten sich offenbarend in der Liebe. „Ich erhebe Klage gegen dieses Durcheinander aller Art und gegen diese verworrenen Absichten, die mich, wie man sagt, den Verstand verlieren lassen.”

So also sieht das Motto vom „Seidenen Schuh” in Wirklichkeit aus: „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen” und „etiam peccata”. Nicht nur das Leben Claudels, auch das Lesen dieses Buches über ihn wird zu einem „göttlichen Abenteuer”, mit dem Ton auf dem Abenteuer. Claudel wird hier ent- mythologisiert. Doch nur, um den Menschen und Dichter zu rehabilitieren. Er war eben nicht der souverän über dem Elend der Welt thronende, alles durchschauende, mit allzeit funktionierender Finalität auf Gott hinlenkende Herold einer christlichen Poetisierung der Welt, zu dem ihn die meisten Interpreten gemacht haben. Kapitel für Kapitel fällt etwas vom verschnörkelten Goldzierat seines „Barocktriumphalismus” ab, dafür aber offenbaren sich die menschlichen, allzumenschlichen Züge einer Kreatur aus Adam und Eva. Wenn auch manche dieser Kapitel mit langem Atem geschrieben sind, so enthalten sie doch eine Fülle von Material und Details und Interpretationen, die bisher größtenteils, auch der offiziellen Claudel- Kritik, unbekannt waren. Die geistreiche Sprache und Formulierungskunst des Franzosen wird jeder Leser zu gustieren wissen.

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