6572409-1950_26_10.jpg
Digital In Arbeit

Clissa

Werbung
Werbung
Werbung

Drüben steht wie ein weißer Fleck auf dem steinigen Bergsattel ober Spalato die alte, vielumrungene Feste.

Eine schwarze, schwerflüssige Glasmasse, brütet die Meeresbucht von Salona unter einem von Dunstwolken verhangenen Sonnenhimmel. Fast bis zum Hafen reichen die aufgedeckten Überreste der antiken Stadt, rechts führt die Straße an der Gradina — dem aus dem Jahre 1349 stammenden Kastell Ugolino Malabrancas, des streitbaren Erzbischofs von Spalato, vorüber durch das stark zerstörte Dorf Salona mit seinen blitzend weißen Steinhäusern und Gassen. Längs des blaugrünen, schilfgesäumten Jader dehnt sich fruchtreiches Gelände, Mutterschafe und Lämmer grasen geruhsam in den Uferauen, Bauerngehöfte verlieren sich im Grün der Obstkulturen. Das Silbergrau der Olivenbäume, von tiefem Blauschwarz schlanker Zypressen häufig unterbrochen, klettert bis zum Saume einer jäh aufragenden Bergwand, deren Höhe die alte Trutz-veste Clissa trägt.

Wie die Ferne das Bild einer Bausteinkastenburg, so erwartet man lächelnd im Aufwärtssteigen lanzenbewehrte Krieger von der Höhe herabstürmen zu sehen. Allerdings weckt der Burgfels, den hier aus hellem Wiesengrund lugende hochrote Anemonen, blaßlila Zyklamen und blaue Margueriten schmücken, sanfte Gefühle, Meisen und Blaudrosseln jubeln I pnzhymnen, gelbe Schmetterlinge schaukeln auf hochstieligen Feldlilien, goldglänzende Käfer promenieren über Rosmaringebüsch. Durch das Duttmeer von Lavendel und Salbei strebt, eine flüchtige Wolke, eine Lämmerherde dem seitwärts in Terrassen sich auftürmenden Dorfe Clissa zu.

Der Vorrücken der Höhe wäre erstiegen, von der blendenden Straße schweift der Blick dahin, wo dräuend der breite Kopf des zerfurchten Koziak-walls sich prahlend aufreckt, bis er fast an den widerlich kahlen Büffelschädel des Mosors anstößt, dahinter, ein Gruß der Dinarischen Alpen, sticht der Svilaja in den Äther, seine Knie umlagern dichte Wolken. Da dringen Sonnenfackeln durchs Gedünst, wie von mächtigen Scheinwerfern erhellt, erscheint auf weißer Felsnadel Veste Clissa, lichtwellen-umfunkelt, feurig, groß.

Um die steile Pyramide der Steinklippe winden sich Umfassungsmauerzüge, aus deren Kern, wie aus dem Fels gehauen, brutale Wehrtürme aufragen, die, wie alle Festungsanlagen, aus verschiedenen Bauperioden stammen. Einige, auf antikem Fundamente ruhend, waren von den Römern zum Schutze Salonas angelegt. Ein nahe der Burg gefundener Sarkophagdeckel trägt lateinisch und griechisch die Worte: „Sieg — Tod — Sieg.“ Älteste Schriften erwähnen bereits die unbe-zwingliche Schanze“ und „den Schlüssel Illyricums oberhalb Salonas“, doch beginnt die eigentliche Geschichte der Burg erst um 639, als die nach dem Avarenansturm eingedrungenen kriegerischen Weißkroaten, auf ihrem Zuge gegen die Adria vorstoßend, die Burg eroberten, wie dies der kaiserliche Historiker Konstantin Porphyrogenetos (10. Jahrhundert), der sie erstmalig „Clissa“ nennt, in seinem Werke „De Administrandum Irnperio“ beschreibt.

„Vaterlandsliebe — Freiheit — Mitleid“ waren die Worte, welche bosnische Krieger 1389 in die erstürmten Burgmauern meißelten. Als Venedig 1494 die Veste nahm, ritzten die Eroberer „Ende der Slawenherrschaft“ an weithin sichtbarer Stelle der Mauer ein. Es folgten die Türken, die sodann den-Ungarn weichen mußten. Damals, um 1523, nahm Peter Kruzic, ein im Solde Ungarns stehender Kroatenhäuptling, bosnische Uskoken in

Clissa auf, die.schon 1583, beim neuerlichen Herannahen der Türken, aus der Festung flohen und später von den Österreichern in Zengg, bei Fiume, angesiedelt wurden. Die schmale Silhouette Clissas zeigte fortan neben Türmen die hohe Kuppel mit dem Halbmondzeichen und das noch höhere schlanke Minarett. 1648 eroberte Venedig neuerlich Clissa und leistete es sich, die weiße Kuppelmoschee mit der goldenen Mondsichel gründlich zu zerstören. Nur einen kleinen Bau davon innerhalb der Veste, ließen sie bestehen, diesen wandelten sie zur christlichen Kapelle und weihten sie Sankt Veit. Dieses fremdartige Kirchlein sowie ein seltsamer Sebilbrunnen sind einzig sichtbare Erinnerungen an die Türkenherrschaft. Nach 130 Jahren ersetzte der Doppeladler Österreichs den Löwen San Marcos. Wohl gab es noch ein französisches Intermezzo, dann nahm die Doppelmonarchie — 1813 — Clissa dauernd in Besitz. Dauernd? Wie auf dem Sarkophag des Unbekannten geschrieben, schwingt sich durch die Gezeiten das Leitmotiv allen Lebens: „Sieg — Tod — Sieg.“ Clissa jugoslawisch, 1941 kroatisch, 1945 neuerlich jugoslawisch.

Stumpf sind die Lanzen der antiken Zeit, veraltet uneinnehmbare Festungen von gestern. Auch Clissa ist nur ein Symbol hoffnungslosen Kampfes, kein Weiheglanz, kein Loblied verklärt seine vergänglichen Siege.

über einer Pforte der mächtigen Steilmauer aus österreichischen Tagen ist die Inschrift „Franciscus_ I. Imperator 1825“ eingegraben. Weshalb will das Herz trauern? Das Schicksal nahm seinen Lauf.

„Helios' Glanz“ belichtet dem ermüdeten Auge bunte Blumenbüschel, die scharlachrot, türkisblau, honiggelb aus Mauerritzen sprießen, Farbenfreudigkeit ins blendend Grelle der Steine bringend.

Wozu über das Kismet der Burg grübeln? Er ward ihr auferlegt, von Hand zu Hand zu gehen, weil das Gelände, auf welchem sie steht, landeinwärts offen steht. Keinen heroischen Anblick bietet sie dem aus der Richtung von Sinj Kommenden, der sie eher für das alte Schloß eines Landjunkers halten könnte. Unergründlich, weshalb hier so viel Blut vergossen werden mußte, die einzige Grabmusik versunkener Geschlechter ist das melancholische Lied der Turmeulen, begleitet vom Geheule der Bora. Clissa, Turm der Winde, unvergleichlichste Aussichtswarte Dalmatiens! Wechselreiche Bilder öffnen sich nach allen

Himmelsrichtungen. Bleigraue Schieferschluchten, deren wilde Verlassenheiten vorsintflutlich starren, daneben blendendes Karstgestein, das Schneefelder vorspiegelt. Etwas weiter jubelndes Rot blühender Granatbäume, Weinrebenkulturen, dann dre anheimelnden weißen Steindächer und der ganz italienische Campanile Dorf Clissas. Getreidefelder in den Mulden der Ebene und in urbar gewordenen Sümpfen.

Das gartengleiche Gelände Salonas, vom Lichtband des Jader durchzogen, der blaugrüne Fichtenhausberg Spalatos, und die ultramodernste, gleichfallsden Namen „Salona“ tragende Fabrikstadt. In Majdan, wo die vom Clissafels stürzenden Quellen sich zum Jaderflusse vereinen, zwei große Zementfabriken, nahe der Bahnstation Salona eine dritte, dabei die Salonitfabrik, über die zerfranste Wolkenballen aufflattern. Kastell Sußu-rac, das völlig industrialisierte erste der sieben Uferkastelldörfer, birgt die neuesten riesigen Chlor erzeugenden „Jugi-vinil “-Werke, ihre nüchternen Gebäude adelt das Sonnenfeuer, ein wahrer Sprühregen von Gold und Licht spielt über sie hin. Im „Nordhafen“ Spalatos, der sich noch im Bau befindet und nach seiner Vollendung den ganzen Schiffsverkehr aufnehmen soll, verharren, schwarz und weiß, fremde Handelsdampfer, schwer und leblos. Die Schiffswerft umkräuseln grüne Schlaglichter, über die Docks lecken milchweiße Schaumkämme. Gläsern, in ferner Tiefe, die inselreiche Adria, doch hat sie sich amethystblau verfärbt und ist an der Spitze Vranjicas zu einer einzigen, seltsam wildschaukelnden Silberglut geworden.

In einer Stunde haben wir Borasturm“, rufen uns auf kleinen Eseln vorübertrabende Bauern zu. Und wirklich hört man in der Luft jenes Getöse ,wildgaloppierender Rossegespanne“, das Herannahen eines Unwetters ankündigend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung