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Clisson und Eugenie

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Clisson war für den Krieg geboren. Schon als Kind kannte er das Leben der großen Heerführer. Während seine Altersgenossen in der Schule saßen und den Mädchen nachliefen, grübelte er über die Grundregeln der Kriegskunst. Von dem Tage an, als er Waffen trug, war jeder seiner Feldzüge von aufsehenerregenden Taten begleitet. Schon als Jüngling hatte er die höchste Stufe der soldatischen Laufbahn erklommen. Das Glück stand immer seinem Genie zur Seite. Ein Sieg folgte dem anderen. Er war dem ganzen Volke als einer seiner teuersten Verteidiger bekannt. Seine Seele fand aber keine Befriedigung. Der Kummer, den die Bosheit des Neides erzeugt, nagt spürbar an seinem Herzen. Clisson war wie alle Menschen zum Glücke geboren, bisher aber nur bis zum Ruhme vorgedrungen. Der Krieg hörte für kurze Zeit auf, und Clisson lernte Eugenie kennen. Eugenie war sechzehn Jahre alt, hatte hübsche Augen, war normal gewachsen. Wenn auch nicht gerade häßlich, so war sie doch keine Schönheit, wohl aber strahlte ihr Wesen Güte, Sanftheit und lebhafte Zärtlichkeit aus. Clisson hatte bisher Frauen und Liebe verachtet, aber Zärtlichkeit kennt keine Gesetze, und Sanftheit findet keinen Widerstand. Clisson schätzte Eugenie. Sein Herz, an Siege und bedeutende Unternehmungen gewohnt, verlieh bald seiner Leidenschaft die Züge der Stärke, der Unbeugsamke.it die u ihm gehörten. Die gute Eugenie

begriff, daß es ilhr Schicksal war, sich mit dem dieses großen Mannes zu verbinden, und versprach ihm ewige Liebe. Clisson versprach sie ihr ebenso.

*

Eugenie sah niemals einen Mann fest an, sie lächelte mit Anmut, wobei sie die schönsten Zähne sehen ließ. Reichte man ihr die Hand, so gab sie sie schüchtern und zag sie sofort wieder zurück. Man könnte meinen, sie scheute sich, ihre schönen Hände zu zeigen, auf deren weißer Haut sich das Blau der Adern abzeichnete. *

Eugenie wirkte wie der Gesang der Nachtigall oder wie ein Werk von Paisiello, das einzig und allein dem empfindsamen Herzen zusagt, dessen Melodie nur die Herzen bewegt und begeistert, die dazu geschaffen sind, lebhaft zu empfinden, während es der Menge nur etwas Alltägliches zu sein scheint

Clisson beklagte sich nicht, er kümmerte sich nicht mehr um Menschen, um Bosheiten, um den Krieg. Er lebte nur noch für Eugenie. Sie sahen sich oft, sie überwanden alle Hindernisse und gehörten für immer einander. Was die Liebe an Preisens-wertem, das Fühlen an Sanftem, das Sehnen an Köstlichem hat, all dies setzte das Herz dieser beiden Liebenden in Brand.

Clisson vergaß den Krieg, er bedauerte jeden Augenblick, den er ohne Eugenie verbracht und nicht für sie geatmet hatte. Er labte nur noch seiner Liebe und verzichtete auf den Ruhm.

Drei Monate, die Jahre flogen schnell wie Stunden dahin, sie bekamen Kinder und blieben immer Liebende. Eugenie liebte ebenso beständig, wie sie geliebt wurde, es gab kein Sorge, kein Vergnügen, kein

Mißgeschick, das sie nicht miteinander geteilt hätten. Man hätte sagen können, die Natur habe ihnen das gleiche Herz, die gleiche Seele, das gleiche Empfinden geschenkt. *

Eugenie war zweiundzwanzig Jahre alt geworden, kam sich aber noch immer wie im ersten Jahr ihrer Ehe vor. Vielleicht hat das Sehnen zweier Herzen niemals enger zwei Seelen vereint, nie die Liebe mit aü ihren Launen zwei so unterschiedliche Wesen miteinander verbunden. Das Zusammenleben mit einem Manne von so großen Verdiensten, wie es Clisson war, hatte Eugenie vervollkommnet, ihre Seele bereichert, ihr überzartes und überemp-flndsames Gemüt hatte die Stärke und die Tatkraft erlangt, wie sie die Mutter der Kinder eines Clisson haben mußte. Er aber war nicht mehr düster, nicht mehr traurig, sein Wesen hatte die Anmut und die Liebenswürdigkeit seiner Geliebten übernommen. Sein hoher militärischer Rang hatte ihn einst ans Befehlen gewöhnt, aber auch stolz und gelegentlich hart gemacht — Euge-nies Liebe machte ihn mitfühlender und weicher.

Sie lebten ganz zurückgezogen, sahen wenig Gäste bei sich, sie waren wenig bekannt, nicht einmal bei ihren Nachbarn und der ländlichen Bevölkerung, die in ihnen Menschenfeinde oder Narren sah; sie hatten keine Berührung mit der Außenwelt, außer daß sie Unglücklichen halfen, die allein sie deshalb verehrten und segneten. Dies tröstete sie über die Mißbilligung der blöden Menge hinweg.

Düster Ahnungen bewegten seit einigen Tagen Eugehies Seele, ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihr Herz erbebte, sie schmiegte sich an Clisson, preßte ihn fest an ich und umklammerte ihn mit ihren Armen. Sie konnte sich nicht von ihm trennen. Trübgestimmt... am Tage, gerührt und zärtlich bei Nacht, sah die gut Eugenie eine ungewisse Zukunft vor sich, und ihr Verstand konnte nicht zur Ruhe kommen. „Clisson“, sagte sie eines Tages zu ihm, während sie Sophie auf dem Arme trug, „welch düstere Zukunft ist uns doch bestimmt! Doch wenn dein Herz aufhört, mich zu lieben, mir treu zu sein, dann reiß mir das Leben aus!“ Clisson, den die Liebe und die Natur und die Verehrung unauflöslich an Eugenie banden, nahm sich ihren Schmerz zu Herzen und zerstreute ihre Befürchtungen. „Eugenie“, erwiderte er ihr oft, „an dem Tage, da ich dein Schicksal mit dem meinen verband, habe ich geschworen, dein Leben zu beschützen und dich in deiner Schwachheit zu stützen. Dein Gatte wird niemals aufhören, dein Geliebter zu sein. Ja, er wird sich nicht ändern, er wird

immer für dich leben und niemals deinen Tod überleben!“

*

Sie lagen im ersten Schlaf, als Clisson von nahendem Pferdagetrappel und Stimmenlärm geweckt wurde. Er steht auf und erblickt einen seiner früheren Kuriere, der ihm einen Brief der Regierung bringt: es war der Befehl, binnen 24 Stunden nach Paris zu kommen, wo er mit einer wichtigen Aufgabe betraut werden sollte, die man nur seinen Fähigkeiten anvertrauen wollte.

Unglückliche Eugenie, du schläfst, und man entreißt dir deinen Geliebten! .Jetzt also erklärt sich das schreckliche Geheimnis“, rief sie, „jetzt also ist das Unglück Wirklichkeit geworden! Oh, Clisson, du verläßt mich. Wieder siehst du das Spiel des menschlichen Wahnsinns und des wechselvollen Schicksals. Leib wohl, mein Glück, lebt wohl, glückliche Tage, so vergänglich und so undenkbar kurz, für mich habt ihr jeden Wert verloren!“ Sie war bleich, hinfällig und wie leblos. Clisson war um nichts etwa ruhiger, aber er mußte gehen. Schon befand er sich an der Spitze eines Heeres. Er tat keinen Schritt, ohne an seine Eugenie zu denken, ohne ihr Beweise seiner Liebe zuzuleiten. Sein Name wurde zum Symbol des Sieges, seine Talente und sein Glück ließen es wachsen. Alles gelang ihm, er übertraf all Hoffnungen des Volkes und des Heeres, das ihm seine Triumphe verdankte. So jung noch, so unersetzlich seiner

Familie und dem Vaterlande, mußte Clisson schon bald sein Ende erleben!

Seit mehreren Jahren schon war er

von seiner Geliebten getrennt, kein Tag verstrich, an dam er nicht zärtliche Briefe von ihr bekommen hätte, die ihn in seinem Mute bestärkten und seine Liebe festigten. In einem Gefecht mußte er sich Gefahren aussetzen, er wurde bedenklich verwundet. Das Gerücht vergrößerte die Gefahr. Er sandte Berville, einen seiner Offiziere, um seine Frau zu unterrichten und ihr bis zu seiner völligen Genesung Gesellschaft au leisten. In Berville keimten zum ersten Male die Leidenschaften, sein Herz hatte noch nie geliebt Er glich einem müden, verirrten Wanderer, der am Ende eines langen Weges umherblickt, um zu sehen, wo er die Nacht ruhen kann. Er suchte eine Zuflucht für sein Herz. Er erblickt Eugenie, mischte sein* Tränen In die ihren, teilte ihren Kummer. Den ganzen Tag sprachen sie von Clisson und seinem Unglück. Unerfahren in allen Leidenschaften, glautote er, nur durch eine zärtliche Freundschaft belebt zu sein. Schon aber hatte sich seiner eine Leidenschaft bemächtigt, die um so feuriger wurde, je mehr er sie zu verheimlichen suchte und je unf aßlicher sie ihm selber war. Er vergötterte Eugenie. Diese aber hegte nicht den leisesten Verdacht gegen den Freund ihres Gatten. Schon schreibt sie weniger häufig, weniger ausführlich, schon ist Clisson bedrückt und unruhig. Von seinen ruhmreichen Verwundungen ist er wiederhergestellt alber eine Angst, die er sich nicht verbergen kann, verrät die Aufregung seines Herzens. Eugenie schreibt ihm nicht mehr, Eugenie liebt ihn nicht mehr. Berville schreibt ihm nur gezwungen und ohne jede Anteilnahme. Tag und Nacht denkt er an sein Unglück. In der ersten Aufwallung will er nach Chaimpvert eilen und Eugenie dem Uniglück, der Schande entreißen. Aber das Heer, seine Aufgabe im Stich lassen? Das Vaterland hatte ihn hierher gestellt!

„Es ist zwei Uhr nach Mitternacht Alles ist zum Sterben bereit. Die Befehl sind erteilt Di Schlacht steht

bevor. Wieviel Blut wird morgen diesen Boden netzen? Du aber, Eugenie, was wirst du sagen, was wirst du tun, was wird aus dir? Freue dich über meinen Tod, verfluch mein Andenken und lebe glücklich!“ Bei Tagesanbruch wurde zum Generalangriff getrommelt Die Biwakfeuer erloschen. Die Kolonnen entfalteten sich. Der Tod schritt durch die Reihen.

„Wieviel Unglücklich bangen um ihr Leben und wünschen, es sich noch zu erhalten. Nur ich will damit Schluß machen, Eugenie allein hat es mir gegeben!“

Man meldet ihm, der rechte Flügel sei geschlagen, man bedränge die Mitte — sie liegt im Todeskampfe — wenig später meldet man: die Mitte hat gesiegt, aber links---Verstärkungen werden eingesetzt. „Leb wohl, die ich zur Richterin meines Labens erwählt hatte, leb wohl, Gefährtin meiner schönsten Tage! In Deinen Armen, in Deiner Gesell-

schaft habe ich das höchste Glück genossen. Ich habe das Leben, ich habe das Glück ausgekostet Was bleibt mir für das kommende Alter als Verdruß und Langeweile? Mit echsundzwanzig Jahren habe ich schon das flüchtige Glück des Ruhmes genossen. Aber in Deiner Liebe lernte ich die köstlichsten Freuden des Lebens für einen Mann kennen. Diese Erinnerungen zerreißen mir das Herz. Mögest Du nur glücklich leben und nicht mehr an Deinen unglücklichen Clisson denken. Umarme meine Kinder, hoffentlich haben sie nicht die glühende Seele ihres Vaters, um nicht wie er ein Opfer der Menschen, des Ruhmes und der Liebe zu werden!“

Er faltet diesen Brief zusammen, gibt inem Adjutanten den Befehl, ihn unverzüglich Eugenie zu überbringen, setzt sich an die Spitze einer Schwadron, stürzt sich tollkühn in den Kampf und verscheidet, von tausend Kugeln durchbohrt.

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