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COCTEAU UND SATIE

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Die Musik als Kunst, die sogenannte abendlandische Musik, ist kaum vierhundert Jahre alt, sie lebt im Zustand der Entwicklung, vielleicht im allerersten Stadium einer noch unab- sehbaren Entwicklung — und wir sprechen von Klassikern und geheiligten Traditionen,.. Wir haben Regeln formuliert, Prin- zipien aufgestellt, Gesetze vorgeschrieben — wir wenden die Gesetze der Erwachsenen auf ein Kind an, das die Verantwor- tung noch nicht kennt. So jung es ist, dieses Kind, eine strah-

Von einer freien Musik — im Freien — traumte um die gleiche Zeit auch ein anderer Musiker, Claude Debussy, musicien fraiifais. Er stellte sich diese Musik vor: von einem riesigen Orchester ausgeffihrt, das durch menschliche Stimmen verstarkt ist, eigens fiir das Freie komponiert, also grofilinig und mit ganz neuen klanglichen Wirkungen, ohne all die „kleinen willkiirlichen formalen Torheiten” der Konzertsaalmusik. Das Rauschen der Blatter und der Duft der Blumen konnte dabei geheimnisvoll mitwirken, und die guten stillen Baume wurden gerne die Pfeifen einer Orgel des Alls bilden, und an ihren Zweigen durften Trauben von Kindern hangen, die man die hiibschen Lieder von einst lehren wurde . . .

Debussy selbst hat solche Musik geschrieben, er war der erste Pleinairist unter den Komponisten. Von den vier Elementen huldigte er besonders dem Wasser und der Luft. „Nuages”, „Fetes” und „Sirenes” sind die Titel seiner drei Nocturnes fiir Orchester. Das Meer, von der Morgenrote bis zum Mittag, das Spiel der Wellen und des Windes ist Klang geworden in seinem grofiten Orchesterwerk, dem Triptychon „La Mer”. Und fur sein Lieblingsinstrument, das Klavier, schrieb er die Klangzauber- spiele vom „Wind in der Ebene”, von den „Klangen und den Diiften, die sich im Abendwind vermengen”: er hat den Westwind beschwcren und Undine, die aus der dunkelgrunen Tiefe ihres Meerespalastes heraufsteigt.

Aber die Befreiung der Musik vollzog sich anders, als Debussy sie ertraumt hatte: nicht bei Massenkonzerten im Freien, sondern im Kessel der GroBstadt, in der Sphare des Kabaretts, des Zirkus und der Music Hall. Der kiihne Ritter, der die Musik aus dem Dornroschenschlaf des Akademismus erweckte, war ein bartiger Durchschnittsfranzose, ein korrekter Beamter, ein Faun mit einem Klemmer auf der Nase. Er hieB Erik Satie, war nor- mannisch-schottischer Abstammung und lebte und starb in Paris. Der Theoretiker und Fanfarenblaser der Ars nova aber war ein in alien asthetischen Fragen der Poesie und Malerei versierter Literat, von dem der Komponist Arthur Honegger einmal gesagt hat: „Ohne wirklich musikalisch zu sein, diente Jean Cocteau vielen Jungen als Fiihrer. Er erklarte den allgemeinen Sinn der Reaktion gegen die Vorkriegsasthetik (gemeint ist die des Impressionismus), und jeder von uns hat seine Lehren auf je- weils andere Art fiir sich fibersetzt.”

Diese „Lehre” findet sich in einem schmalen Bandchen, das im Jahre 1918, also zwblf Jahre nach Busonis „Entwurf”, unter dem Titel „Le coq et 1’arlequin” erschienen ist. Kaprizids und originell, wie der Titel, ist auch der Inhalt von „Hahn und Har- lekin”. Das Ganze ist weniger ein asthetisches Manifest, sondern eher eine Aphorismensammlung ,.un banquet en quelque sorte, ce qui resultait des conversations de notre groupe arnical”, wie Cocteau selbst einmal spater sagte, eine Art Tischgesprach. also zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gruppe miteinander befreundeter Kiinstler. Hier einige Proben daraus:

Das Wort Schlichtheit, das in diesen Aufzeichnungen hdufig vorkommt, verdient nahere Bestimmung. Man darf Schlichtheit weder fiir ein Synonym von Armut noch von Riickgang halten. Die Schlichtheit ist ebenso fortschrittlich wie das Raffinement, und die Schlichtheit unserer modernen Musiker ist nicht mehr die unserer Pianisten. Die Schlichtheit, die sich als Reaktion auf ein Raffinement einstellt, hangt von diesem Raffinement ab, sie erldst, sie verdichtet die erworbene Fiille.

Debussy ist vom rechten Weg abgekommen, weil er vom deutschen Hinterhalt (gemeint ist die Wagner-Musik) in die russische Faile lief. Von neuem lost das Pedal den Rhythmus auf, schafft eine Art Gefiihlsduselei, der ,,kurzsichtige” Ohren aufgeschlossen sind.

Wenn ich von der „russischen Faile”, dem „russischen Einflufl” spreche, will ich damit nicht sagen, dafl ich die russische Musik geringschatze. Die russische Musik ist bewundernswert, eben weil sie russische Musik ist. Die franko-russische oder die franko-deutsche Musik ist recht mittelmaflig, auch wenn sie sich an Mussorgsky oder ‘Strawinsky, an Wagner oder Schonberg inspiriert. — Ich verlange eine franzbsische Musik Frankreichs.

Nichts macht blutiirmer, als sich lange in einem lauen Bad treiben zu lassen. Schlufl mit der Musik, in der man sich lange treiben laflt.

Schlufl mit den Wolken, den Wellen, den Aquarien, den Un- dinen und den niichtlichen Diiften. Wir brauchen eine Musik, die fest auf der Erde steht, eine Alltagsmusik.

Der Impressionismus hat am Ende eines laiigen Festes sein hiibsches Feuerwerk angebrannt. Wir miissen jetzt Raketen fur ein anderes Fest herstellen.

Der Impressionismus ist eine Nachwirkung Wagners. Das letzte Gurren des Gewitters.

,,Pelleas” ist noch Musik, die man sich, den Kopf in den Handen, anhbrt. Jede Musik, die man sich mit dem Kopf in den Handen anhort, ist verdachtig. Wagner vertritt den Typ der Musik, die man sich, den Kopf in den Handen, anhort.

Inmitten der franzdsischen Geschmackumwalzungen und des Exotismus bleibt das Kabarett trotz des anglo-amerikanischen Einflusses ziemlich intakt. Man bewahrt dort eine gewisse Tradition, die, auch wenn sie tingeltangelt, Rasse hat. Dort konnte der junge Musiker den im germano-slawischen Labyrinth ver- lorenen Faden wieder aufnehmen.

*

X/Tan sieht aus diesen wenigen Zitaten: es geht Cocteau um eine neue Asthetik, und da die impressionistische die un- mittelbar vorausgegangene und auch die weitaus machtigste war, erfolgt die AbstoBbewegung zunachst von dieser Ebene. Gegen den Meister des Impressionismus, den ehemals hochverehrten Claude Debussy, ist auch die Bemerkung gerichtet, daB man auf ein Orchester ohne das Streicheln der Saiten hoffe und sich einen klangvollen Musikverein aus Holz, Blech und Schlagzeug wunsche.

Im Vergleich zu dem, wogegen Cocteau ist, sind die positiven Punkte und Forderungen seiner Asthetik weniger bestimmt und ‘Zahlreich,. Ein Name’ Treilich fduclit, immer wieder? auf, der E’rik’ Saties,., in dessen Musik Cocteau alle Qualitaten.alle Stilmerk- male findet, die geeignet sind. eine neue, echt- franzbsische Kunstrichtung zu begrfinden und zu fordern. Und an dieser

Wertschatzung Saties hat Cocteau sein ganzes Leben lang fest- gehalten, denn in einem Sonderheft der Revue Musicale, das im Juni 1952 erschienen und ausschlieblich Erik Satie gewidmet ist, bekennt Cocteau, daB er es sidh zur hochsten Ehre anrechne, Satie so friih verehrt, die Merkwiirdigkeiten seiner geheimnis- vollen Natur akzeptiert und ihm jenen Platz und Rang, der ihm zukommt, schon so friih eingeraumt zu haben. Und wenn man ihn heute fragen wurde, welches die groBten Musiker seiner Zeit gewesen sind, so wurde er artworten: ..Debussy und Strawinsky. Aber Satie war der einzige.”

Wer war dieser von alien Wissenden hochgeschatzte, einem breiteren Publikum, vor allem im deutschsprachigen Kulturkreis so gut wie unbekannte Kiinstler?

Erik Satie wurde 1866 geboren, ist also nur vier Jahre junger als Claude Debussy, dessen Genie er fruhzeitig erkannte, dem er durch viele Jahre in Freundschaft verbunden war, dessen Asthetik und Kunst er aber bald als uberholt bezeichnete. Satie kam relativ spat zur Musik. In seiner Jugend war er ein gliihen- der Wagnerianer und stand Sar Peladan und den Rosenkreuzern nahe. Obwoh! er als Ffinfundvierzigjahriger einen Kompositions- lehrgang an der Schola Cantorum nachholte, war er nie ein Virtuose der Kompositionstechnik. Auf den ersten Blick mag das, was er schrieb, primitiv erscheinen. Aber er verstand es, mit einem Minimum an Aufwand ein neues Kunstideal vorzustellen. Seine meist kurzen Werke sind Konzentrate, Gegenbeispiele einer gewissen Kunst des UbermaBes, der Klangschwelgerei und des ornamentalen Beiwerkes, wie man es etwa in den Werken eines Richard Strauss findet. Dieser merkwfirdige Mann mit der Me- lone, dem Regenschirm und dem Kneifer auf der Nase, der in Arcueil ein Zimmer bewohnte, das nach seinem Tod in einem geradezu unbeschreiblichen Zustand vorgefunden wurde, dieser Sonderling mit dem Faunsgesicht war einer der geistvollsten und originellsten Anreger und Wegbereiter des Neuen.

„Ich bin sehr jung in einer sehr alten Zeit zur Welt gekom- men”, sagte Satie einmal von sich. Und in der Tat ist, was er schrieb und komponierte, so direkt, einfach und amiisant, wie die Ausspruche eines klugen Kindes. Die Titel, die er seinen Kompositionen gab und die beigefiigten Kommentare konnen ihn leicht als eine literarischen Musiker erscheinen lassen. Aber Satie las nur die Bucher seiner Freunde, die Fabeln von La Fontaine und Andersens Marchen. Die Musiken anderer Komponisten (mit wenigen Ausnahmen), ja auch die Theaterstiicke, zu denen er Musik zu schreiben hatte, interessierten ihn nicht son- derlich. GewiB, er bewunderte Debussy, aber am meisten freuten ihn das Kabarett, der Zirkus, das Cafe Concert. — Trotzdem hat er es in seiner Kunst — Satie schrieb mehrere erfolgreiche Chansons — keineswegs auf den Massengeschmack und die Sensation abgesehen. Seine Kunst ist eher monologisch und intim, wie Zeichnungen von Paul Klee oder Gedichte der Gertrude Stein. Oder man konnte auch von einem ironischen Konformis- mus mit dem Gemeinplatz sprechen, eher jedenfalls als von Revolution und Biirgerschreck.

Die Titel, die er seinen Werken gab, sind nicht nur ,.skurril”, sondern sie parodieren auch die ein wenig preziosen und allzu poetischen der Debussyschen ,,Preludes”. So finden wir bei Satie „Les veritables preludes flasques pour un chien”, und als Debussy einmal aufierte, Satie habe keine Form, schickte dieser ihm die ..Morceaux en forme de poire” (Stiicke in Form einer Birne). AuBerdem finden wir bei Satie eine ..Sonatine burocratique’, „Apercus desagreables” (unangenehme Bemerkungen), eine Reihe von ,.Pieces froides” und anderes in dieser Art. Damit hatte Satie seinen SpaB.

*

Aber mit der „musique d’ameublement” war es ihm Ernst. Eines Tages fand er namlich heraus, daB die Pause in einem Konzert die Musik zu entschieden und zu plotzlich unterbricht. Daher miisse man im Foyer Musik machen, eine Musik freilich, welche die Aufmerksamkeit nicht m e h r in Anspruch nimmt, als hiibsche Mobel und Teppiche (daher die Bezeichnung ..musique d’ameublement”). Satie schrieb sofort eine ganze Reihe solcher Musikstiicke, kleine Satze fur Klavier, BaBposaune und Klari- nette, kurze Satze, die von den an verschiedenen Stellen pla- cierten Ausfunrenden beliebig oft wiederholt werden konnten, solange wie die Pause wahrte. Das Publikum sollte unterdessen plaudern, spazierengehen und Getranke bestellen. Aber das Publikum, neugierig auf die Musik, die man nicht aufmerksam anhoren sollte, unterbrach sein Geplauder, horte auf zu spa- zieren und zu’trinken und spitzte die Ohren. Worauf Satie, wiitend uber das miBlungene Experiment, wie ein Verruckter im Saal herumlief tad schrie: „Parlez-donc, parlez!”

Solche Geschichten — und viele andere Absonderlichkeiten. wie zum Beispiel die humoristischen Spielanweisungen, die er den “loten beifugte — schoben und schieben sich immer wieder zwischen Saties Werk und ein „ernsthaftes” Publikum. Es ware deshalb Zeit, Satie, den Komponisten, den Autor der ergreifen- den Kantate „Socrate” und zahlreicher hochinteressanter Kla- vierwerke in unseren Konzertsalen zu Wort kommen zu lassen. — An Cocteaus Asthetik und den Werken Saties orientierten sich die Komponi-ten Auric. Durey, Honegger. Milhaud, Poulenc und Tailleferre, die sich im Jahre 1920 zu dem Freundschafts- bund der SIX zusammenschlossen, dem eine unserer nachsten Musikseiten gewidmet sein soli.

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