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Cocteau war sein Taufpate

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DER SABBAT. Eine Chronique scendeleuse. Von Maurice Sachs. R.-Piper-A-Co.-Verlas, inunciicii. öOG ocitcn. in« —.

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DER SABBAT. Eine Chronique scendeleuse. Von Maurice Sachs. R.-Piper-A-Co.-Verlas, inunciicii. öOG ocitcn. in« —.

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Maurice Ettinghausen, der sich nach dem Mädchennamen seiner Mutter Sachs nannte, war eine Randerscheinung des Pariser Kulturlebens. Seine Mutter schilderte er als sentimental und leidenschaftlich, hilflos und getrieben; die Hoffnung trug sie von Gipfel zu Gipfel und stürzte sie hundertmal wieder in den Abgrund. Ihr Vater, der einzige aus der ganzen Verwandtschaft, der einen halbwegs guten Ruf besaß, hatte ein beträchtliches Vermögen als Diamantenhändler erworben, er war ein leidenschaftlicher Politiker (einer der zwölf Gründer der „Humanitė“), Anhänger von Jaurės und Briand sowie leidenschaftlicher Verehrer von Anatole France, der, als er von seinem Tod hörte, sagte: „Schade, er war so dekorativ.“

Der Vater von Maurice Sachs, mehrmals verheiratet, lebte von der Gunst reicher Daunen, und auch Maurice, obwohl frühzeitig gealtert, kahlköpfig und dick, hat als interessanter Causeur auf Frauen eine große Anziehungskraft ausgeübt — die, leider, nicht reziprok war. (Er war immer nur mit Männern intim befreundet.) Auch die übrigen Lebensumstände von Maurice Sachs, in dessen Adern englisches, deutschjüdisches und kreolisches Blut floß, sind von höchst suspekter Art. — Er lebte als Buch-, Kunst- und Schwarzhändler, war eine Zeitlang Sekretär Cocteaus (dem er angeblich Papiere entwendet haben soll, die später im Handel auf tauchten); er kannte viele, viele Leute im Paris der zwanziger und dreißiger Jahre, war zuletzt Fremdarbeiter in Hamburg, hatte (in welcher Rolle?) mit der deutschen Sicherheitspolizei zu tun und kam in ein Lager, beziehungsweise ein Gefängnis, wo sich seine Spur verliert. Der Herausgeber einer seiner Bücher will wissen, daß er von einem Holländer in deutscher Uniform erschossen worden sei, und zwar am 11. April 1945 ...

Von diesem seinem Leben berichtet Maurice Sachs in mehreren Büchern. Sie haben ihm fast so etwas wie eine kleine Berühmtheit post mortem verschafft — was wörtlich zu nehmen ist, denn sie sind erst nach seinem tragisch-unrühmlichen Tod erschienen. — Mit ihrer trockenen, eleganten Prosa setzen sie die Tradition der großen französischen Moralisten und Autobiographen fort. Maurice Sachs ist auch ein gebildeter, zumindest belesener Mann. Das sieht man allein aus den Leitsprüchen, die er den 40 Kapiteln seiner „Chronique scandaleuse“ vorangestellt hat. Davon kann er nicht genug haben, es beginnt mit Hiob und reicht über Goethe und La Rochefoucauld bis Baudelaire und Sartre. Sogar das nur zweieinhalb Druckseiten umfassende „Post scriptum“, in dem er rührende Töne anschlägt, wird mit drei Zitaten eingeleitet: von Paulus Silentiarius (einem Hofbeamten und Dichter unter Julian I.), Jean-Jacques Rousseau und Jean Giono.

Das Interessanteste in der Lebenschronik von Maurice Sachs sind die Porträts, die er von einigen Pariser Zelebritäten der zwanziger und dreißiger Jahre entwirft. So schilderte er Jean Cocteau, einen der größten Animateure seiner Zeit, als bezaubernd und gefährlich, mit einem hemmungslosen Hang übler Nachrede und zu intellektueller Grausamkeit. Seine rasche Intelligenz und sein akrobatischer Esprit waren gepaart mit einer femininen Begierde, alles zu besitzen, auch die Herzen seiner Freunde, die er aber, wie ein geschickter Zauberer, verschwinden ließ, um ihnen dafür mit spöttischem Lächeln Kaninchen zu offerieren. Apropos Herz: niemand habe davon so wenig besessen wie Cocteau, der es stets neben seine Unterschrift setzte. Sehr liebevoll ist das Doppelporträt von Jacques und Rai'ssa Maritain gezeichnet, die Sachs als „das Salz der modernen französischen Kirche“ bezeichnet. Die Verbindung von Kraft des Geistes und Zartheit des Herzens übte auf alle, die mit ihnen in Berührung kamen, eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. In Kunstdingen waren die beiden Maritains nicht immer ganz kompetent: sie urteilen über Descartes sicherer als über Proust. Cocteau, geistreich und lieblos, sagte über die beiden, sie seien Fische aus sehr großer Tiefe, leuchtend und blind...

Um solcher Blitzlichter und Episoden willen lohnt es sich, das Buch von Maurice Sachs zu lesen. Schade, daß der Verlag sich nicht entschließen konnte, einige (wenige) anstößige Seiten zu eliminieren. Sie wären wirklich entbehrlich, aber anscheinend kommt die zeitgenössische Literatur ohne solche Entblößungen nicht mehr aus. Herbert Schlüter hat das Buch in ein einwandfreies und elegantes Deutsch übertragen, und Franęois Bondy hat ihm ein instruierendes Nachwort mitgegeben.

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