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CoekstinVL: An Jie Dichter

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Geliebte Söhne! Gott hat mir eingegeben, luch zu euch zu sprechen, und ich will jehorchen. Aber gibt es denn noch Dichter luf der Welt? Ich sehe keine, von irgends- er höre ich die Stimme sich erheben, auf lie ich warte und auf die wohl Millionen Terzen gleich mir vergebens warten. In edem schicksalhaften Augenblick der Welt- ;eschichte, wenn der Tod reiche Ernte ge- ialten hatte und die Seelen der Menschen ufgelockert waren, standen die Dichter uf und sangen die Totenklage oder das ubellied, die Hymne aut den Sieg oder len Psalm demütigen Flehens. Heute bleibt s allerorten stumm. Nicht einmal die Sol- laten hatten ihr eigenes Hohelied, und selbst len Gefallenen war kein feierlicher Toten- esang gewidmet, unter dessen Klängen sie n die Erde gesenkt wurden. Über das anze ungeheure Blutgefilde hin braust es, in einziger gewaltiger Aufschrei, aber kein .ied erklingt, das in melodischen Tönen nser ganzes Irren und all unser Hoffen as Hohe emporträgt.

Sind vielleicht die Menschen so betäubt, o stumpfsinnig geworden, daß sie von den lichtem nichts fnehr hören wollen? Doch renn es einen Dichter gäbe, einen Dichter n alten, heiligen Sinne des Wortes, er rürde es wagen, selbst eine zu Stein ertame Verzweiflung herauszufordern. Ist s nicht eines Orpheus ureigenste Berufung, as wildeste Getier sanft zu machen?

Die Menschen rufen nicht mehr die ,iebe heran, die aus der Poesie strömt. Jnd doch hätten sie es heute, wie nie vor- er, nötig, von der Dichtung umgewandelt, rlöst, emporgehoben zu werden. Nach lusammenbrüchen materieller Art darf Aufrichtung und Wiedergutmachung immer ur aus dem geistigen Plan erhofft werden, lu allen Zeiten war die Stimme der Dich- er auch die Stimme der Völker. Wenn ber die Dichter schweigen, so will das edeuten, daß die Völker schon auf dem Jipfelpunkt der Todesängste angelangt sind nd nicht einmal mehr die Kraft zu Klage- tuten aufbringen.

Weshalb also verbergt ihr euch hinter urem Schweigen in dieser Zeit, die eines 3 stimmgewaltigen Anrufs bedürfte, daß gar die Sterbenden aufspringen müßten? Jewiß, ich sehe in euren Reihen solche, ie sich gegenseitig Dichter nennen: sie rollen im Finsteren Blümchen pflücken nd holen die Worte wie Lose .aufs Ge- atewohl heraus, mit der Hoffnung, freilich ist immer mit der vergeblichen Hoffnung, en großen Treffer der Poesie zu ziehen. Ausgezeichnete Ziselierer der Sprache, die Ile Wörterverzeichnisse auswendig können, ie sämtliche literarischen und ästhetischen G'erke gelesen haben, die aber nicht mehr rissen, oder nie gewußt haben, welche lenschiiche und göttliche Aufgabe der oesie auferlegt ist. Sie sind die Sterndeuter er narzißhaften Lyrik, sie stellen für den anzen Tierkreis ihrer Umwelt das Horo- kop, aber was sie da auf das geduldige äpier kritzeln, ist nicht Poesie, ist nur chale, nur Abschnitzel.

Ist nun eigentlich ein alter Papst dazu a, euch zu belehren, worin eure Kunst und ure Sendung besteht? Ihr sollt nicht sagen: )er Papst mag an seine Geistlichkeit denken nd uns an unsere Dichtungen denken issen. Ihr sollt es deshalb nicht sagen, weil s eine Beleidigung wäre, mehr noch eurer Is meiner Person. Mir, als dem Stellver- reter Christi, ist die Sorge um alle Seelen nvertraut, auch um eure und um die Seern derer, die ihr wiederaufwecken und rösten solltet. Die Religion Christi ist der ’oesie nicht fremd und schätzt sie nicht ering. Die lichtstrahlendsten Bücher des Uten Testaments sind dichterische Bücher; as Evangelium aber ist ein großes Poem, las mit den reinen Klängen eines Hirtenliedes anhebt, in der erhabensten aller Tragödien gipfelt und im Sonnenglanz einer Apotheose endet. Die von Christus gestiftete Kirche hatte ihre Gesänge, ehe e theologische Systeme gab, und ihre Kathedralen waren nicht nur von Stein gebaut. Jeder große Dichter war ein christlicher Dichter, auch wenn er vor Christus oder in weiter Ferne von Christus geboren war. Homer ist Christ, wenn er Priamus zu Füßen des weinenden Achilles weinen läßt; Äschylos ist Christ, wenn er um den Titanen klagt, der an den Felsen des Kaukasus angeschmiedet ist; Sophokles ist Christ in der Kindes- und Bruderliebe der Antigone; Vergil ist christlicher Prophet, wenn er die Geburt des wunderreichen Kindes und die Erneuerung der Welt ankündigt. Die Heiligen, Gregor, Ambrosius, Ephräm, Franziskus, ganz besonders der heilige Thomas, haben in Versen den ersten, den höchsten der Dichter besungen.

Der Stellvertreter Christi hat also wohl ein Recht, auch über die Dichtkunst zu sprechen. Die Zeiten sind vorüber — und ich bedaure es —, da Leo X. mit Ungeduld auf die „Christiade“ eines Vida wartete, da Paul III. aufgeregt der Vollendung der dichterischen Schau eines Michelangelo in der Sixtina entgegenharrte. Ich aber sage euch: Der Stuhl Petri, wenn er, wie cs war und sich ziemt, der Thron des triumphierenden Geistes sein will, kann auf die Verbundenheit mit den Dichtern nicht verzichten. Weil ich nun Stellvertreter Christi bin, kann ich euch die Würde und die Unentbehrlichkeit der Dichtung nur in christlicher Terminologie vor Augen führen. Ich fürchte ja, daß ihr, denen man in allen Landen die Sünde des Hochmuts nachzusagen pflegt, alle nicht so recht wißt, was Gott euch verliehen hat und was Er von euch verlangt. Wenn alle Menschen von Ursprung und Anfang her nach seinem Ebenbild geboren sind, so tritt, nächst den Heiligen, am deutlichsten in euch diese Bildhaftigkeit zutage in der Ähnlichkeit mit dem göttlichen Erschaffer, aber auch mit dem göttlichen Erlöser.

Euer Werk gleicht der Schöpfung, denn es soll dem namenlosen Chaos der Empfindungen, der Gefühle, der Gedanken eine harmonische Form geben, soll das Licht von der Schattenwelt scheiden, das heißt also: es soll den ordnenden Geist über der Stumpfheit der Materie leuchten lassen. Euer Werk erinnert an das unaussprechliche Geheimnis der Menschwerdung Christi, denn auch ihr müßt die feinsten Atome des göttlichen Geistes, seinen zartesten Funkenflug in die äußeren Formen, in die Körperlichkeit der Erdensprachen bannen. Auch die Inspiration muß, um erlösend wirken zu können, die Kerkerhaft der Silben um sich dulden, die zwar ihr Offenbarwerden ermöglicht, aber auch ihre Kraft schwächt. Eure natürliche Sprache ist das Bild. Mit der immer erneuten Entdeckung der Ähnlichkeiten zwischen den Wesen und ihren Erscheinungen verkündet ihr unweigerlich die ursprüngliche Einheit des Weltalls, die euch klarer vor Augen steht als den anderen, und bejaht so die Verbrüderung aller Geschöpfe, deren Bestimmung es ist, am Jüngsten Tage in der Rückkehr zu Gott sich miteinander zu versöhnen.

Die Reinigung von aller Qual und Schuld, die in euren Dichtungen durch Vergeistigung und Versöhnung im Zauberkreis des Schönen sich vollzieht, ist im Bereich des Menschlichen ein Rückstrahlen jener Erlösung, die der Menschensohn im Gleichnis von den Seligkeiten angekündigt hat. Ihr steht, auch wenn ihr es nicht wißt, inmitten der Jünger, die der Bergpredigt lauschten; und ihr seid in der Sphäre des Wortes auf Erden Nachahmer der Erlösung, Vorbereiter des himmlischen Königreichs.

In euch wiederholt sich, wenn auch :n anderer Weise und in anderem Sinne, das Wunder des Pfingsttages. Audi euch ist ein besonderes Charisma eigen: das Wissen um das Geheimste der Seelen, das Herrsein über die Sprachen und ihre Zauberkräfte. In den seligsten Augenblicken der Inspiration, wenn die Demut ins Erhabene eingeht, umfließt euch Gnade und ihr vernehmt, was Gott selbst euch eingibt und was ihr dann, Märtyrer in Verzückung, die ihr seid, mit der ganzen Kraft eures Wortes wiederzugeben sucht. Ungeachtet der Ähnlichkeit der Mittel und Mängel unserer menschlichen Besdiaffenheit gegenüber den Eingebungen Gottes kann es euch gelingen, oft ohne daß ihr es ahnt, ein weniges von der absoluten Wahrheit, ein Echo ihrer Stimme in euer Dichten einzuschließen.

So ist denn die Dichtkunst Lichtbringerin, sie wirkt reinigend und führt zur Erlösung. Fühlt euch, so ihr wollt, als Wundertäter, da ihr mitarbeitet an der Wundertat, die Materie ins Geistige emporzuheben, den Schmerz zur Freude zu machen, das Leidenslied der Natur und ihres Beherrschers zum Auferstehungshymnus zu wandeln. Die Dichtkunst, so verstanden — und jedes andersgeartete Verstehen wäre ihrer unwürdig —, ist eine der schönsten und lichtesten Vorhallen des Christentums. Ihr seid also, ob ihr es wollt oder nicht, Apostel Christi in partibus infidelium, seid Mittler zwischen der Sehnsucht des Menschen und der Verheißung Gottes. Es ist nicht nötig, daß eure Verse die Glorie Christi, seiner Heiligen und seiner Kirche verkünden: es liegt eine christliche Färbung, ein christlicher Ton, ein christlicher Sinn in der Art, wie ihr eine Wolke, jene Blume, einen Berg, ein Kindesantlitz, eine Frauengestalt schildert. Die Dichtkunst bringt Licht in die Welt der Schatten: i Dantes Hölle macht sie den Schmerz zum Gegenstand der Sehnsucht, und selbst in den trübseligsten Gesängen eines Hiob weckt sie die Liebe zum Leben. Alle Dichter in der ganzen Welt, ob vor oder nach Christus geboren, sind, wenn auch unbewußt oder widerstrebend, nichts anderes als Neubeleber des Evangeliums. Die hohe Dichtkunst ist, nach dem Beispiel Christi, Weg, Wahrheit und Leben.

Die Dichter der Antike sangen vornehmlich Siegeslieder, und es war Sieg über den Feind und Besiegung des Weibes. Die nach der Menschwerdung Christi geborenen Dichter hingegen erinnern an Jakob. In finsterer Nacht ringen sie mit dem Engel, niemals siegend, nie besiegt. Ihr versteht jetzt wohl, weshalb ich zur Wiedererweckung der Freude in unserer wundgeschlagenen Welt, auf der die schweren Schatten der Züchtigung lasten, auch die Dichtkunst aufrufe. Ihr könnt den Dürstenden, die das Wasser des Lebens nicht mehr kennen, den unermeßlichen Reichtum der Armen weisen, könnt ihnen die Schönheit nahebringen, die in der Aufopferung lebt, und den Trost, der im Schmerz verborgen ist, könnt ihnen die Verbrüderung all derer zeigen, die zu leiden haben, könnt sie verstehen lehren, daß die Liebe allumfassend sein muß und daß die Verzeihung allmächtig ist. Es wäre eure Aufgabe, in neuem Licht die heilkräftige Vision der Gottesstadt zu schildern, jenes himmlischen Königreichs, das zwar ein Zukunftsbild ist, aber dennoch uns nahe bevorstehen könnte, wenn die Menschen gewahr würden, daß sie es schon in sich haben, so wie es mein Herr und Meister, der auch der eure ist, verkündet hat. So käme euch ein gewichtiger Anteil an jener Wiederaufrichtung des Göttlichen im Menschentum zu, an jener werktätigen Verdolmetschung des Evangeliums, ohne die keine andere Rettung denkbar ist

Höllengrube voll Wahnsinnsbestien, zu der uns unsere Erde geworden ist.

Laßt endlich davon ab, nur listenreiche Schönfärber eurer kalten Phantastereien zu sein, bleichsüchtige Mischer von Destillaten, die niemanden berauschen, Spürhunde auf der Jagd nach Geistesblitzen, Wirker an dem, was langweilen muß. Kehrt zurück zu dem, wozu Gott euch wollte und will: werdet die Befreier vom Alltag, dessen Pfade steinig -und nesselreich sind, werdet die Vertrauten stiller Herzen, die Verkünder der geoffenbarten Geheimnisse, werd

Propheten, die der Menschheit auf dem steilen Weg zu ihrer wahren Heimat Halt und Hilfe bieten. Das Stillschweigen währt schon zu lange. Daß ihr euch fernhaltet, ist eines der ernstesten Anzeichen für das Hinabdämmern der höchsten Werte. Als Stellvertreter des göttlichsten der Dichter erwächst mir die Pflicht, auch euch an eure Pflicht zu mahnen, die da ist: der Stummen Stimme zu sein.

(Aus: „Papst Coelestin VI. Briefe an die Menschen', Amandus-Edition, Wien)

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