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Colestin VI. an die Frauen

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Geliebte Töchter!

Es soll euch nicht überraschen, daß der Statthalter Christi das Wort auch an euch richtet. Und ihr sollt nicht erschrecken, wenn euch dieses Wort stellenweise hart erscheinen will. Der Zahl nach macht ihr mehr als die Hälfte des Menschenvolkes aus und auch ihr habt euren Schuldanteil an der Zerrüttung und Auflösung der Menschheit. Diese Schuld wird nur dann Vergebung finden, wenn ihr sie nicht ablehnt.

Ihr littet und leidet vielleicht mehr als die Männer, oder doch wenigstens in gleichem Maße, aber euer Leid ist durchaus nicht unverschuldet und ungerecht. Diejenigen, die am letzten gewaltsamen Einbruch des Unglücks teils schwere, teils geringere Schuld tragen, sind euere Söhne, eure Gatten, eure Liebhaber. Fast immer seid ihr die Sklavinnen der Männer, doch geben euch Mutterschaft und Sinnlichkeit viel Gewalt über ihre Seelen. So seid ihr Sklavinnen und Herrinnen zugleich; wenn euere Sklaverei Entschuldigung und Mitleid verdient, so müßt ihr doch Rechenschaft ablegen für euere fast unbeschränkte Herrschaft über Kinder und Erwachsene. Ihr seid die Gebärerinnen und Beherrscherinnen der Männer, und deshalb könnt ihr euch der Verantwortung für einen gewissen Teil des üblen, das die Männer getan haben, vor Gott nicht entziehen. Alle seid ihr Opfer, aber nicht in jedem Sinne schuldlose Opfer. So seid denn auch ihr zur Sühnung der Greuel aufgerufen, ihr sollt dem Gesetz wieder Geltung verschaffen und die Welt in hellerem Licht erstrahlen lassen.

Ich will und kann mit euch nicht streng sein. Nur zu gut weiß ich, daß die Männer euch mit Worten hochgepriesen, sogar zu hoch gepriesen, in der Ausführung aber herabgesetzt haben. Sie haben es fast nie verstanden, euch emporzuführen, aber fast immer ist es ihnen gelungen, euch zu erniedrigen. Eva war die Ursache des ersten Falls, doch sie bezahlte ihre Sünde mit dem höchsten Preis des Leides. Eva aber wurde, als die Zeit erfüllt war, von Maria erlöst, und keiner von uns Christen wird jemals vergessen können, was er der Jungfrau von Nazareth zu danken hat. Die Frauen verstanden Christus, dienten und folgten ihm liebevoller als die Männer und genossen das Vorrecht, als erste den Auferstandenen sehen zu dürfen. Heute noch seid ihr die Treuesten vor seinen Altären und es wird viel vergeben werden, weil ihr viel geliebt und viel geweint habt.

Ich weiß, wie beschämend und trostlos das Leben für- die meisten von euch verläuft. Ich kenne die tausend Qualen, die euch der unbewußte herrische Egoismus der Männer erdulden macht. Ich kann mir die Ängste und Martern der Mütter vorstellen, das unruhevolle und ungeduldige Dasein der Mädchen, das verdrossene, dornenreiche Leben von Ehefrauen, die Verlassenheit der Witwen und Waisen, das niedrige, mühevolle Leben von Bäuerinnen und Arbeiterinnen, das abhängige, trübe Leben von armen Haushälterinnen, von schlecht behandelten Dienstmädchen und aller derer, die verraten, im Stich gelassen, Nachstellungen ausgesetzt sind, derer, die gefallen, herabgekommen oder auf schiefer Bahn sind.

Gar oft müßt ihr das dumpfe Brot des Kummers essen und den trüben Wein der Verzweiflung trinken. Und doch ist auch bei den niedrigsten von euch ein Widerschein von der Mütterlichkeit einer Maria zu erkennen, wie bei den erhabensten ein weniges von der Schwachheit einer Eva. Bisweilen scheint ihr Schlangen zu sein, aber doch immer Schlangen, die um ein Kreuz sich ringeln.

Ich muß nun wahrheitsgemäß, aber in unendlicher Betrübnis erklären, daß ihr viel mehr zum Niedergang als zur Rettung des Menschengeschlechtes beigetragen habt. Euer Drängen nach gesichertem Wohlleben und euer Luxusbedürfnis haben die fieberhafte Habsucht der Männer, die ohnedies zu sehr nach Geldeswert streben, noch gesteigert. Ihr zogt die Reichen und Mächtigen vor, und die Männer haben, um einander die begehrenswertesten Frauen streitig zu machen, dem Reichtum und den Machtstellungen immer toller nachgejagt — was dabei herauskam, sieht und weiß jedermann.

Ihr habt an den Männern stolze Körperlichkeit mehr bewundert als starke Geistigkeit, mehr den Mut zum Angreifen und Töten als rege Verstandestätigkeit. Indem ihr so wähltet, habt ihr jede

Art von Gewaltanwendung und kriegerischem Vorgehen hervorgerufen und begünstigt. Mütter verabscheuen den Krieg, der ihnen die Söhne hinmäht, aber Geliebte bevorzugen siegreiche Männer, auch wenn sie blutbefleckte Hände haben.

Das Christentum hatte euch eine hohe Stellung gegeben, es hatte den Ehestand geheiligt, hatte euerem Sinn und eueren Sitten Schamhaftigkeit verliehen. Aber in neuester Zeit haben viele, allzuviele von euch alle Sittsamkeit geringgeschätzt und vergessen, sie haben Scham und Jungfräulichkeit ins Lächerliche gezogen und sich willig allen ehebrecherischen Trieben hingegeben. Die Männer stellen ihresgleichen nach, um zu rauben und zu morden, und ihr macht Jagd auf Männer, um so zu Ansehen und bequemem Leben, zu Geschenken und Gunsterweisen zu kommen. Die Zahl der öffentlichen Weiber hat sich zwar verringert, aber nur um allenthalben das Heer der heimlichen Dirnen, der Eintagsgeliebten, der Freundinnen, die sich für eine Stunde verdingen, ins Ungemessene anwachsen zu lassen.

Die Sünden gegen die Liebe waren immer Sünden und sind Sünden geblieben. Aber ihr könnt euch heute nicht mehr auf den romantischen Trugschluß berufen, daß die Leidenschaft ihre Rechte habe. Immer seltener ist es so, daß einer Gefallenen die Liebe zum Anwalt wird, denn sie ist heute nur Zustimmung und Willfährigkeit des Fleisches, Abwegigkeit der Gelüste und Angelegenheit des Tarifs. Es ist soweit gekommen, daß ihr sogar die Sinnlichkeit herabgewürdigt habt.

Nicht genug daran, daß ihr eueren Körper den Männern feilhaltet, ihr wünscht und versucht, euch ihnen ähnlich zu machen. Euere heilige Sendung, euere unvergleichliche Hoheit lag in der Mutterschaft, und ihr habt die schuldhaften Fehlgeburten und die freiwillige Unfruchtbarkeit um ein Vielfaches zunehmen lassen. Euere Aufgabe war es, Menschengebärerinnen zu sein, und ihr habt die Affen der Männer werden wollen. Euer unbestrittenes, rechtmäßiges Reich war das Haus, ihr habt jedoch Ämter und Fabriken überschwemmt, seid in Gerichtssäle, in Vereine eingedrungen und habt euch nicht einmal gescheut, zu den unsauberen Kampfplätzen der Politik hinabzusteigen, Euch war eine der erhabensten Pflichten der menschlichen Gesellschaft überantwortet: die Pflege und Erziehung der Kinder, der heranwachsenden Menschen. Zu oft habt ihr sie gezahlten Leuten überlassen, um Zusammenkünfte zu haben, um schlüpfrige Theaterstücke oder Ringkämpfe zu sehen, um die dunklen Säle aufzusuchen, in denen eine leider nicht mehr stumme Kunst abrollt, um euch Spielen aller Art hinzugeben. Volksversammlungen beizuwohnen und Tanzfeste, nicht immer ehrbare, mitzumachen und in den Salons der schönen Welt wortreiches Geschwätz zu üben.

Wenn in unseren Tagen das Leben immer gemeiner und unerträglicher wird, so liegt die Schuld zwar nicht nur bei euch, aber doch auch im Absinken, in der Fahnenflucht so vieler Frauen. Freilich nicht aller. Ich vergesse nicht und kann nicht vergessen, daß es auch heute noch, wenngleich seltener als früher, glühende Frauenherzen gibt, die sich dem Dienste Gottes und unglücklicher Menschen weihen, die sich der Kranken- und Verwundetenpflege und jeglichem Werk der Barmherzigkeit hingeben. Aber ihre Liebe, die oft heldenhaft zu nennen ist, wiegt doch nicht ganz die Herabwürdigung, den Verrat so vieler Mitschwestern auf.

Ich weiß wohl, daß ihr noch im vergangenen Jahrhundert geborenen Frauen eifrigere Kirchengängerinnen seid als euere jungen Mitschwestern. Aber ich weiß auch, daß euer Glaube gar oft weit entfernt ist vom Glauben, den Christus fordert, weit entfernt von jener Reinheit und Festigkeit, die so wunderbar leuchtend den ersten Christinnen eigen war. Euere Religion ist oft Aberglaube, und euer Christentum hat nicht selten heidnische Färbung. Ihr folgt den kirchlichen Handlungen mit einer gewissen Verdrossenheit und mehr aus Angewöhnung als aus einem wirklich seelischen Bedürfnis; und ihr gefallt euch in äußerlichen Andachtsübungen mehr, als ihr euch bemüht, die ausdrücklichen Lehren des Evangeliums in euerer Lebensführung zu befolgen. Euer Benehmen außerhalb der Kirche, im Alltags- und Familienleben, entspricht nicht immer der Vielzahl euerer Kniebeugungen und der Zerknirschtheit euerer Gebete. Im Glauben seht ihr eher ein Instrument zur Gnadengewinnung und eine Versicherung gegen Gewissensbiß und Hölle als eine Führung zur Wahrheit, eine Schule der Demut, eine Übung der Liebe. Nicht wenige von euch gehen jede Woche zur Beicht und jeden Morgen zur Kommunion, aber darum geben sie sich doch keine Mühe, die Härten ihres Charakters gelinder zu machen, in der üblen Nachrede und im Geiz Maß zu halten, und sie hören auch nicht auf, gegen ihren Nächsten zänkisch und giftig zu sein. Sie lieben die hellen Kir-chenluster und das ewige Licht, aber sie lassen sich vom Strahl der Liebe Christi nicht recht durchleuchten. Sie wachen zwar fast immer mit dem Hahnenschrei auf, aber sie geben sich fast nie Rechenschaft über ihr tägliches Verleugnen Christi. Endlich hoffen sie auch, mit ganz wenigen Almosen und einigen tausend Gebeten, die wohl ihr Mund prfcht, aber ihr Herz nicht empfindet, zu billigem Preis einen vornehmen Platz im Paradies sich zu erkaufen. Ich aber sage euch: Kniebeugen und Stoßgebete genügen nicht, um wirklich ein Christ zu sein, und wer nur dieses einzige kleine Scherflein beiträgt, wird beim Gastmahl im Paradiese nicht mitsitzen dürfen.

Ich will auch gegen euch nicht ungerecht sein, aber ich kann nur wiederholen, daß ihr kaum erst die Schwelle des Heiligtums betreten habt, indes ihr meint, schon bis in den lichten Raum der Apsis vorgedrungen zu sein.

Auch euch, ihr Frauen, sage ich mit einer Eindringlichkeit, die zu Herzen gehen will, dasselbe, was ich allen Menschen sage: entweder der Triumph Christi oder der Triumph des Todes; es gibt keine andere Wahl, keine andere Alternative. Die Kirche, die so viele euerer Mitschwestern als Heilige verehrt, hat euch immer verteidigt, beschützt und geliebt. Heute braucht sie euch, wie zu allen Zeiten, und mehr noch als jemals. Christus selbst ruft mit lauter Stimme alle Marien zu sich, die er hie-nieden kannte: die Betrachtenden und die Sünderinnen, die Schwestern des Lazarus und die Weinenden vom Kal-variengange; alle, die ihn liebten, und alle, die bestimmt sind, ihn zu lieben. Euere Macht, die groß ist im Schlechten, muß im Guten noch größer sein. Helft mit aller euerer Kraft zur Rettung des Menschengeschlechtes, da ihr doch mit euerer Schwäche geholfen habt, es zu verderben.

Ihr habt eine Seele, eine eigene Seele, die in mancher Hinsicht anders ist als die Seele euerer männlichen Genossen, aber in gewissem Sinne ihr sogar überlegen. Die Männer haben euere Seele oft erniedrigt, auf Abwege gebracht und beschmutzt, zu ihrem Vorteil und zu ihrer Lust, ihr aber habt für euere Rache eine Waffe, die würdig ist euerer Anmut und Lieblichkeit: diejenigen zu bessern, die soviel getan haben, um euch schlechter zu machen. Mit dem Zauber heiligmäßi- ger Liebe könnt ihr dem verstörrten Sinn des einzelnen, könnt ihr ganzen Bürgerschaften, die feindselig zerrissen sind, den Frieden wiedergeben. Möge euer Lächeln nie mehr der Preis des Feindbezwingers sein, aber der Lohn für den, der in sich selbst den Haß überwand. Lehrt euere Kinder die Seligkeit der Bruderhilfe, nutzt die Liebe euerer Gatten, um sie wieder zur Bruderliebe hinzulenken! Euere Liebe sei Linderung jeglicher Schmerzen; euere Schönheit aber bewähre sich Wieder als Gestalterin einer Schönheit, die weniger vergänglich ist. Laßt alle euere Zauberkräfte walten, auf daß die Schweine der Circe sich wandeln und zu Seligen der Beatrice werden.

Seid auch ihr bis zu den äußersten Grenzen dessen, was ihr vermögt, Erlöserinnen der Völker, Mitarbeiterinnen Gottes und unsere Verbündeten im aufreibenden Kampf der Liebe gegen den Terror. Nur wenn es euch gelingt, treue Dienerinnen Christi zu sein, werdet ihr frei sein und als Königinnen herrschen. Und dann werdet ihr endlich wahrhaftig so sein, wie die Dichter euch träumten: hohe; engelsgleiche Frauen, deren Glanz über dem Wald erstrahlt und über den wilden Tieren, die für alle Zeiten zu Menschen gewandelt sind.

Aus dem Buch „Die Briefe Papst Cölestin VI.' mit Bewilligung der Amandus-Edition, Wien

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