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Dämme gegen Informations- und Warenflut

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UIeFukCHE: Ist es nicht erstaunlich, daß so viel über Umwelt geredet und geforscht wird, sich aber doch recht wenig an der Grunaausrichtung unseres Wirtschaftern geändert hat? hans kessler: Zunächst einmal muß man sehen, daß das öffentliche Reden über diese Fragen noch gar nicht so lange währt, erst seit 1980. In den Jahren seither hat sich aber nun im öffentlichen Bewußtsein erstaunlich viel getan. Natürlich stehen wir heute unter einem ungeheuren Zeitdruck. 15 Jahre sind fast schon zu lang. Die Zeit drängt. Dennoch: Das Umweltbewußtsein ist enorm gestiegen.

UIEFllRCIIE: Aber ist etwas geschehen? kessler: Manches, aber es ist viel zu wenig - auch in der Kirche. Das hat damit zu tun, daß wir seit 300 Jahren zunehmend einer Natur-, einer Schöpfungsvergessenheit verfallen sind. Die Schöpfung fristet in unserem Leben als Christen ein Randdasein.

DIEFiirche Eine falsche Sicht auf die Welt rund um uns, also? kessler: Ja. Die europäischen Kirchen teilen das Schicksal der europäischen Moderne: den neuzeitlichen Dualismus, die Trennung von Gott und Welt. Gott ist irgendwo ins Jenseits abgeschoben, ein abstrakter, weltloser Gott - und die Welt ist gottleer. Vielleicht haben Urlauber, die in die Berge oder ans Meer gehen bisweilen ein erhabenes Gefühl. Aber sonst... Wer hat in dieser Welt das Bewußtsein der Gottesgegenwart?

Die Trennung von Gott und Welt hat dazu geführt, daß wir Gott in ein weltfernes Jenseits abgeschoben haben; in unserem Leben, da schalten und walten einzig wir. Die biblische Tradition sah das anders. Da wird etwa gesagt: „Von hinten und von vorne umgibst du mich” (Ps. 139) oder: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir” (Apg, 17) - Gott, der alles umfängt, nicht nur uns, sondern den ganzen Kosmos: die Transzendenz Gottes. Aber dazu gibt es ein Gegenstück: Gott ist auch der, der alles erfüllt. „Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit” (Jes 6).

Daß die Dinge von Gott erfüllt sind, diese Botschaft von der Immanenz Gottes ist aber verdrängt worden. Als wir Thomas von Aquin studiert haben, sind seine diesbezüglichen Aussagen einfach überschlagen worden. Thomas greift zu ganz starken Vergleichen, etwa: Wie die Seele im Leib, so ist der ganze Gott in allen geschaffenen Dingen. Der Kosmos ist von Gott durchdrungen. Natürlich geht Gott nicht in diesem Kosmos auf. Augustinus sagt, die Welt komme ihm vor wie ein riesiger Schwamm in einem unermeßlichen Meer, das Gott ist - umgeben von diesem Meer und gleichzeitig von ihm durchtränkt. Noch eine dritte Dimension kommt dazu: Aus seiner Transzendenz und Immanenz spricht Gott uns an als das große liebende Du.

DieFürche: Unsere Zeil weiß aber nichts von diesem Gott... KessI-ER: Das stimmt. Weil wir uns in der Neuzeit zu sehr darauf eingelassen haben, Gott ins Jenseits abzuschieben. Die Welt war daher gottleer, gottlos. Man brauchte den weltlosen, abstrakt und irrelevant gewordenen Gott nur zu streichen - und dann war nur mehr die Welt da.

DJeFurche: Dann hatte der Mensch freie Hand für sein Tun ... Kessucr: So ist es. Nimmt man noch hinzu, daß man diesem der Welt nur mehr gegenüberstehenden Gott vor allem eine Eigenschaft, nämlich Willkürallmacht (nicht Liebe, Fürsorge), zuschrieb und diese auf sein Ebenbild, den Menschen, übertrug. Das ist verheerend. Dann, spielt der Mensch in dieser Welt ebenfalls willkürlich seine Allmacht aus.

DlEFl'RCHE: Ist also das Christentum an der heutigen Misere schuld, wie Carl Amery sagt? Kessler: Man kann dem Christentum nicht einfach die Schuld zuschieben. Amery hat das im übrigen in den letzten Jahren relativiert. Es gibt ja auch die östlichen „Christentümer”. Da hat sich nicht jene neuzeitlich-westliche JNaturein-stellung entwickelt.

DIKFurcmk Hat die Botschaft Christi aber nicht doch entscheidend dazu beigetragen, den Menschen aus der Schöpfung zu lösen?

KESSLER: Kann man das so sagen? Bis ins Mittelalter fühlte sich die Menschen in der Schöpfung beheimatet. Erst seitdem 17. Jahrhundert wird die Trennung zwischen Gott und Welt so richtig in das westliche Denken hineingetragen (Francis Bacon, Bene Descartes).

Jetzt beginnt man aus der Bibel nur mehr den Herrschaftsauftrag, im Sinne von schrankenloser Verfügungsgewalt über die Natur, herauszulesen. Aber halten Sie dagegen einmal die Bergpredigt Jesu: Seht die Vögel des Himmels, die Lilien auf dem Feld ... Gott sorgt in seiner Güte für alles. Er läßt seine Sonne über Gute und Böse aufgehen ... dieFürche: Aber der Mensch ist doch herausgehoben ...

KESSLER: Ja, inmitten der Schöpfung (nicht über sie) und insofern, als er sich Gott zuwenden und für seine Güte öffnen kann. Daher kann der Mensch das Wesen Gottes in dieser Welt abbilden. So ist auch der Herrschaftsauftrag aus Genesis 1 zu verstehen. Im Buch der Weisheit wird er gedeutet: Da wird gesagt, daß Gott alles, was er geschaffen hat, liebt. Und deswegen schont er es. Und daher solle auch der Mensch in der Welt milde, schonend und gerecht als Gottes Abbild walten. dieFurche: Die Umweltkrise führt also zu den tiefsten Fragen der Existenz Das spürt auch die „Grünenbewegung”. Gibt es dort nicht die Gefahr, daß ei$ neuer Pantheismus aufbricht? kessler: Der Pantheismus hat ein dickes Korn Wahrheit. Er gibt den Dingen, die in der Neuzeit entsakrali-siert worden sind, ihre eigene 1 Ieilig-keit, ihre Würde. Der Pantheismus sagt aber zu wenig. Er läßt Gott in der Natur aufgehen. Er übersieht, daß Gott den Kosmos auch übersteigt.

Wenn das All, die Natur alles sind, dann läuft alles naturwüchsig so, wie es ohnehin läuft. Dann sind wir Menschen nur ein Spitzenprodukt der Natur, das sich merkwürdig verhält, zum Krebsgeschwür der Natur wird. Aber im Grunde genommen kann man daran nichts ändern. Für die Umweltproblematik aber gravierend ist, daß es dann auch kein Maß gibt, an das der Mensch sich halten muß - außer das Maß der Natur. Und diese gibt uns nur ihre Kreisläufe an die Hand. Das ist ganz wichtig. Aber eines fehlt, das der Mensch braucht: ein Bewußt sein seiner Verantwortung, eine ethische Norm. diefurche: Esfehlt also der Ansatz zur Umkehr aus dem heutigen Dilemma? kessler: Die neue Wahrnehmung der Natur, die in.pantheisierenden Kreisen gepflegt wird, ist schon wichtig. Da erwacht ein neues Empfinden für die Vorgänge in der Natur. Das brauchen wir, damit wir nicht nur vom Kopf her eine neue Sicht entwickeln. Aber das können wir aus der christlichen Tradition heraus viel tiefer wiedergewinnen. Der ganze Mensch muß eine neue Sympathie zu der ihn umgebenden Schöpfung entwickeln. dieFurche: Aber es bleibt doch die Kluft zwischen Bewußtsein und entsprechenden Taten ... Kessler: Stimmt. Deswegen die Frage: Woher nehmen wir die Kraft, das als richtig Erkannte auch zu tun? Wir Christen täten gut daran, in die Umweltdebatte das Erlösungspotential des christlichen Glaubens einzubringen. Es befreit den Menschen davon, einfach um sich selbst zu kreisen, in alten Bahnen weiterzuleben. Es gibt Kraft, neue Wege zu beschreiten. Ich spreche von unserer Gottesbeziehung. dieFurche: Heißt das, konkret mit der Hilfe Gottes im Leben zu rechnen? kessler: Genau das. Gott hat nicht abgedankt, er steht hinter uns, hält uns, umfängt uns, trägt uns - und zwar auch in Umständen, die wir für aussichtlos ansehen. Wir müssen nicht Angst haben, ins Bodenlose zu fallen. Unser Leben verläuft nicht einfach im Sand. Dieser andere hält noch ganz anderes für uns bereit, wir müssen deswegen aus unserem Leben nicht alles für uns herausholen. Es ist nicht die einzige und letzte Gelegenheit. Wir müssen uns nicht selbst unsere Existenzbasis verschaffen, dafür sorgt Gott. dieFurche: Inwiefern hilft das? KESSIJiR: Wenn wir von Gott Rücken gedeckt sind, dann bekommen wir die Sinne, den Kopf, das Herz frei für die Aufgaben, die sich uns heute stellen. diefurche: Viele antworten darauf Das klingt zwar gut, aber was machen wir jetzt - konkret?

KESSLER: Christliche Gruppen, Gemeinden müßten Räume schaffen, wo ein Leben aus diesem Gottesverhältnis möglich wird, wo das Leben entsprechend geprägt wird. Es geht darum, gemeinsam im Geist Jesu Räume aufzubauen, in denen man beginnt, einen anderen, schöpfungsfreundlichen Lebensstil zu verwirklichen, sich gegenseitig stärkt, die Augen öffnet, ermutigt. Es geht darum, daß Menschen sich bewußt der Güte Gottes öffnen und ihr im eigenen lieben Raum geben: in den Beziehungen zum Mitmenschen und den Mitgeschöpfen, auch in besseren Bahmenregelungen und Strukturen. diefurche: Das ist die eigentliche Umkehr. Prägt sie sich im Lebensstil in konkreten Merkmalen aus? KESSLER: Natürlich. Ich möchte nur eines herausgreifen: den Widerstand gegen die Beschleunigung. Die wachsende Flut von Waren, Sinnangeboten, Informationen zum Beispiel kann kein Mensch mehr verarbeiten. Aus diesem Wust wird nur mehr selektiv und im Grunde irrational herausgegriffen. Entscheidungen, die so getroffen werden, sind nicht rational. Wir Christen müssen versuchen, zu einer Verlangsamung beizutragen, innezuhalten mitten in der Hektik, stille zu werden, hinzuschauen und hinzuhören auf uns selbst, unsere Rhythmen, auf die der Natur. Das wäre ein ganz wichtiger Reitrag zu einer neuen Zeitwahrnehmung. YjT setzt voraus, daß wir wo verankert sind. Nur so können wir uns da-gegenstellen, uns eigene Gedanken machen. Nur so können wir Kräfte des Widerstandes entwickeln. Nur von einem tragenden Fundament her kann man eine Hoffnung bekommen, die nicht von den nächsten Enttäuschungen zerstört wird.

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