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DALAI-LAMA / STURZ VOM DACH DER WELT

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Als der Dalai-Lama mit kleinem Gefolge im indischen Luftkurort Mussorie, seinem künftigen Exil, eintraf, umjubelt von der Bevölkerung, war eine aufregende Flucht zu Ende. Beinahe wäre er in chinesische Hände gefallen. Flugzeuge hatten die kleine Karawane schon aufgespürt, aber das schluchtenreiche Gelände machte die Landung von Fallschirmjägern unmöglich. Am Tage des Grenzübertritts des Dalai-Lama (der Inkarnation des Gauthama Buddha) war das Gebirge von weißen Wolken umzogen, was für diese Jahreszeit ungewöhnlich ist. Es hieß, die Gebete der Lamas hätten diese Wolken herabgefleht, damit der Priester-Gott entkommen könne.

Das Gesicht des schmächtigen Mannes gehört zu jenen, die ein Europäer kaum zu deuten vermag. Schlauheit paart sich mit Strenge und Sensibilität. Mit dem kurzgeschorenen Kopf, der Brille auf der Nase und dem ewigen Lächeln um die Lippen gleicht er eher einem Studenten als dem weltlichen Herrscher Tibets und geistlichen Oberhaupt der lamaistischen Sekte des Buddhismus. Er ist allerdings nicht der erste Dalai-Lama, der den Chinesen entfloh. Sein Vorgänger hatte 1910 in Indien Zuflucht gesucht, konnte aber zwei Jahre darauf, nach dem Sturz der Mandschus in Peking, auf seinen Thron ‘zurückkehren. Er starb 1933, U jährig, vermutlich durch Gift. Die Sache ist nie ganz aufgeklärt worden. Während dann die Mönche nach dem heiligen Kinde forschten, in dem nach ihrer Lehre die Seele des 13. Dalai-Lama wiedergeboren war, herrschte noch Tschiangkaischek in China, aber schon war allenthalben Maos Einfluß spürbar. In Tsinghai, einer chinesischen Provinz,

fanden sie dann den 1935 Geborenen, der mit unzweifelhafter Sicherheit aus einer Menge Gerätschaften die Geräte des toten Priester-Gottes herausfand und die untrüglichen körperlichen Anzeichen seiner Inkarnation aufwies.

1940 wurde der Vierjährige feierlich inthronisiert und in zehnjähriger Schulung auf sein Amt gedrillt. Er führte ein strenges Leben, in das dann ein Oesterreicher, Heinrich Harrer, als Freund und Lehrer getreten ist. Der Dalai-Lama erkannte bald die Bedeutung der Technik, wollte Tibet modernisieren. „Wir hatten unseren Plan schon fertig”, berichtete Harrer; „aus kleinen neutralen Ländern, die keine Machtinteressen in Asien hatten, wollten wir Fachkräfte nach Tibet holen. Mit ihrer Hilfe sollte zuerst das Schul- und Gesundheitswesen aufgebaut und einheimische Kräfte dafür ausgebildet werden.”

Es kam nicht dazu. Der zweite Krieg brach aus, 1949 wurden die lockeren Beziehungen zu China abgebrochen, das Jahr darauf marschierten die Rotchinesen ein. Sie stellten den Pantschen-Lama als Mitregenten auf. Der Dalai-Lama hatte sich zwar später, obwohl er sich anfangs, was Rotchina betraf, in Hoffnungen wog, geweigert, die chinesische Fahne über dem Potala-Palast wehen zu lassen, aber das waren nur gewichtslose Triumphe, wenngleich sie einen Mann von Prinzipien zeigten. Das Wörtchen „wenn” hat in einer geschichtlichen Betrachtung keine Existenzberechtigung. Allein, man spielt gerne mit ihm. Wenn also Harrers Plan geglückt wäre, so hätte ein Oesterreicher den Ruhm in Anspruch nehmen können, dem „verbotenen Land” ein neues Gepräge gegeben zu haben.

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