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„Damals in Jerusalem ...“

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Der berühmte polnische Romancier veröffentlichte vor einiger Zeit einen Christus-Roman, der unter dem Titel „Gib mir deine Sorgen“ im Verlag Herder, Freiburg, in deutscher Uebersetzung erschien. Dobraczynski läßt dem im Evangelium genannten Pharisäer Nikodemus die Geschichte des Herrn erzählen. Wir entnehmen dem Roman das Kapitel über das erste Pfingstfest der Christenheit.

Jeden Tag versammelten wir uns zu gemeinsamem Gebet, und jeden Tag flehten wir inständig um die versprochene Tröstung, wenn wir im Halbkreis um die Stelle knieten, wo wir noch so kurz vorher Ihn wieder lebendig gesehen hatten.

Er war nun der Gott in der Höhe. Als Er auf Erden wandelte, schien Er mit jedem Weinenden zu weinen. Wer aber im Himmel weilt, vergießt keine Tränen. Als Er auffuhr, standen sie mit hoch erhobenem Blick, mit dem Ausdruck der Freude im Gesicht da. Für die Apostel war Er ihr Meister, der nun offenkundig Gott war. Sie waren zu einfach, um sich vorzustellen, daß sie nach wenigen Tagen wieder seufzen, jammern und sich ängstigen werden. Ich habe das vorausgeahnt. Solange Er noch hier war, solange Er unvermutet erschien, halb Geist und halb leibhaftiger Mensch, sah alles leicht und schön aus. Zu leicht und zu schön! Das war wie die Zeit der Krankenpflege. Aber der Kranke ist gesund erklärt worden. Er ging weg und ließ uns mit einem Versprechen zurück, das wir vielleicht nicht richtig verstanden haben.

Als wir uns von unserem Gebet mit steifen Knien erhoben, begannen sogleich Gespräche: Wie wird es werden? Vielleicht wird Er selbst ein zweites Mal auf die Welt kommen? Diesmal aber in Macht und Herrlichkeit? Wie wird der versprochene ( Tröster sein?"

Simon rief: „Und ich sage euch, Er wird Seine Engel schicken, und sie werden das Königreich Israel wieder aufbauen. Und ein zweiter David wird geboren.“

Im Kreis der Jünger erhob sich murmelnde Zustimmung. Thomas bemerkte: „Wenn wir bis an alle Enden der Welt Seine Zeugen sein sollen, muß Er selbstverständlich zuerst uns diese Welt gefügig machen."

„Detikt aber daran, was Er gesagt hat: Das Reich ist in uns!“ meinte Johannes nachdenklich.

„Das ist richtig", ließ sich Philipp vernehmen. „Wenn ich aber einem anderen das bei- bringen soll, was in mir ist, muß ich sprechen. Und man soll nur den Versuch machen, hinauszugehen und zu predigen. Sofort wird die Tempelwache einen schnappen und zum Hohenpriester führen.“

Als er das, sagte, warfen wir alle unwillkürlich einen Blick auf den schweren Balken, der die Türe versperrte. Heimlich waren sie in mein Haus gekommen, heimlich und ängstlich. Die Angst, die in den Tagen der Rückkehr des Auferstandenen sich gelegt hatte, war wieder erwacht.

Ich sagte nichts. Sie kannten Ihn gut, sie hatten viele Seiner Worte im Gedächtnis und konnten sich darauf berufen. Meine Erinnerungen an Ihn sind bescheidener. Dagegen kehrte ich oft in Gedanken zu jener Stunde vor einigen Tagen zurück, als wir auf dem Rücken des Oel- berges standen, Er aber vom himmlischen Licht durchleuchtet wie eine Wolke, hinter der sich die Sonne verbirgt, immer höher schwebte. Ich glaubte Ihn noch einmal sagen zu hören: „Ihr werdet Macht bekommen.“ Macht? Wann wird sie kommen? Wie wird sie sein? Wird sie eine Veränderung in dem Schicksal dieser Welt bedeuten, die es zustande bringt, daß der Große Rat, der Sanhedrin, der Hohepriester, Pilatus, die römischen Legaten, die Tetrarchen, der ferne Kaiser mit einem Male für uns keine Gefahr mehr sind? Vielleicht, dachte ich mit Schrecken, wird sie nur eine Verheißung sein wie die Verheißung des Messias, die jahrhundertelang spukt und unversehens entgegen den um sie wuchernden verirrten Sehnsüchten zur Wahrheit wird?

Die Jünger erhitzten sich im Wortstreit. Nur Maria schwieg. Wußte sie mehr als die Jünger über das, was geschehen sollte? Ihr letzter Schmerzensschrei war dort auf dem Berg erschollen: „Mein Sohn“, rief sie, „willst Du mich noch einmal verlassen? Nimm mich mit, laß mich nicht zurück!“ Sie fiel an Seine Knie, Er aber beugte sich über sie und sagte ihr leise etwas, so wie sie miteinander zu sprechen gewohnt waren. Als Er zu Ende gesprochen hatte, neigte sie sich noch mehr; sie berührte mit ihrem Gesicht Seinen Fuß. Er hob sie nicht wie ein Sohn auf. Er trat zurück wie Gott, der Seinen Willen kundgab und weggeht. Sie schluchzte nicht mehr, sie erhob sich und stand im Kreise der anderen still. Dann, als Er schon verschwunden war, trat sie mit allen zu der Spur auf dem Stein, kniete nieder und küßte den Felsen mit erblaßten Lippen und ging allein hinunter, nicht wie damals von Golgatha, als man die vor Weh Blinde auf dem Weg fast tragen mußte. Ihr Gesicht schien zu Stein geworden. Das dauerte aber nur kurze Zeit. Plötzlich blieb sie stehen.

Sie wartete auf die Jünger, die nachkamen. Sie breitete die Arme aus, als wollte sie alle schützend umfangen.

„Kommt, Kinder“, sagte sie. Der Ausdruck von Weh war verschwunden. Eine tiefe, innige Herzlichkeit überdeckte es. Sie umfing alle mit ihrem Blick, auch mich. „Wir werden jetzt beten, und im Gebet werden wir warten.“

Gehorsam folgten wir ihr. Sie sagte uns jetzt jeden Tag: „Wir wollen niederknien und beten!“ Im Kreise kniend bestürmten wir den Himmel. Am ersten Tage waren wir sicher, daß unser Gebet rasch erhört werde. Aber am neunten Tage wußten wir nicht mehr, was wir von Seinem Schweigen halten sollten.

Hinter den Hausmauern begannen in der menschenleeren Stadt Bewegung und Lärm anzuschwellen. Die Schabua-Festtage nahten. Leute kamen aus den Feldern herein, sonnenverbrannt und mit Aehren und Weintrauben bekränzt. Wir wußten nichts davon. Wir beteten, bis uns der Atem versagte. Aber das Beten fiel uns immer schwerer. Das Leben klopfte mit dem Lärm von außen bei uns an. Wir fühlten, daß es nicht nachgeben werde. „Man wird doch irgendwie weiterleben müssen.“ Dieser Gedanke zwängte sich zäh in die Köpfe. Irgendwie leben, als wäre alles, was geschehen war, nie gewesen. Gott kam auf die Welt. Er offenbarte Sein Herz, und die Welt blieb doch Welt. Nach einigen Jahren, ging es mir durch den Sinn, wird es uns nur noch so dünken, Er habe gelebt, sei gestorben und auferstanden. Der Gott in der Höhe ist für den Alltag da, aber der Gott, der litt und starb, muß immer aufs neue auferstehen, damit wir Ihn nicht vergessen.

Oft schaute ich sie an. Sie war der einzige Trost, die einzige Hoffnung. Die Jünger spannen Erinnerungen, sie wurden beim Erzählen dessen, was gewesen war, rührselig. Sie kehrte nie in die Vergangenheit zurück. Sie betete um die Zukunft. Ich schaute sie an. Sie aber fühlte meinen Blick, hob die Augen zu mir und lächelte mich an. Es schien mir, sie verstehe meine Müdigkeit, munterte mich aber mit diesem Lächeln zu einer weiteren Anstrengung auf. Ich kehrte zum Gebet zurück. Inbrünstig wiederholte ich: „O Herr, sende, was Du zu senden versprochen hast! Sende es bald! Auf Dein Kommen konnte man jahrhundertelang warten. Das Warten auf einen Unbekannten ist nicht so schwer. Aber da Du Deine Stimme hören ließest, ist weiteres Warten nicht mehr zu ertragen. Der neunte Tag ist vorüber, und es kommt noch nicht. Neun Tage! Kannst Du begreifen, wieviel das ist? Für Dich sind tausend Jahre wie ein Tag. Aber für uns dauert ein Tag oft länger als tausend Jahre.“

Es wurde Abend und das Fest begann. Die ganze Stadt schwärmte auf die Straßen. Gesang schallte gegen den Himmel, als sängen sogar die Mauern.

Wir nahmen das Abendbrot und kehrten zum Gebet zurück. Sie hatte uns dazu aufgefordert. Sie verlangte von uns mehr als an irgendeinem anderen Tag. Der Schlaf drückte auf unsere Lider, doch wir überwanden ihn mit aller Kraft. Im Chore sangen wir die Psalmen. Immer wie der kehrten wir zum Gebete zurück, das Er uns selbst gelehrt hatte: „Zu uns komme Dein Reich!“ Dieses Reich sollte zugleich mit dem Tröster kommen. Wir waren wenig mehr als ein Dutzend Menschen in diesem Raum. Aber unser elendes, manchmal in schlaftrunkenes Murmeln übergehendes Gebet schien um Tausende von Stimmen vermehrt zu sein, als beteten viele mit uns. Trotzdem hatten wir in all diesen Tagen noch nie so schlecht gebetet. Immer wieder fiel einer von uns in Schlummer. Er wankte und sank um. Die Nacht schien kein Ende zu nehmen. Werden wir bis zum Morgen beten? Ungeduldig, fast ungehalten hob ich meine Augen zu ihr. Sie aber gab uns nach jedem Psalm einen neuen an. Als sie unsere vor Erschöpfung blassen Gesichter sah, eiferte sie uns lächelnd an: „Nur noch ein wenig, Kinder! Harret aus!“

Wir kehrten zu unserem. Gemurmel zurück. Das Licht der Lämpchen verblaßte. Ihr Leuchten verschwand, vom Löschhorn des Tages ausgedrückt. Das Schwarze hörte auf, schwarz zu sein. Bis endlich der erste Sonnenstrahl auf die Wand fiel. Er wuchs an Macht, Helle und goldenem Schimmer. Wir beteten noch immer. Die Wand vor uns schien in Brand zu geraten. Sie g ühte und schickte Wogen von Licht in unsere Augen. Ich war am Ende meiner Kraft. Ich streckte eine Hand aus und stützte mich mit den Fingerspitzen am Boden auf.

. Auf einmal reckte sich Maria auf. Sie hob den Kopf und breitete die Arme aus. Sie war jetzt wie der Hohepriester, wenn er ein Opfer darbringt und auf die Flamme wartet, die von oben fallen soll, um das Opfer zu verzehren. Sie sprach leise. Wir unterbrachen unser Gebet und schauten wir gebannt auf sie. Und da-...

. Etwas stürzte auf uns herab. Etwas fiel von oben auf uns, eine unsichtbare Fülle von' Glut und Macht. Der Riese, den wir unter uns zu fühlen bekamen, -trat jedpch nicht im Zorn zu uns, Er übetfiel uns mit einem heißen Wirbelwind, hielt aber Seine Kraft zurück? um uns nicht zu versengen. Das war ein Barmherziger, der unsere Schwäche bedachte. Er schwebte in der Stube, einem Vogel ähnlich, dessen Schwingen die Wangen streifen und drohend rauschen, dessen Flug aber ruhig und sicher ist. Er schlug über uns unsichtbare Kreise, immer tiefer und tiefer, bis Er endlich auf unseren Köpfen sich niederließ. Er hätte uns zermalmen können, aber Er zermalmte uns nicht. Er rührte uns nur mit einer liebevollen Berührung an. Etwas wie Flammenzungen wirbelte in der Luft, hielt vor unseren Stirnen inne, drang in die Tiefe unseres Denkens. Was außer uns geschah, strömte in uns ein. Wir nahmen das Brausen in uns auf, und es erfaßte unsere Herzen und Gehirne. Es vernichtete uns, aber so, daß wir nach dieser Vernichtung verlangten. Auf einmal wurde uns bewußt, daß wir alle schrien. Die Macht, die sich auf uns niederließ, riß uns trotz ihrer milden Güte in Fetzen. Wäre sie länger auf uns geblieben, wir hätten aufgehört zu sein. Noch ein Augenblick, und wir wären zu FJammen geworden, die wie vom Stengel gerissene Blumen in der Luft flatterten. Aber dieser schreckliche Hauch verging. Er hatte uns mit der Liebkosung berührt, die ein Stück Lehm zu einem lebensfrischen Leib verwandeln konnte, und war entschwunden. Doch von der Macht, die über uns dahingegangen war, blieb etwas in uns. Als wir uns, immer noch schreiend, erhoben, hatten wir dieselben Leiber wie vorher, die der Nahrung und des Schlafes bedurften, die gleichen wunden Knie. Aber dieses unser Elend war wie der Käfig für ein Feuer geworden, das die Welt versengen konnte. Wir mußten schreien, denn in uns war mehr, als die Hülle des Leibes einschließen konnte. Wir standen im Kreise, wie wir vorher im Kreise gekniet hatten, voller Ungeduld, bereit, sogleich irgendwohin zu gehen. Tatendrang loderte in uns wie ein ölgetränkter Scheiterhaufen.

Wir liefen aus dem Haus. Vor uns sahen wir einen Menschenauflauf. Bei unserem Anblick brachen sie in Lachen aus. Wir müssen wirklich lächerlich ausgesehen haben — ein Haufen von Menschen mit fiebernden Augen, mit Geschrei auf den Lippen, mit fuchtelnden Händen. Die Leute fragten sich gegenseitig, wer wir seien und warum wir uns so aufführten. Wir hörten fremde Sprachen und Mundarten. Plötzlich bemerkte ich, daß ich einige davon verstand, als hätte ich unbegreiflicherweise auf einmal die Geheimnisse der Sprachen entdeckt, die ich brauchen werde. Und nicht nur ich allein, jeder von uns hatte die Kenntnisse der Sprache jener Menschen empfangen, die ihm anvertraut wurden. Nicht nur, daß wir sie verstanden, wir konnten auch mit ihnen in ihrer Sprache reden. Wir standen da, benommen von der verliehenen Macht und gleichzeitig von dem Auftrag betroffen, der sich in der entdeckten Fähigkeit kundgab. Jetzt blieb keine Wahl mehr. Sovielmal entschlagen wir uns einer Verpflichtung mit der Begründung: Ich kann das nicht erklären. Jetzt konnte man sich nicht mehr weigern. Wir standen uns gegenüber: die lachende Menge und wir wenige, zitternd, aber gefestigt.

„He, ihr Trunkenbolde!" rief einer aus der Menge. „Was schreit ihr da? Warum stört ihr die Ruhe des heiligen Tages?“

„Der junge Wein gärt in ihren Köpfen.“

„Ruhe!“

Ich hätte vortreten sollen. Die Kleidung eines Pharisäers hätte der Menge Achtung abgenötigt. Ich überlegte noch. Ich begriff schon und widerstrebte doch noch immer. Auf einmal sah ich, daß Petrus sich vordrängt. Sein breites Gesicht war rot, als wäre er wirklich betrunken. Mit seinen großen Händen schob er seine Gefährten wie mit einem Ruder beiseite. Ich dachte: Was kann dieser Amhaarez schon sagen? Aber schon war er vor uns hingetreten. Als er zu sprechen begann, übertönte seine weittragende Stimme sogleich das Geschrei. Ich habe ihn vielmal gehört, wie er in jähem Sprechen aufbrauste und dann wie ein gescholtener Knabe still wurde. Jetzt fing er langsam an, voll Würde, sein Ungestüm niederzwingend:

„Ihr sagt, wir seien betrunken. Das ist nicht wahr. Zudem trinkt keiner so früh am Morgen. Glaubt aber nicht, es sei hier nichts vorgefallen! Im Gegenteil! Es ist gekommen, was Joel, der Prophet des Herrn, weissagte, als er schrieb: ,Es kommt der Tag. da der Allmächtige Seinen Geist zu jedem Menschen sendet.'"

Immer noch dachte ich: ich hätte sprechen sollen. Doch gleichzeitig konnte ich mich der Rede Simons nicht entziehen. Wie konnte es geschehen, daß dieser Galiläer, dieser Fischer aus Bethsaida, so zu sprechen vermochte? Seine Rede war einfach, aber sie traf den Kern der Sache und riß auch mich durch ihren Mut mit.

„Ihr habt doch Jesus von Nazareth nicht vergessen“, sprach er weiter, „der noch vor kurzer Zeit unter uns lebte, Zeichen und Wunder wirkte, Kranke heilte, Tote auferweckte und eure Bitten erhörte? Diesen Jesus habt ihr dem Tode überliefert. Die Heiden haben Ihn ans Krėūz geschlagen. Und Er ist gestorben. Doch der Tod hatte keine Gewalt über Ihn. König David ist gestorben und liegt hier auf dem Sion begraben. Jesus aber ist gestorben und auferstanden, und wir sind dessen Zeugen.“

Er zeigte auf sich und uns. Dieser Mensch, der noch vor kurzem angstgeschüttelt im Hofe des Kaiphas geschrien hatte: „Ich kenne Ihn nicht“, der es nicht gewagt hatte, zum Kreuze zu kommen, und nicht mitgegangen war, um uns bei der Grablegung zu helfen, sagte jetzt mit entschlossener Festigkeit: „Wir!“ Ich begriff. daß nicht einmal ich mit allem, was ich empfangen hatte, auf diese Weise hätte sprechen können. In Simon war die Zuversicht jäh wie ein Blitz aufgeflammt. Wie kann er lieben! Es kam mir vor, als entdecke ich diesen Menschen aufs neue. Wenn die Liebe im Reich des Meisters alles ist, so war es recht, daß Er ihn zum Ersten in Seiner Kirche bestellte. Aus welch erbärmlichem Lehm kann ein Gefäß des Herrn geformt werden!

Die Leute vor uns lachten nicht mehr. Sie standen still, überrascht, von dem betroffen, was sie hörten. Auf vielen Gesichtern sah man nun Furcht und Trauer, ja Verzweiflung. Plötzlich rief einer aus: „Wir haben Ihn nicht getötet! Die Römer waren es!“

„Wir haben Ihn nicht ausgeliefert", rief ein anderer. „Das taten die Priester und Pharisäer. Wir sind arme Leute!“

„Da du sagst, Er sei auferstanden und im Himmel wie können wir Ihn um Verzeihung bitten?"

„Was sollen wir tun?“ rief man von allen Seiten. „Was sollen wir tun? Er war gut, Er war barmherzig, Er war immer mit uns, nicht mit denen, die uns bestehlen. Wir wollten Ihn nicht töten.“

Simon trat näher zu ihnen. Er breitete die Arme aus mit derselben Geste, mit der der Meister die Menge zu sich gerufen hatte und rief:

„Leugnet eure Schuld nicht! Verliert aber auch nicht das Vertrauen! Er ist für euch gekommen, für euch hatte Er gelitten, für euch ist Er gestorben. Für euch, eure Kinder und für die. die kommen werden. Ich bin nicht besser als ihr, denn ich habe Ihn verleugnet. Er aber hat mir alles verziehen. Er will nur, daß wir Ihn lieben. Liebt Ihn also und ändert euer Leben! Tut Buße! Werdet zu lebendigen Bausteinen am Hause des Herrn! Liebt Ihn und liebet einander! Kein Frevel bestehe unter euch! Merkt euch:

weder' um Silber noch um Gold seid ihr erkauft worden, sondern um das Blut des Messias, des allerreinsten Lammes. Laßt euch in Seinem Namen taufen! Wasser soll auf euch fließen und euch so reinigen, wie es die Erde bei der Sintflut gereinigt hat. Dann kommt auch über euch der Tröster-Geist. Er kommt wie ein Sturmwind, der durch die Geschlechter weht, wie ein Regen auf unfruchtbare und dürstende Erde, wie ein Häscher, der in der Verfolgung nie ermüdet, wie ein Richter, der immer milde ist, wie ein Bettler, der vor der Türe eines Hauses ausharrt, wie ein Kranker, der des Trostes nie satt wird!“ Sie kamen zu ihm, ihre Not in ausgestreckten Händen tragend, und baten ihn: „Taufe mich! Mich auch! Und mich! Taufe mich im Namen des Jesus von Nazareth!“

Ich nahm Simon am Arm. „Siehst du, Petrus“, begann ich — ich wollte ihm sagen, was mir auf einmal ganz klar geworden war —, „ich kann es nicht genug bereuen: Es kam mir immer vor, ich sei besser als einer von euch. In Seinem Namen ...“

Er unterbrach mich rasch: „Das ist nicht der Rede wert, Nikodemus! Bedenke: ich habe Ihn verleugnet. Aber auch darauf zurückzukommen, ist jetzt nicht Zeit. Du siehst doch“, er schlug mit der Hand einen Kreis und zeigte auf die demütig sich herandrängenden Menschen, „dieses Feuer hat alles entzündet.“ Als wüßte er nicht, ob ich ihn verstanden habe, legte er mir seine große Hand auf die Schulter und beugte sich über mich: „Als Er mich fragte, ob ich Ihn liebe, sagte ich zu Ihm: ,Du weißt alles. Er weiß, wieviel Liebe in den Herzen der Menschen verstreut ist, und Er will sie ganz haben. Wir müssen sie nur für Ihn ernten. Rasch, Nikodemus, an die Arbeit, daß Er uns nicht müßig finde, wenn Er wiederkommt!"

So begann die Kirche ihren Weg in die Welten.

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