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Als Lotte H. Eisner vor drei Jahren in Paris das Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe ihrer erregenden Analyse der Blütezeit des deutschen Films, „Dämonische Leinwand“, schrieb, meinte sie anfügen zu müssen, daß der Ausdfuck „dämonisch“ im Sinne der Antike und Goethes und nicht etwa als „diabolisch“ zu verstehen sei. Sie wußte vermutlich nicht, daß ihr Schicksalsgefährte, der Frankfurter Kritiker Siegfried Kracauer, 1947 in der amerikanischen Emigration in Fortführung seiner einstigen sozialpsychologischen Kritikermethode zum selben Thema ein Buch, „Von Caligari zu Hitler“, geschrieben hatte (es liegt seit kurzem in deutscher Sprache als Band 63 von Rowohlts „Deutscher Enzyklopädie“ vor. 200 Seiten, Preis 1.90 DM), das dem Begriff, wie schon der Titel des Buches dartut, die rein, ästhetische Farbe nimmt und die richtige Dämonie, Diabolie eines hintergründigen psychoanalytischen Vorganges von weltgeschichtlicher Bedeutung verleiht. Kracauer verficht die Thele, daß im deutschen Film, angedeutet schon immer, deutlicher ab ..Caligari“ (1920), ein kollektives Unterbewußtsein alle Strömungen widerspiegle, die zur Machtergreifung Hitlers führen. Eingepreßt in die zwei , großen Wogen Chaos—Ordnungsstreben der ersten Nachkriegszeit, schaukle der deutsche Mensch und der deutsche Film zwischen Extremen, zwischen Möglichkeiten, autoritären und demokratischen, dä-monisch-sadistisch-masochistischen und kleinbürgerlich-idyllischen, und schwimme schließlich in genau erkennbaren Wellen (Tyrannei-, Schicksals-, Trieb-und romantischen Fluchtfilmen) zielgerecht dem Verderben in die Arme. Das ergibt stellenweise verblüffende Ein- und Lichtblicke, die zum Teil alle „Werte umwerten“, da und dort leider auch (was dann das grundkluge Nachwort Wolfgang v. Einsiedels einzurenken versucht) zu Ueberspitztheiten und Einseitigkeiten So kann ich dem Autor beim besten Willen nicht folgen, wenn er aus der „Botschaft ragender Gipfel und gefährlicher Aufstiege“, wie sie die Hochgebirgsfilme der Fanckh-Schule darstellen, ein quasi früh-hitlerisches Glaubensbekenntnis herauszuhören glaubt. Auch die Einordnung religiöser Filme, wie Wienes „INRI“ u. a., in romantische Fluchtformen ist unhaltbar. Ueberhaupt scheint mir dieses gescheite und aufregende Buch das Kind

Vnit dem Bade auszuschütten, indem es alles und jedes auf das Prokrustesbett der These zu spannen sucht. Die These ist diskutabel, mindestens stellt sie ein wichtiges Pendant zu Lotte Eisner doch stark ästhetisch parfümierter Methode dar. Es ist nur schade, daß wir jetzt zu dieser so bedeutenden und schwierig-widerspruchsvollen Phase des deutschen Films nur die beiden genannten Darstellungen besitzen, die sich bei allem Wissen und Bemühen doch nicht ganz des Emigrantenressentiments entfesseln können. Sicherlich ließe sich auch von anderer Seite dazu Erhellendes sagen. Und das steht — auch nach Zglnicky, Fränkl, Knaur u': a. — noch aus. *

Gänzlich aus anderem Holz ist Curt Rieß, Verfasser des weitverbreiteten, nunmehr schon in zweiter Auflage vorliegenden stattlichen Wälzers „Das gab's nur einmal“ (Verlag der Sternbücher, Hamburg, 784 Seiten mit 576 Abbildungen, Preis 134.65 S). Hier reden nicht die Filme, sondern, in angeregtem, direktem Gespräch, die Personen. Es ist Journalismus, Magazynismus in Reinkultur. Rieß weiß viel; wo nicht, ahnt er manches; wo auch das nicht, sagt er's trotzdem, wörtlich, wie Herr X oder Fräulein Y es gesagt haben könnten. Man kann das Buch trotzdem nicht als Kulissenklatsch abtun. Die Zeit von 1933 bis 1945, nahezu die Hälfte des Buches, mit den ungewöhnlichen, immer mit dem Tode endenden Schicksalen so verschiedener Gestalten, wie Steinhoff, Brausewetter, Liedtke, Danne-mann, Kayßler, Schlettow, George, Gottschalk, Selpin u. a., ist atemraubend, erschütternd zu lesen. Daß ihre Ereignisse zuweilen an Schundkolportage streifen, geht nicht aufs Konto des Verfassers: die Zeitgeschichte selber schrieb damals nicht immer, sondern schmierte ...

„Wissea Sie noch?“ (ein DnF.-Tatsachenbericht vom Zusammenbruch und Neubeginn des deutschen Films, Vorwort von Horst G. F e 1 d t. Der neue Film, Verlagsgesellschaft Feldt 4t Co., Wiesbaden-Biebrich) spielt nach der Katastrophe — auf noch rauchenden Trümmern, in devastierten Atelierhallen, bei Zähneklappern und leerem Magen. Ein kleines Heldenlied von Heiß und Zähigkeit — und guten deutschen Nachkriegsfilmen, in Berlin, München, Frankfurt, Hamburg, Baden-Baden und — Mitteldeutschland; ein Kampf mit Materie und Mensch (auch bei ausländischen Besatzungsmächten gibt es Bürokratie!). Der Oesterreicher Hoesch könnte einen Anhang für uns dazuschreiben.

Ein Vortrag von Dr. Carl-Heinz L ü d e r s auf einem Filmclub-Treffen in Bad Ems, „Der europäisch* Spielfilm — kulturell und politisch gesehen“, liegt nunmehr gedruckt vor (Der neue Film, Verlagsgesellschaft Feldt t Co., Wiesbaden-Biebrich, deutsch, englisch und französisch, 48 Seiten). Eine' gescheite Analyse (mit einem Fragezeichen am Schluß), an der besonders die liebevolle Vertiefung in den eminent wichtigen Unterhaltungsfilmen beeindruckt; gerade hier allerdings hätte der österreichische Eigenstil mindesten gestreift werden müssen und nicht kurzerhand „deutsch einvernahmt“ werden dürfen.

In blendender Ausstattung präsentiert sich „D e f wissenschaftliche Film in Deutschland“ von Gotthard Wolf (Verlag Sam. Lucas G. m. b. H., Wuppertal-Elberfeld). Einem sehr reifen Essay folgen W8 einfarbige und 16 farbige Bilder über moderne Spitzenleistungen des wissenschaftlichen Films, die zum Teil sensationell sind.

Gunter Groll hat sein Essayvorwort zur ersten Kritikensammlung „Magie des Films“ erweitert und aktualisiert und präsentiert es nunmehr als eigenes Büchlein: „Demnächst in diesem Theater — kritische Notizen zu Film, Zeit und Welt“ (Süddeutscher Verlag, München 1957, 60 Seiten). Die hintergründigen Formulierungen dieses einzigartigen Kritiker-Dichters diktiert ein starke Ethos. Davon eine Kostprobe: „Unsere Zeit: das sind wir. Die Welt, nicht nur die Welt des Films, ist eine Antwort auf uns und unser Sein. Uns geschieht, was wir sind; und wir werden zu dem, was wir lieben: Leere oder Sinn. Der Film ist im Grunde, was immer wir auch von ihm wissen, wie immer wir zu ihm stehen und was auch die Kritiker über ihn schreiben mögen, genau so gut und so böse, so furchtsam, fröhlich oder wirr wie wir. Woraus zu ersehen wäre, wodurch allein er letztlich besser werden kann.“

Der „Oesterreichische Film-Alm a-nach 195 8“ (Herausgeber Harry Nestor, Wien IV, Kleine Neutorgasse 4) ist wieder erfreulich gewachsen. Besonders das Anschriftenmaterial des vorderen Teiles: Aemter, Behörden, Verbände, Presse, Produktion und Verleih, Rundfunk und Fernsehen, ist erweitert und aktualisiert worden; im ganzen wurde ein Grad von Fehlerfreiheit erzielt, wie er in solchen Nachschlagewerken nur selten anzutreffen ist. Eine saubere, gründliche Arbeit.

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