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DANIEL-HENRY KAHNWEILER / EIN LEBEN FÜR DEN KUNSTHANDEL

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Er ist heute gewissermaßen der Doyen der internationalen Kunsthändler und -Sammler, Eigentümer einer der renommiertesten Galerien, der „Leiris” in der Pariser Rue de Monceau 47. Am 25. Juni wird er vierundachtzig. Ein amüsanter Herr, sehr lebhaft, einer, der mit scharfem Blick seine Umwelt prüft. In der Halle des Hotel „Sacher” gibt er für die „Furche” vor der Eröffnung der Picasso-Ausstellung rasch ein Interview.

Wie ist Monsieur Kahnweiler Kunsthändler geworden? „Ich stamme aus einer Bankiersfamilie, wurde an die Pariser und Londoner Börse geschickt, um das Bankfach von der Pike auf zu studieren. Wie es so kommt, sah ich in Paris Bilder, die mich faszinierten: Bilder der Impressionisten, von Toulouse, Cėzanne. Das war 1902. Mit zweiundzwanzig war ich soweit. Ich kaufte Derain, Braque, Picasso, dann Leger. Versuchte, diese Maler exklusiv zu vertreten, ihnen zugleich etwas von den Alltagssorgen abzunehmen. In der Rue Vig- non 28 eröffnete ich damals eine kleine Galerie. 1914 wurde mir als Deutschem die Galerie beschlagnahmt, nach dem Krieg unter einem anderen Namen wiedereröffnet. Heute ist sie eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, heißt ,Galerie Louise Leiris’.”

Daniel-Henry Kahnweiler hat stets in Büchern und Aufsätzen seine Künstler, ihre Stileigenheiten für das Publikum zu interpretieren versucht: „Ich glaube, es sind insgesamt zehn Bücher, die ich geschrieben habe. Nach Picassos und meinem Tod werden jedoch unsere Korrespondenzen und Unterredungen veröffentlicht, die bisher außer uns beiden niemand kennt. Sie enthalten zuviel über noch lebende Persönlichkeiten.”

Kahnweilers Erläuterungen über das Schaffen „seiner” Künstler sind überall nachzulesen. Was denkt er über abstrakte Kunst? „Ich halte sie für einen völligen Irrtum”, meint er vehement. „Mit meinem Freund Professor Gehlen habe ich mich immer wieder über alle Richtungen unterhalten, über kinetische Kunst, Multiples usw. Er und ich glauben, daß man dereinst fast alles davon wegwerfen wird, weil es sinnlos ist.” Sprechen Sie nur der objektbezogenen Kunst, das heißt der gegenständlichen Malerei und Skulptur, Bedeutung zu? „Ausschließlich. Die Malerei hat nichts mit der Photographie gemein, sie ist keine Wiedergabe, sie schafft vielmehr die Außenwelt, so daß wir in jedem Bild die Außenwelt erst so begreifen, wie der Künstler sie für uns erschafft. Die sogenannte abstrakte Malerei wird eines Tages verschwinden.”

Wie beurteilt Kahnweiler die Lage des Pariser Kunstmarktes? Man hört oft, daß der Umschlagplatz für Neue Kunst sich mehr und mehr nach New York verlagert? „Gewiß, der Markt für Alte Kunst einschließlich der der Impressionisten hat sich nach den USA verschoben, bedingt durch die Auswanderung großer Sammler und Kunsthändler. Der zentrale Markt für Neue Malerei und den Picasso-Kreis ist jedoch Paris geblieben.”

Eine letzte Frage: Wie steht Picasso selbst zur Kunst seiner Zeitgenossen? Kahnweiler erinnert sich eines Gesprächs mit dem Freund — 9. Juni 1961, Nachtmahl mit Picasso in „La Califomie”: „Wir beide plaudern bis zum Nachtmahl. Picasso spricht vom Tachismus. Er sagt: ,Ich habe nichts dagegen. Wenn es gewissen Leuten Freude macht, so etwas zu schaffen, und andern, das Ergebnis an ihre Wände zu hängen — meinetwegen! Es ist ihr gutes Recht — aber Kunst ist es keine! Es ist von beiden Teilen — eine rein physische Betäti-

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DR. MONIKA BERTHOLD

Nach 800 Jahren zurückgekehrt

Ein Säckchen mit Knochemstaub, eine Schachtel mit Knochensplittern und einige große Knochenteile, die man in mühevoller Arbeit aus Fragmenten zusammengesetzt hatte, bilden das derzeit aufregendste Inventar des Naturhistorischen Museums in Wien. Es ist das, was von einem großen Österreicher, dem seligen Otto von Freising, übriggeblieben ist.

Ist aber das, was man da an menschlichen Überresten in den Händen hielt, wirklich einmal Otto von Freising gewesen? Wer konnte das heute noch beweisen? Die Klärung dieser Frage war nun die Aufgabe der Wissenschaftler.

Otto von Freising war der Sohn des Markgrafen Leopold III., des Heiligen und der Kaisertochter Agnes, er war der Enkel Kaiser Heinrichs IV., und der Onkel Kaiser Friedrichs I. Barbarossa.

Im Alter von 20 Jahren — das war um 1132 — entsagte Otto der Welt und trat in den Orden der Zisterzienser ein, berichten die Chroniken. Er regte die Gründung des Stiftes Heiligenkreuz bei Wien an und wurde zum bedeutendsten Geschichtsschreiber seiner Zeit. Er schrieb in genialer Erweiterung von „De civitate Dei” des heiligen Augustinus eine Weltgeschichte in acht Bänden, die er „De duabus civitati- bus” (Chronik oder Geschichte der zwei Reiche) nannte, wobei er den Weltstaat, in den Gottesstaat einzubauen suchte. Für Friedrich Barbarossa schrieb er außerdem zwei Bände, die „Gesta Friderici” (Taten Friedrichs).

1138 wurde Otto, der in aller Bescheidenheit im Kloster von Mori- mond (Frankreich) sein Leben Gott widmete, zum Abt ernannt. Noch im selben Jahr erhob man ihn auf den Bischofsstuhl von Freising (Bayern). Am 22. September 1158, als er sich gerade auf dem Weg in das Stammkloster der Zisterzienser, Citeaux, befand, starb er im Kloster zu Mori- mond.

Das Geheimnis der Reliquien

Und damit beginnt die geheimnisvolle Geschichte um die Reliquien, die verehrten Überreste eines Seligen der Kirche, die mit kriminalistischem Spürsinn wieder aufgefunden und nun mit Hilfe der Wissenschaft identifiziert werden.

Otto von Freising hatte sich ein bescheidenes Grab am Eingang des Kreuzganges zu Morimond gewünscht. Man setzte ihn aber in einem Bleisarg vor dem Hochaltar der Abteikirche bei. Als Jahrhunderte später die Französische Revolution das Land verheerte, plünderte ein Pöbelhaufen auch das Kloster von Morimond und zerstörte es völlig. Dabei riß man die Gebeine Otto von Freisings aus der Grabstätte, öffnete den Bleisarg und verstreute die Knochen. Wie die Überlieferung berichtet, soll ein überlebender Mönch des Klosters heimlich zurückgekehrt sein, die verehrten Reliquien gesammelt und in einer primitiven Bleikassette in der Nähe des Hochaltars wieder eingemauert haben.

Vor einigen Jahren entdeckte man tatsächlich in den Ruinen von Morimond die Bleikassette mit Skelettresten und Knochenteilen am Grabsockel der zerstörten Gruft. Hatte man den berühmten Seligen der Zisterzienser wiedergefunden?

Anthropologen haben das Wort

Dr. P. Leopold Grill, ein österreichischer Zisterzienser, der die Grabung leitete, brachte die spärlichen Reste nach Wien an das Naturhistorische Museum. So kehrte Otto von Freising, der vor 800 Jahren aus Österreich fortzog, wieder in seine Heimatstadt zurück.

Es dauerte viele Monate, bis die Anthropologen die Knochenreste soweit gesichtet und wieder zusammengefügt hatten und sich Schlüsse über den Ursprung der Gebeine ziehen ließen. Dr. Johann Jungwirth, der leitende Anthropologe am Museum, ist inzwischen auf Grund zahlreicher Feststellungen fest davon überzeugt, daß es sich bei dem Fund von Morimond tatsächlich um die kostbaren Reliquien des großen Österreichers handelt.

Am bedeutendsten war die Klärung der Frage nach dem Alter des Verstorbenen, von dem die Gebeine stammen. Dr. Jungwirth erreichte sie durch Untersuchungen der Struktur des schwammartigen Innengewebes der rumpfwärts gelegenen Oberarmund Oberschenkelknochen sowie der Epiphysenlinien (Epiphysen sind die Endstücke der Röhrenknochen) und der Oberflächenbeschaffenheit der Gebeine. Darnach muß der Mann etwa mit 45 Jahren gestorben sein. Tatsächlich starb Otto, wie in den Urkunden vermerkt ist, im 46. Lebensjahr. Eine genauere Datierung war vom wissenschaftlichen Standpunkt kaum mehr möglich. Urkunden, Briefe und Dokumente haben inzwischen das Bild des Geschehens so vervollständigt, daß an der Richtigkeit des Befundes kaum mehr gezweifelt werden kann.

Während die Anthropologen noch den „Schlußtext” in Sachen Otto von Freising zusammenstellen, bereitet Dr. Leopold Grill, der Entdecker der Gebeine, in Rain in der Steiermark eine Ausstellung vor. Dokumente, Urkunden und Andenken, die dort zusammengetragen werden, kreisen in ihrem Inhalt alle um den einen großen Namen, den „seligen Heimkehrer”, dessen Überreste, in einem wertvollen Reliquienschrein geborgen, nunmehr in Österreich die letzte Ruhe finden sollen.

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