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Dank an die Freunde

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Ein 70. Geburtstag ist keine reine Freude. Die reine Freude Zusammensein mit Euch. Heutzutage ist es nicht leicht, sich frei zu machen, vor allem sich auch innerlich frei zu machen für ein Fest von persönlichen Aspekten. Und bei einem 70. Geburtstag ist es außerdem so, daß man den Jubilar beneidet, weil er das meiste hinter sich und — hoffentlich — eine friedliche Zeit vor sich hat: Weil er Pensionist geworden ist und von der Berufs- peitsche nicht mehr gegeißelt wird; der Siebziger andererseits beneidet natürlich die Jüngeren, schon weil sie jünger sind und noch allerhand Erlebnisse vor sich haben, die für ihn schon Erinnerung sind. Diese beiden Gegenströme zu einer sprühenden Fontäne zu vereinen mit Hilfe von Wein und Geist, gelingt nur in einem Kreis von Freunden, wie der unsere ist.

Ich dank Euch, daß Ihr gekommen seid, mir diesen Tag zum Fest zu machen, und da Ihr alle jünger seid, mich unter Euch wieder jünger werden zu lassen. Dabei ist es für einen Mann noch leichter, 70 Jahre zu werden, als für die Frauen, die erst mit 80 70 werden, weil sie schon mit 50 erst 40 sind.

Aus meinem Leben zu erzählen, will ich gar nicht erst anfangen. Das wird schon noch ins Gespräch kommen. — Ich hab kein leichtes Leben gehabt, aber immer die Fähigkeit, es leichtzunehmen. Das ist eine glückliche Erbschaft von meinem seligen Vater. — Ohne diese Fähigkeit hätte ich zehn Jahre Militärdienst in zwei Weltkriegen, zwei Kriegsgefangenschaften und zwei Hungerzeiten nicht überlebt. Und manches andere auch nicht.

Mir ist nichts geschenkt worden. Ich hatte nie jemand, der mir’s „richtete“, ich mußte alles selber erarbeiten, vielfach gegen organisierten Widerstand. Heute genieße ich die Früchte dieser protektionslosen Arbeit in dem angenehmen Bewußtsein, niemandem verpflichtet zu sein.

In der Summe meines Erlebens bin ich Realist geworden, mit einem heimlichen romantischen Einschlag. Ich sehe die Dinge ziemlich scharf — ich habe ja zwei Brillen —, aber ich addiere meistens einen Wunsch dazu, dann sehen sie schöner aus. — Das ist kein Selbstbetrug, sondern eine Verschönerung der andern. Selber lernt man sich in siebzig Jahren schon ziemlich gut kennen und hat keinen Vergrößerungsspiegel in sich selber. Denn im Grunde ist die Wirklichkeit, die nackte Realität schöner als alle Illusionen. So bin ich dem Herrgott dankbar für die Septuaginta meines Lebens und für die trotz aller schweren Zeiten vielen Glücksfälle darin. Euch aber, meine lieben Freunde, danke ich für unsere unwandelbare Verbundenheit, die sich in den Jahrzehnten ihres Bestehens immer bewährt hat und heute den schönsten Beweis davon liefert. Unter uns hat jeder jeden schon gebraucht, jeder jedem schon geholfen, war einer für den anderen da, wenn er ihn brauchte, wenn auch sonst oft lange Pausen unsere Zusammenkünfte seltener machen. Wenn ich dieses Zusammenhalten, diese tätige Freundschaft als einen der hellsten Sterne meiner Erinnerung und Gegenwart bezeichne, ist das keine poetische Formel, sondern schlichte Wahrheit. Und wenn meine alten Tage mit Gottes Hilfe freundlich und schön werden wollen, wird Euer Anteil daran groß sein. FRANZ KRIEG

Nach Meinung der Germanisten stehen diese Entwicklungen aber nicht allein und isoliert da. Vielmehr kann mit ungeahnter Deutlichkeit aus den Ergebnissen dieser Vivisektion unserer Sprache herausgelesen werden, daß sich in ihr alle jene Erscheinungen konturscharf spiegeln, die wir auch im täglichen Leben erfahren: Hast, Nervosität und Gehetztheit auf der einen, aber auch die Fähigkeit, sich einer Aufgabe rasch zu entledigen, auf der anderen Seite. Typische Kennzeichen dafür bilden die Nachlässigkeit in der Wortwahl („sich vorbeibenehmen“, „vergebühren“,…), die Bildung neuer Wortkompositionen, in denen ganze Vorstellungskomplexe zusammengeleimt werden („Selbstroller“, „Druckkleber“, „pflegeleicht“, „reinweichen“,…), die Einstreuung eines zweiten Gedankens in Form von Klammerausdrücken und Einschüben in ein und denselben Satz oder überhaupt die gleichzeitige Behandlung zweier Gedanken, die Unsicherheit im Setzen des Konjunktivs, der immer häufiger der einfachen Umschreibung mit „würde“' weichen muß. Aus diesen Entwicklungstendenzen erkennt man deutlich ein Übertragen aller jener Anforderungen auf den Bereich der Sprache, welche die moderne Industriegesellschaft und die großstädtischen Verhaltensweisen dem Menschen von heute abfordern.

Solche Entwicklungen sind nicht aufzuhalten. Weder dadurch, daß Deutschprofessoren verschiedene Ausdrücke auf einen Privatindex setzen und deren Gebrauch in Aufsätzen bestrafen („beeindrucken“, „behufs“, „vermittelst“, „beinhalten“', …), noch durch noch so sprachheroische Taten wie die eines Arztes in einem Wiener Unfallkrankenhaus, der sich kurzerhand weigerte, seine Unterschrift unter ein Polizeiprotokoll zu setzen, das mit folgendem Satz gipfelte und endete: „Der Verunfallte wurde untersuchungshalber spitali- siert.“ Die Sprache trägt bereits die unverkennbaren Züge dieses unseres Lebens in sich und an sich.

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