6545994-1947_15_13.jpg
Digital In Arbeit

Dante in Ravenna

Werbung
Werbung
Werbung

Man schrieb das Jahr 1320. Dante, der seit zwei Jahrzehnten von Land zu Land irrte, von Fürstenhöfen zu den großen Gutsbesitzern, von Städten zu kleinen Dörfern, er, der sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten und Unterrichts-. stunden mühsam verdienen mußte — dieser Mann fühlte sich müde. Er war körperlich und seelisch weit mehr gealtert, als es seinen tatsächlichen Jahren entsprach, und sehnte sich nach einer ruhigen und endgültigen Zufluchtsstätte, wo er den dritten Gesang seiner „Göttlichen Komödie“ beenden und sich danrt in würdiger Weise auf den Tod vorbereiten könnte.

Er wußte nur zu gut, daß seine verbrauchten Kräfte nicht mehr lange diesem Leben voller Strapazen standgehalten hätten. Auch der Politik war er müde, seit alle seine Taten, alle die Ermahnungen an sein Volk wirkungslos geblieben waren. Nichts wünschte er dringender als einen stillen Winkel weitab von den Leidenschaften irdischer Streitigkeiten mit ihren Sijgen und Niederlagen. Er selbst war ein Besiegter und wollte nunmehr einzig und allein zu dem Zwecke leben, sein Werk zu vollenden.

In diesen Tagen lenkte das Schicksal seine Schritte nach Ravenna, in diese Stadt der Gräber, in der das Kaiserreich sein letztes Aufflackern erlebt hatte. Das Kaiserreich, dieser vergebliche Traum, von dem Dante sein ganzes Leben lang besessen war, offenbarte sich hier lebhafter als anderswo, es atmete in jedem Stein und führte seine Macht noch immer an zahllosen Dokumenten vor Augen.

In Ravenna wurde Dante in tiefster Verehrung von Guido Novello da Polenta empfangen, dem Nachkommen jener Fran-cesca, die der Dichter mit so viel glühen-

T i p a 1 d o der Liebe und mitleidsvoller Menschlichkeit besungen hatte. Guido Novello, der selbst die empfindsame Seele eines Dichters besaß, verstand die Gefühle des Verbannten und die Gastfreundschaft, die er ihm bot, war großzügig und diskret, ohne die geringste jener Demütigungen, -die. so oft Dantes Stolz verletzt hatten.

Ein eigenes Haus wurde ihm überlassen, wo er ruhig arbeiten konnte, vollkommene Freiheit war ihm gewährt und von Zeit zu Zeit erlaubten ihm verschiedene Aufträge von Seiten seines Gastgebers, sich sein Brot in einer ihm angemessenen Weise zu verdienen.

Hier in Ravenna fanden sich auch die Söhne Dantes ein, die da und dort verstreut im Lande gelebt hatten; und es scheint, daß auch Gemma Donati, die Gattin, zu ihm zurückkehrte, jene Gemma, von der sich nicht die geringste Spur in der „Göttlichen Komödie“ findet, jener wesenlose Schatten, der keinerlei Anteil am Leben des Mannes, am Werk des Dichters hatte.

Die Söhne, alle mittelmäßig begabt, aber in tiefstem Respekt vor ihrem großen Vater, verfolgt wie er seihst von der Radi-sucht und dem Haß von Florenz, zogen eine Schar jugendlicher Poeten ins Haus, die von nun an einen festen Kreis um den großen, stolzen Dichter bildeten. Pietro und Jacopo Alighieri lebten nun beim Vater, während die Tochter Beatrice sich als Nonne in ein Kloster von Ravenna zurückzog. Nun waren Leben, Zuneigung, Jugend um Dante und das tat ihm wohl nach der langen Einsamkeit und dem großen Schweigen.

Vor allem aber entsprach ihm die Atmosphäre Ravennas, denn diese Stadt, die jetzt nur mehr von ihren Erinnerungen zehrte, stimmte nur zu gut mit dem Seelen-zustand des Alighieri überein. Nirgendwo in Italien hätte er ein geeigneteres Klima finden können, um das großartige Finale seiner himmlischen Visionen zu schaffen.

Cäsar, der Gründer des Imperiums, schlug hier die ersten Akkorde der großen Symphonie an, die mit Justinian schließt. Hier spielte sich das dramatische Leben der Galla Placidia ab, von dessen Abenteuern die Geschichte berichtet und die leuchtenden Mosaiken ihrer Grabkapelle Zeugnis ablegen. Theoderich, der fremde König, der den römischen Kaisern gleichen wollte, lebte hier — und Sant' Apollinare Nuovo, das Baptisterium und das Mausoleum geben Kunde von den Ereignissen auf jenem Thron des westlichen Reiches, der unter dem Gewicht einer zu langen und zu glorreichen Vergangenheit bereits bedenklich schwankte.

Gräber, Gräber von Cäsaren und Märtyrern, der Bischöfe des Exarchats, das Grab des von Theoderich ermordeten Ministers Boezio, der Gotenkönigin Amalasuntha und Odoakers ...

Da waren aber auch die Pineta von Classe und ihre ausgedehnten Pinienwälder, von würziger, salzhaltiger Luft durchdrungen, die Dante kreuz und quer durchstreifen konnte, sich am wirren Durcheinander von Bäumen und Sträuchern, Gräsern und Moos erfreuend. Wenn die • Zweige unter einer leichten Brise erzitterten, hörte er aus ihnen jene göttliche Melodie, die ihn zur Vollendung seines Gedichtes beflügelte. Sicherlich, all die Bilder und Visionen des „Irdischen Paradieses“ wurden ihm in der Pineta suggeriert, ihm, der das Beben in der Natur ebenso verstand wie die “Schauer menschlicher Leidenschaften.

In dieser grünen Einsamkeit konnte er endlich die bitteren Enttäuschungen vergessen und sich stählen für das kühne Wagnis seiner Begegnung mit Gott.

Eben gerade in den letzten 13 Gesängen des Paradieses — die dann verlorengingen und in wunderbarer Weise von den Söhnen wiedergefunden wurden — sehen wir in leuchtenden Lettern das Kredo Dantes ge-sdirieben; sie sind sein Testament, sein Glaubensbekenntnis, geboren aus jenem Frieden von Ravenna, in dem er zu seinem innersten „Ich“ fand.

Der Mann, der seine erste Überzeugung als Parteigänger der Weifen widerrufen hatte, der sich vom Papsttum zurückzog, als der Papst den Namen Bonifatius VIII. trug, blieb sein Leben lang streng religiös. Er wußte das korrupte Wesen der damaligen Päpste vom wahren Christentum loszulösen, er blieb ein aufrediter Ghibelline, doch treu dem Katholizismus, auch als auf dem Thron Petri unwürdige Häupter regierten. Dante verstand zu verurteilen und trotzdem zu glauben, ein Richter menschlicher Schuld zu sein und sich doch demütig vor dem Altar zu neigen.

Über den letzten Gesängen des Paradieses schwebt schon ein Schatten, das Ende dieses tragischen Lebens zeichnet sich ab, dieses Lebens, das durch die menschlich wertvolle Gastfreundschaft des Guido Novello schließlich doch wie in einer heiteren Abenddämmerung versank. Es schien, als ob seine Seele ebenso wie sein Werk sich an die höchsten Höhen wandte, dorthin, wo die unaussprechlichen Dinge und die stummen Meditationen sind.

Ein einziges menschliches Empfinden band ihn noch an die Erde: die Erinnerung an jene Beatrice, die er als Jüngling geliebt hatte, die zur Fackel auf seinen dunklen Pfaden geworden war, zur Rose im Gestrüpp der Wildnis. Doch dann ließ ihn auch sie als das Bild einer Frau und zurück blieb nur die Selige, die weiße Flamme einer himmlischen Liebe. Es blieb jenes Wesen, das ihn durch die Himmel führte bis zu jenem Glanz, der ihn blenden mußte, der mit Worten rycht mehr zu beschreiben war und in einem Strahlenkreuz der Glorie den Gesang des Paradieses beschließt.

Nach den letzten Worten des Gedichtes verstand Dante rrt der Intuition des empfindsamen Menschen, daß über diesen Punkt hinaus weder der Dichter noch der Gläubige gelangen konnten.

Er verstand auch, daß seine Mission beendet, der Kreis geschlossen war — nun konnte er sterben.

Noch eine Probe seiner Ergebenheit für Guido da Polenta galt es abzulegen: als Abgesandter in einer heiklen Angelegenheit nach Venedig zu reisen.

Und gerade während dieser Reise im

Sommer des Jahres 1321, auf einem kleinen Schiff am Po, dessen Wasser die gefährlichen Dünste ausströmte, geschah es, daß Dante von einem tödlichen Fieber befallen . wurde.

In der Nacht vom 13. auf den 14. September legte der Dichter eine gequälte Seele in die Hände Gottes zurück.

Nun forderte jenes Florenz, das ihn einst seiner ganzen Habe beraubt, ihn verbannt, ihn zum Tode verurteilt hatte, den Leichnam Dantes. Ravenna aber verweigerte die Herausgabe, die Gebeine wurden in den Mauern der Kirche von San Francesco verborgen, später erst begraben und im 15. Jahrhundert in der von dem Venezianer Tullio Lombardo erbauten Gedächtniskapelle beigesetzt.

Zwischen Pinien, abgeschlossen vom Lärm des Lebens, trägt sie ein Glocke, auf der ein Vers aus dem Purgatorium geschrieben steht: „... Era giä Tora che volgo il desio ...“

Ewige Sehnsucht des Verbannten, der das Vaterland verfluchte und es doch so heiß liebte, der Unmenschliches erlitt aus Heimweh nach seinem „bei San Giovanni...“

So ruht Dante in dieser Stadt der Gräber, in der er den letzten Hafen seines sturmbewegten Lebens gefunden hatte, zwischen Königen und Märtyrern, größer als alle Könige und gequält wie die Märtyrer.

Die Weihestätte, die Ravenna ihm erbaute, ist der Dank an den Dichter, der der Menschheit die kostbarste Gabe schenkte: die „Göttliche Komödie“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung