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Darf sich Israel verteidigen?

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Es ist charakteristisch, daB die kritischen Stimmen nur wenige Tage nach Beginn der Operation in Israel eigentlich nur von seiten der Presse kommen, wahrend die

Politiker jeder Couleurs, Opposition inbegriffen, eigentlich unisono die Regierung unter-stiitzen. Kines der kritisierten Themen betrifft die libanesi-sche Hauptstadt Beirut. Pis ist zwar richtig, daB die bisher un-ternommenen Bombardierun-gen auf die Hauptstadt nur ein-zelnen ausgesuchten Objekten galten und weit davon entfernt sind, was sich der Durch-schnittsbiirger Europas oder Israels unter einem Flachen-

bombardement des Zweiten Weltkriegs vorstellt: Mit soge-nannter „chirurgischer Ge-nauigkeit", die beinahe schlaf-wandlerisch-unheimlich scheint, kann vom „Appat-schi"-Helikopter oder Flugzeug nicht nur ein bestimmtes Haus getroffen werden, son-dern sogar ein bestimmtes Stockwerk oder gar ein bestimmtes Zimmer, ohne dem Haus oder seiner Umgebung weiteren Schaden zuzufiigen. So gibt es genaue Aufnahmen von der Zerstorung von Biiros und Sitzungszimmern der Hezbollah in Beirut, dem poli-tischen und militarischen Zen-trum der Terrororganisation. Als die Hezbollah das Hoch-spannungsnetz in Kirjat Schmona traf, beantwortete dies die israelische Luftwaffe mit genauesten Treffern auf eine Transformator-Station 20 Kilometer nordlich von Beirut. Auch die bisherigen Ziele und Treffer lagen ausschlieBlich in jenem siidlichen Bezirk der Hauptstadt, in dem das Zen-trum der Hezbollah residiert.

Dennoch laBt es sich nicht vermeiden, daB bei der Inten-sitat der Bombardements und Anfliige unschuldige Passan-ten, Kinder, Greise, Frauen und Manner getotet oder ver-wundet werden. Eben hier setzt auch die israelische Kritik an, die mit Recht sagt, es konne keine hundertprozentig „sterile" Bombardierung ge-ben. Die offizielle Antwort dar-auf ist die, daB die Hezbollah-Raketen ja Zehntausende Israelis zur Evakuierung ihrer Stadte und Dorfer zwangen, darunter Tausende Schiiler, und daB Dutzende unschuldige Zivilisten wahllos verwun-det oder getotet wurden und das gesamte normale Ieben im Norden Israels stocken muBte.

Ein weiterer Punkt der Kritik betrifft den Status Beiruts als eine arabische Hauptstadt. Israel hat es bisher immer ver-mieden - bis auf Beirut im Jah -re 1982 -, eine arabische Hauptstadt zu bombardieren. Dies schafft eine panarabische Solidaritat, fur die sich die mei-sten arabischen Staaten durch -aus nicht begeistern. Hinter vorgehaltener Hand in den Wandelgangen der UNO oder bei Cocktails in Paris und London konnen israelische Diplo-maten von vielen arabischen Reprasentanten deren ab-grundtiefen HaB gegenuber der Hezbollah, dem Funda-mentalismus und dem Iran er-fahren; einigen ist sogar Schadenfreude anzumerken. Eine Bombardierung Beiruts kittet

jedoch die tiefen Risse inner-halb der arabischen Welt von neuem.

Am sechsten Tag der Operation scheint es, als seien bereits intensive diplomatische Be-miihungen von seiten Syriens, des Libanon, Jordaniens, Agyptens, Marokkos und der USA fur einen neuen modus vivendi angelaufen. Dies kann nicht im flandumdrehen er-reicht werden, sodaB die Ope-rationen im Libanon noch ei-nige Zeit andauern diirften. Ubrigens ist in diesem Zusam-menhang von Interesse, daB GroBbritannien zusammen mit den USA ziemlich eindeu-tig das Recht Israels auf Selbst-verteidigung hervorhebt, wahrend Frankreich und RuBland

eher im Fahrwasser der offizi-ellen arabischen Stellungnah-men segeln.

Die grausamste Seite eines jeden Krieges - und ein Au-genschein an der libanesisch-israelischen Grenze kann nicht dariiber hinwegtauschen, daB hier ein regelrechter Krieg im Gange ist - ist leider auch hier charakteristisch: das Leiden und die Opfer der Zivilbevol-ker auf beiden Seiten.

Kirjat Schmona, die groBte Stadt im Norden Israels, wur-de im Laufe von mehr als zwei Wochen ununterbrochen von Hezbollah-Raketen beschos-sen. Allein am vierten Tag der „Friichte des Zornes"-Operation gab es 100 Einschiisse von Katjuscha-Raketen im Norden. Mehr als 100 Zivilisten wurden schwer verwundet, mehr als ein Dutzend fanden den Tod in und auBerhalb der Stadt. Die Bewohner sind genotigt, Tag und Nacht in den Bunkern und unterirdischen Schutzraumen zu verbringen. Schulunterricht kann nicht durchgefiihrt werden. Sach-schaden in Millionenhohe an Hausern, Hausgerat und 6f-fentlichem Besitz sind entstan-den. Fast zwei Drittel der Be-volkerung haben die Stadt in Richtung Stiden verlassen, sodaB sie heute eher einer Gei-sterstadt gleicht. Das gleiche gilt fur eine Reihe kleinerer Stadte und Dorfer an der Grenze, deren Kinder und ein GroB-teil ihrer Bewohner in Stadte wie Netanya, Akko, Haifa, Aschkelon und Jerusalem eva-kuiert wurden.

Auf libanesischer Seite fliichteten Zehntausende bereits in den ersten Tagen nach Norden in Richtung Beirut, nachdem die Radiostation von Mers Ajun im Namen der mit Israel kooperierenden Sudliba-

nesischen Armee unter General Lahed Warnungen gesen-det hatte, daB alle Stiitzpunkte und vor allem AbschuBbasen der Hezbollah mit ihrer Ver-nichtung zu rechnen hatten. Der neue Fiihrer der Hezbollah, Hassan Nasrallah, war es, der vor einigen Monaten auf Initiative der iranischen Ajatollahs einen scharf-mili-tanten Kurs gegen Israel ein-gesehlagen hatte, wobei Geld-mittel reichlich flossen.

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