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Das Ärgernis des Bösen

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JEDER MENSCH IN SEINER NACHT. Roman. Von Julien Green. Übersetzung aus dem Französischen von Ernst S a n d e r. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten 1960. 359 Seiten. Preis 16.80 DM.

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JEDER MENSCH IN SEINER NACHT. Roman. Von Julien Green. Übersetzung aus dem Französischen von Ernst S a n d e r. Jakob-Hegner-Verlag, Köln und Olten 1960. 359 Seiten. Preis 16.80 DM.

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Julien Green gehört zu jenen christlichen Schriftstellern unserer Zeit, die in ihren Romanen der Problematik des Bösen einen breiten Raum geben. Er schildert sehr unmittelbar die Sünden und Versuchungen seiner Gestalten, die alle an der quälenden Erfahrung der Unvereinbarkeit von Geist und Sinnen leiden, an der Gespaltenheit zwischen diesseitiger Verhaftung und der Sehnsucht nach dem Absoluten. „Zwei Seelen wohnen, ach, in unserer Brust, die wollen einander die Gurgel abschneiden. Da soll einer damit fertig werden . ..”, schreibt Green einmal in sein Tagebuch. Und an anderer Stelle heißt es: „Man möchte so etwas wie die Einheit der Person erzielen. Auf welcher Ebene kommt solche Einheit zustande? Auf der fleischlichen oder der geistigen? Welche Ebene wir wählen mögen, es wird immer Mogelei dabei sein: man ist entweder bereit, die Wahrheit der Seele zu sagen, nicht die des Körpers — oder die des Körpers, nicht die der Seele.”

Man wird Greens Konflikte nur dann richtig verstehen, wenn man sie unter dem Blickwinkel der christlichen Heilslehre und ihrer Forderungen an den Menschen betrachtet. Alle seine Helden sind Gläubige, deren innere Schwierigkeiten aus dem Unvermögen entstehen, ihre Triebe zu beherrschen, die, genau wie die Weltkinder auch, dem Sog des Bösen verfallen, aber, im Gegensatz zu diesen, daran leiden, weil ihre Taten sie von Gott entfernen und sie unausweichlich der Verdammnis auszuliefern scheinen. Hier nun beginnt das unbegreifliche Paradoxon: gerade die Sünde wird für Green zum Ausganspunkt für die göttliche Gnade. Immer wieder exemplifiziert er — ähnlich darin der Langgässer —, daß Schuld und Erlösung einander bedingen, daß die .,gratia” erst die Natur vollendet, daß das Wort von der „felix culpa” sinnlos wird, wenn die christliche Dichtung die böse und sündhafte Seite der Welt und des Menschen styßVi x0026;t oder auch nur verkleinert. So entlarvt er die Abgründe des menschlichen Herzens schonungslos, aber gewiß nicht aus einer ungesunden Neigung zum Bösen, sondern trotz innerer Bedenken. Sagt er doch einmal, daß der Schriftsteller mit seinen Gestalten gewissermaßen unter einer Decke stecke: „Wenn sie sündigen, sündigt er irgendwie mit…” Und doch nimmt er diese Gefährdung auf sich, weil er in der Schilderung des menschlichen Dramas zwischen Gott und dem Teufel ein Mittel sieht, das Übermaß der göttlichen Gnade ins Licht zu rücken.

Greens neuer Roman ..Jeder Mensch in seiner Nacht” ist ein Musterbeispiel für diese Weltschau. Der Held, Wilfried Ingram, ein junger Mann aus sehr guter Familie, den äußere Umstände in die unbefriedigende Laufbahn eines Verkäufers gezwungen haben, steht in der für ihn unlösbaren Spannung zwischen seinem Glauben und seiner hemmungslosen Geschlechtsgier. Während er immer wieder, wähl-, und skrupellos, flüchtigen Abenteuern mit Frauen nachjagt, quälen ihn furchtbare Gewissensbisse, quält ihn die Angst, wegen seiner Sünden verdammt zu sein. Wilfried versucht, dem unerträglichen Zwiespalt zu entgehen durch Flucht aus dem Glauben. Aber er vermag ihm nicht zu entrinnen, der Glaube ist das „unauslöschliche Siegel”, das ihn prägt, auch dann noch, als er sich mit allen Kräften gegen ihn wehrt. „Er hat den Glauben”, heißt es mehrmals von Wilfried, er entkommt ihm nicht, was immer er tun mag. Aber es gelingt ihm nicht, sein Tag- und Nachtleben in Einklang zu bringen. Er besucht weiterhin die Messe, er beichtet und kommuniziert und ist nur um so unglücklicher, weil diese durchaus nicht nur äußerliche Erfüllung der Gebote seiner Kirche keine Wandlung seines sündhaften Lebens zu bewirken vermag. Der Konflikt wird vollends unerträglich, als Wilfried zum ersten Mal ernsthaft zu lieben beginnt, und zwar eine verheiratete Frau, die Gattin seines Vetters. Es ist nicht nur die Todsünde des Ehebruchs, die ihm Entsetzen verursacht und zu der er doch entschlossen ist. Er weiß auch, daß diese unerlaubte Liebe ihn, im Gegensatz zu allen früheren billigen Abenteuern. nicht nur in eine körperliche, sondern in eine seelische Abhängigkeit bringen wird und daß er sich gerade damit der ewigen Verdammnis ausliefert. Es ist reichlich fragwürdig, wie Green nun hier die göttliche Gnade einschaltet: er läßt nämlich seinen Helden, bevor es noch zu jenem Ehebruch kommt, durch die Kugel eines Geistesgestörten sterben, und er läßt ihn seinem Mörder verzeihen: „Dieses Wort löschte alles aus, sühnte alles, weil aus ihm die größte Liebe sprach.”

Nun, man sollte aus dieser gewiß nicht überzeugenden Episode keine Schlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Buches überhaupt ziehen. Abgesehen von dem Schluß gelingt es Green durchaus — in der Gestalt des Helden und einiger anderer Figuren —die religiöse Problematik des modernen Menschen zu verdeutlichen: seine Ausgesetztheit und Not, seinen Widerstreit zwischen Welt und Jenseits, zwischen Wirklichkeit und Überwirklichkeit, in den auch der Gläubige hineingezogen ist; ja gerade er, denn den Weltkindern gelingt es ja, sich zu arrangieren.

SCHWERMÜTIGE RUSSISCHE LYRIK.

Sergej Jessenin. Gedichte. Ausgewählt und übertragen von Paul Celan. 62 Seiten. 7.SO DM. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1961.

Sergej Jessenin, neben Majakowski wohl der gefeiertste, und sicher der genialste russische Dichter unseres Jahrhunderts, gehört zu jener tragischen Generation einer Übergangszeit, die nirgendwo zu Hause war. Schon mit 20 Jahren schrieb er die Zeilen: „Ich streun, ein Dieb, umher im Heimatlosen” und: „Im Irgendwo will ich zur Ruh mich setzen.”

Jessenin, der 1895 im Gouvernement Rjasan geboren wurde, entstammt einer frommen Kulakenfamilie, und die Spuren seiner Kindheitseindrücke sind unverwechselbar in seine Dichtung eingegangen. Der Geist der russischen Volksdichtung lebt in seinen schwermütigen Bildern der russischen Landschaft, im emphatischen Lob der Erde. Aber da ist noch eine andere Seite, lessenin, der zunächst die Revolution begeistert begrüßte, sieht seinen Traum vom Bauernparadies an den städtischen und proletarischen Aspekten der neuen Gesellschaft scheitern. Sicher ist diese Enttäuschung mit ein Grund dafür, daß er, der später in Moskau und Petersburg lebte und in Westeuropa reiste, immer tiefer in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung versinkt, die sich in seinen trunkenen Rowdy- und Kaschemmengedichten spiegelt. Die kurze unglückliche Ehe mit der Tänzerin Isidora Duncan nimmt Jessenin den letzten Halt. Von seiner Weltreise nach Rußland zurückgekehrt, spürt er, daß die alte Verbundenheit mit der heimatlichen Erde für ihn unwiederbringlich verloren ist: „Wo ich bin, da gibt es kein Zurück.” Am 25. Dezember 1925, gerade dreißig Jahre alt, macht Jessenin seinem Leben selbst ein Ende.

Paul Celans Übertragungen einer Auswahl der Gedichte Jessenins füllen eine wesentliche Lücke unserer geringen Kenntnis der russischen Dichtung zu Beginn unseres Jahrhunderts, die soviel Reichtum und Fülle, so vielfältige fruchtbare Ansätze barg, von denen sich nur wenige entwickeln konnten.

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