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Das Antlitz einer Heiligen

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THERESE VON LISIEUX, WIE SIE WIRKLICH WAR. Authentische Photographien. Einleitung und Bildkommentar von Pater Francois de Saintc-Maric. Verlag Herold, Wien, 1961. 72 Seiten und 47 Photos. Preis 185 S.

Vor wenigen Monaten erschien beim Office Central de Lisieux der mit großer Spannung erwartete Bildband „Sainte Therese de Lisieux“: 47 authentische, unretuschierte oder von den Retuschen gereinigte und zum großen Teil unbekannte Photographien der Kleinen Heiligen mit einem ausgezeichneten Bild- und Textkommentar. Kurze Zeit später lag bereits auch die deutsche, vom Johannes-Verlag (Einsiedeln) besorgte Ausgabe vor. Der Herold-Verlag, Wien, brachte nun die Lizenzausgabe dieses Werkes von hohem dokumentarischem Wert für Österreich und Südtirol heraus.

„Ein Bilderbuch von nahezu 150 Seiten, und sein Mittelpunkt — die Züge einer Heiligen, Nonne eines Klosters mit stren-

ger Klausur —, für manche wahrlich ein Anlaß zu tugendsamer Entrüstung —“, mit diesen Worten eröffnet P. Francois de Saintc-Maric seine weitausholende und äußerst reich dokumentierte Einleitung, die den Leser behutsam durch das etwas dornige Gelände dieser Bildergeschichte zu den Bildern selbst führt.

Vorerst hat man sich ja mit der etwas verblüffenden Tatsache auseinanderzusetzen, daß da — man bedenke, in einem Karmel und im letzten Jahrhundert — überhaupt und in solchem Ausmaß Photographien worden ist. Nach dem einmütigen und oft entrüsteten Widerstand fast aller heiligen Menschen vergangener Jahrhunderte gegen jede Art Bildnis und dem hartnäckigen und listenreichen Kampf ihrer jeweiligen Zeitgenossen, der menschlichen Gestalt einer himmlischen Botschaft dennoch habhaft zu werden, fällt man in Lisieux gleichsam durch die offene Tür. Völlig unbekümmert wird hier photo-grapUert, aus Freude an der neuen technische .Möglichkeit, Erinnerungen an gemeinsam. Erlebtes und Geliebtes festzuhalten. Allein das Vorhandensein eines so modernen und zu jener Zeit wirklich seltenen Gerätes im Karmel (Coline Martin hatte den Apparat mitgebracht) war den Schwestern offenbar Ausweis genug, daß der liebe Gott nichts dagegen haben konnte. Niemand denkt noch daran, die Züge einer Heiligen einzufangen, und selbst die relativ zahlreichen Einzelaufnahmen Thereses aus ihren letzten Lebensjahren bezeugen höchstens den Wunsch, sich ein bescheidenes Andenken an die geliebte, allzu früh scheidende Schwester zu sichern. Denn als es den Karmelitinnen aufzugehen beginnt, daß in dem täglich gewohnten Antlitz ihrer Mitschwester wirklich ein Stück Himmel aufgeblitzt war — wie manche ihrer Zeitgenossen werden es im Selig- und Heiligsprechungsprozeß bezeugen —, da griffen sie, in ihrem Bemühen, auch den Nachkommen etwas von diesem Leuchten zu vermitteln, nicht auf die zahlreichen Photos zurück, sondern zu den damals noch salonfähigeren Instrumenten: zu Pinsel und Palette. Die Lichtbilder hatten bestenfalls als Elemente zu einer künstlerischen und ihres Erachtens vollkommeneren Darstellungsart zu dienen, waren höchstens geeignet, im nahen Bekanntenkreis zu zirkulieren, wo man noch aus eigener Anschauung den darauf so schmerzlich vermißten „Charme“ zu ergänzen vermochte. Für die breite Öffentlichkeit entstanden die offiziellen Porträts: Therese im Oval und die sattsam bekannte „Therese mit Kruzifix und Rosen“.

Den nun anhebenden Kampf: hie Porträt, hie Lichtbild, schildert der Herausgeber mit Wärme. Beide Parteien kommen in ihren Vertretern gründlich zum Zug, und die nicht undramatischen Auseinandersetzungen finden ihren sänftigen-den Rahmen in einer humorvollen Skizze des damaligen Zeitempfindens.

Allerdings geht es beiderseits nicht ohne gewisse, heute eher peinlich anmutende Kampftaktiken ab. Die Photos, die ja auch die Gegner der Porträts nicht unbedingt für gültige Dokumente halten, werden endlos kopiert, retuschiert und „verbessert“. Störende Personen werden einfach entfernt oder durch andere ersetzt, man „kombiniert“ ohne Hemmungen, baut wahre Montagen. Einige der bekanntesten Bilder der Heiligen sind auf diesem Weg entstanden. Aber mit derselben unbestechlichen Sachlichkeit, die schon die Ausgabe der selbstbiographischen Schriften kennzeichnet, wird auch hier zu diesen, damals offenbar nicht sonderlich gravierenden Machenschaften gestanden. Nichts wird dem Leser vorenthalten, nichts verschwiegen: Mere Agnes de Jesus zeigt ihr eigenmächtig zerkratztes Gesicht (weil es ihr offenbar so nicht behagte), keines

der mit energischer Hand in den Plattenbelag geritzten „manque“ wird unterschlagen, und die verschiedenen, mehr oder weniger offiziellen und glücklichen Verlautbarungen zu der heiklen Bilderfrage werden der Reihe nach aufgeführt.

Und nun zu den Bildern: Auf dem ersten erscheint die dreijährige Therese mit dem „Schmollgesicht“. So steht es in einem Brief ihrer Mutter, die die Aufregung dieses ersten Besuchs beim Photographen schildert. Dann das Bild der Achtjährigen mit ihrer Schwester Celine (endlich sitzen die Maschen an den Kleidern am richtigen Fleck), das besonders in den vergrößerten Ausschnitten das seltsam Entschlossene und zugleich so Verletzliche dieses Kin-

des offenbart, das „alles wählte“. Nach den Aufnahmen des jungen, unternehmenden Mädchens, das zur ersten Bischofsaudienz die Haare hochsteckt, um älter zu scheinen, und in der ungewohnten Haartracht fast herausfordernd wirkt, nach den beiden vielumstrittenen Bildern der eben eingekleideten, zufriedenen und von der

Klosterkost etwas aufgeschwemmten Novizin, begegnet dem Leser das zunehmend verinnerlichte Antlitz der jungen Karme-litin fast nur noch inmitten ihrer geistigen und leiblichen Schwestern — und erstaunlich oft sind es die letzteren.

Besonders eindrucksvoll sind die Bilder, die Therese in ihrer Rolle als Jeanne d'Arc zeigen. Sie hatte das Stück selbst verfaßt und den zweiten Teil mit dem Noviziat aufgeführt. Von innen her vermag sie ihrer heißverehrten Heldin Leben zu schenken, und ihr eigenartig verändertes Antlitz ist, restlos glaubhaft.

Die Aufnahmen der bereits von ihrer Krankheit Gezeichneten am Ende des Bandes bilden eine erschütternde Illustration zu ihren letzten Aufzeichnungen. Nicht mit wehenden Fahnen geht es der Ewigkeit entgegen, sondern oft müde, traurig, von höchster Anstrengung erschöpft — wie es vor allem auf den drei Bildern vom 7. Juni 1897, kurz vor ihrer endgültigen Übersiedlung ins Krankenzimmer, zum Ausdruck kommt —, vom Leiden entstellt Tatsächlich, „Duft und Gebrechlichkeit der Men-schennatur“ sind hier nicht verwischt, und so kann auch der tiefe, geheimnisvolle Friede auf dem Antlitz der Heimgegangenen als das wahrhaft Neue erstrahlen.

Das Buch ist ein beglückendes Geschenk, ja ein geschichtliches Ereignis. Nie zuvor hat sich ein Heiliger so schlicht und unmittelbar der immer neuen Begegnung mit all seinen Brüdern zur Verfügung gestellt, damit wir an ihm ertasten und fühlen, daß das Wunder des Heils sich wirklich an unserem schwachen Fleisch und Gebein vollzieht.

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