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Das Buch, ein Freund der Jugend

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Die Jugendbuchproduktion kann heute wohl dem verantwortungsvollsten Arbeitssektor des österreichischen Verlegers zugezählt werden. Mag man Mißgriffe in anderen Sparten noch kritisch hinnehmen, hier darf auf keinen Fall gesündigt werden! Die dominierend erzieherische Mission des guten Jugendbuches ist im höchsten Sinne nach wie vor anzuerkennen. Und doch! Das alte didaktische Buch muß einer lebendigen, modernen und zeitnahen Lektüre weichen, die der Jugend unserer Tage etwas zu sagen hat, die ihr als Freund und Berater zur Hand geht und dort ergänzend oder vermittelnd auftritt, wo die persönliche Einflußnahme ihre Grenze findet und die innersten Bereiche der Phantasie angesprochen werden wollen. Eine Herstellung von Jugendbüchern ohne tiefe Einfühlung in die oft nicht so einfach zu analysierende Psyche der jungen Generation würde Ziel und Aufgabe verkennen.

Die vom Unterrichtsministerium im Wiener Künstlerhaus veranstaltete Jugendbuchausstellung ist eine instruktive Leistungsschau über eine dreijährige erfolgreiche Aufbauarbeit. Besonders das österreichische Schulbuch kann auf eine glückliche Entwicklung zurückblicken. Von den Volksschulen bis zu den Obermittelschulen stehen wieder praktische und fachlich hochwertige Lernbehelfe zur Verfügung, die sich durch Anschaulichkeit und lebendige Gestaltung wohltuend von Altgewohntem unterscheiden.

Das Kind erb uch fällt demgegenüber zurück. Die vielfach konventionellen Illustrationen können der humorvoll-originellen Ausstattung der englischen Produktion oder der fein nuancierten, kunstvollen Graphik französischer Provenienz nicht die Hand reichen. Hier gibt es für den österreichischen Verleger technisch und künstlerisch noch viel nachzulernen. Auch das literarische Niveau der neuerschienenen Kinderbücher ist enttäuschend. Rühmliche Ausnahmen, wie etwa Franz Kairi Ginzkeys entzückendes „Taniwani” oder Vera Fe r ras „Der Märchenwebstuhl”, fallen besonders ins Auge. Es ist nicht einzusehen, warum das Kinder- und Jugendbuch literarisch und ausstattungsmäßig einen zweiten Rang beziehen soll. Im Gegenteil! Man kann auf den heranwachsenden jungen Menschen nicht früh genug geschmackbildend einwirken. Nur so erweckt man schon im Kinde ein feines Wertempfinden, das sehr wohl zwischen Kitsch und Kunstwerk zu unterscheiden vermag. Hier entwickelt die Jugendschriftenkommission des Unterrichtsministeriums eine dankbar anzuerkennende Tätigkeit.

Mit Genugtuung findet man die schönen alten Märchensammlungen, die mit den bekannten Namen Christian Andersens, Becksteins, Huffs und der Gebrüder Grimm verbunden sin, in hübschen Neuauflagen vor. Ewig jung legen Bücher wie Swifts „Gullivers Reisen”, Copers „Lederstrumpf” und Defoes „Robinson Cisoe” vor uns, in ihrer Art unübertroffen, nad wie vor viel begehrt und viel gelesen.

Es hieße den Pazifismus in den Bereid des Lächerlichen vertreiben, wollte man den ariken und germanischen Sagenschatz, der nicht mr an sich zum Wissensfundus jedes Durchschritt:- gebildeten gehört, sondern eine wesentliche Voraussetzung zum Verständnis eines großen “aibs der Weltliteratur darstellt, engherzig utserr Jugend vorenthalten. Die Ansicht, der Wei- friedie werde durch die Lektüre der Ilias odr des Nibelungenliedes bedroht, dürfte seih, namentlich bei dem Studium der politisebn Kräfte der Gegenwart, als reichlich überspant darstellen. Die alten Sagen in ihrer dichterisd-n Intensität, in ihrer Lebensfülle und Syrnbok gehören ebenso zum Lesestoff der Jugend ve die abenteuerliche Erzählung und die Rehschilderung, denen in der Ausstellung in erfra- licher Weise Raum gegeben wurde.

Auffallend ist die Reichhaltigkeit an Tirgeschichten, unter welchen sich einige as- gezeichnete Neuerscheinungen befinden, sie Ditha Holeschs kanadische Wolfgeschicte „Mondlicht”, Rocheforts Bienenroman „Tschaui” und die Schilderungen heimischen Tierlebens vn Felix Rosche. Auch die populären Einführung in das Reich der Technik, in die Tier- ud Pflanzenwelt erfreuen sich als Jugendbth großer Beliebtheit. Als neue Gattung tritt as Sportbuch in Erscheinung, sie verrät oft ir amerikanisches Vorbild.

Auch vom Ausland wurde die Ausstellug beschickt und so bietet sich eine Vergleits- möglidikeit zwischen den einzelnen Länden.

Besonders im illustrierten Kinderbuch kommt he Verschiedenheit der Volkscharaktere deutch zum Ausdruck. Der spirituelle Witz der finzösischen Darstellungen, die breite Naivität ler amerikanischen und die politische Realtik russischer Kinderbücher. Ferner sind die Schwiz, Holland, England, Polen und Italien vertren.

Um einen persönlichen Kontakt zwlscen Jugend und Buch herzustellen, genügt es nht, eine Literaturauswahl öffentlich aufzulegen. )ie Jugend muß zum guten Buch geführt weren. Diese Aufgabe übernimmt ein der AussteUng angeschlossenes, wohlausgewogenes und sah- kundig zusammengestelltes Vortragsprogrann. Einführungen, Autorenlesungen und Filivorführungen werben bei Kindern, Schülern ud und Jugendlichen für das Buch als Lehrer, B- rater und Freund. Viele dieser jungen Menschen wurden zum Arbeitsdienst, Wehrdienst, Kriegshilfsdienst und wie die „Dienste” noch alle hießen, einberufen, erhielten ein „Reifezeugnis”, ohne jemals die Mittelschule ordnungsgemäß beendet oder eine Reifeprüfung abgelegt zu haben. Sie hatten also wohl das Zeugnis in der Hand, aber die vorenthaltenen Kenntnisse wurden ihnen niemehr geboten und die verbliebenen Lücken nicht mehr geschlossen. Ebenso arm waren aber die etwas jüngeren Jahrgänge dran. Von klein auf machten sie eine Umorganisation der Schule nach der anderen mit, dia Kriegsverhältnisse bedingten früh schon einen ständigen Lehrerwechsel, später den Ausfall zahlreicher Unterrichtsstunden, während des Bombenkrieges ganzer Tage und Wochen und schließlich in der Zeit der Kampftage und Befreiung sowie des folgenden Kälte- und Hungerwinters den fast völligen Ausfall von nahezu eineinhalb Schuljahren. Daß Hunger, Kälte, zerstörter Wohnraum, auseinandergerissene Familien, der Mangel an den primitivsten Lehr- und Lernbehelfen und nicht zuletzt auch die herabgesetzte Leistungsfähigkeit der unter den gleichen Nöten leidenden Lehrer eine weitere Herabsetzung der geistigen Auf- nahms- und Leistungsfähigkeit mit sich brachten, darf gleichfalls nicht übersehen werden. Das einzige Positivum dieser Jahrgänge war ihr für die Lehrer immer wieder erstaunlicher und — dieses Wort sei hier gestattet — erhebender Lernhunger und ein für manchen Verzagten dieser Tage beschämender Leistungswille. Etwas besser als diese am schwersten getroffenen Jahrgänge haben e jene, die in den nächsten Jahren maturieren werden, denn sie können doch schon wieder einen geregelten Studiengang durchmachen.

So stehen wir heute vor der Tatsache, daß eine große Zahl zum Teil nicht besonders gut ausgebildeter Maturanten den Weg in einen Beruf sucht. Dabei ist die gegenwärtige Berufsstruktur derart, daß den Maturanten die normalen Berufswege durch Überfüllung und Aufnahmesperren praktisch verschlossen sind. Dies gilt in gleicher Weise für männliche und weibliche Maturanten. Die Folge ist eine Reihe von Verlegenheitslösungen, wie der Besuch von Abiturientenkursen, Fachkursen oder etwa die Inskription an der Hochschule, nur um die Zeit nicht unnütz totzuschlagen, die Am nähme irgendeiner Gelegenheitsbeschäftigung, kurz, alles Auswege, die mit dem eigentlichen Berufswunsch des Betreffenden nichts zu tun haben oder aber überhaupt nicht die Grundlage für einen künftigen Lebensberuf abgeben.

In dieser Lage muß der Grundgedanke dabei nur sein, daß trotz aller Schwierigkeiten jeder Maturant einen Berufsweg einschlagen könne, der einmal zu seinem eigentlichen Berufswunsch in möglichst enger Beziehung steht und zum anderen Mal die in der Mittelschule erworbene höhere Allgemeinbildung tatsächlich nutzbringend verwertet.

Auf dieser Basis sind auch in der heutigen Situation Möglichkeiten der Berufswahl gegeben. Allerdings ist es hiezu notwendig, daß in unserem Volk, und vor allem bei den Maturanten selbst, ein radikales Umdenken in Beziehung auf die sozialen Wertungen der einzelnen Berufe Platz greift. In weitesten Kreisen wird leider heute noch immer jeder, der an einem Schreibtisch arbeitet, als etwas ,/Besseres” angesehen, als jener, der auch der Hände Arbeit mitverwendet. Bedauerlicherweise geht diese Wertung heute nicht einmal mehr so sehr vom Kopfarbeiter, als vom Handarbeiter aus. Daß sie falsch ist, wissen wir, daß es aber auch in keiner Weise den herrschenden Tatsachen entspricht, zeigt ein Blick auf die Einkommensverhältnisse. Abgesehen davon, daß der tüchtige Handwerker, der Qualitätsarbeit leistet, schon in jungen Jahren im Verdienst oft einen Akademiker mit vielen Berufsjahren gleichkommt, erfordert handwerkliches Können von Qualität nicht nur manuelle Eignung und Fertigkeit, sondern darüber hinaus ein hohes Maß von theoretischen Kenntnissen und praktischer Intelligenz. Eine gute Bildung wird da dem Handwerker sehr zustatten kommen. Schon heute geben Gewerbetreibende, die ein Reifezeugnis oder ein akademisches Diplom in der Tasche haben und mit Stolz ihren Betrieb führen, durch ihre Tüchtigkeit und ihren Erfolg Zeugnis dafür, was fachliches Können und ausgezeichnete Bildung vereint vermögen. Auf eine solche Verbindung ist ja auch das planmäßige Bestreben gerichtet.

Das soll nun nicht etwa heißen, daß in Hinkunft zur Erlernung eines Handwerks das Mittelschulfeifezeugnis notwendig sein sollte. Das Bestreben wird vielmehr auf eine erweiterte Allgemeinbildung der heranwachsenden Jugend zu legen sein, um dadurch da Können und die gesellschaftliche Geltung des Handarbeiters zu heben. Diesem Zweck dient auch der eifrige Ausbau des Fachschulwesens und der technisch-gewerblichen Mittelschulen, sowie der Frauenberufsschulen.

Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß etwa eine nennenswerte Anzahl von Maturanten sich entschließen wird, ein Handwerk zu erlernen, zumal derzeit wenig Lehrstellen zur Verfügung stehen. Aber mancher Hochschüler wird mit Freuden die Möglichkeit ergreifen, neben dem Hochschulstudium ein Handwerk zu erlernen und die Lehrabschlußprüfung in diesem Handwerk abzulegen. Eine gleiche Möglichkeit wird auch Maturanten zu bieten sein, die eine zusätzliche kaufmännische Ausbildung erwerben wollen. Ein solcher Versuch soll demnächst unternommen werden. Freilich handelt es ich dabei nur um eine Übergangslösung, trotzdem aber kann sich hier für eine nennenswerte Zahl von Maturanten der Weg in eine aussichtsreiche Zukunft öffnen, eine Zukunft, die nicht nur für den Betreffenden einen Weg in einen Beruf bedeutet, sondern die auch einen Beitrag zu einer Brücke zwischen dem Hand- und Kopfarbeiter und zu einem sozialen Frieden unserer Heimat zu leisten imstande ist. Es wird in der nächsten Zeit die gemeinsame Aufgabe von Schulbehörden, den Kammern, Gewerkschaften und auch der Hochschülerschaft sein, die materiellen Voraussetzungen zur Durchführung dieses Gedankens zu schaffen. An den Maturanten aber wird es liegen, aus ihren Reihen jene Pioniere zu stellen, die Vorangehen und ein Beispiel von frischem Lebensmut geben. Keiner wird es zu bereuen haben.

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