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DAS DEUTSCHE BUCH IN PARIS

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Frankreich ist nach den deutschsprachigen Ländern (Schweiz und Österreich) und den Vereinigten Staaten einer der wichtigsten Absatzmärkte für die Verlagsproduktion der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik ihrerseits importiert aus keinem fremdsprachigen Land soviel Bücher wie aus Frankreich.

Die Aufnahmefähigkeit für das deutsche Buch ist natürlich abhängig von der Kenntnis der deutschen Sprache. Der Rückgang des Deutschstudiums in den unmittelbaren Nachkriegsjahren war nur von kurzer Dauer. Deutsch ist heute nach Englisch die meistgelernte Sprache und rangiert in der Statistik weit vor dem Spanischen, das die dritte Stelle entnimmt. Dieses Verhältnis zeigt ein echtes Interesse am Deutschen, zumal der französische Mittelschüler und Gymnasiast die Möglichkeit hat, die zu lernenden Sprachen frei zu wählen, also etwa an Stelle des für schwer geltenden Deutschen eine romanische Sprache. Die Beherrschung des Deutschen gilt als sehr nützlich, sie fördert die Karriere des angehenden Wissenschaftlers ebenso wie die der Angehörigen kaufmännischer und technischer Berufe, von denen — gerade bei der fortschreitenden Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes — immer häufiger eine zumindest passive Kenntnis des Deutschen gewünscht wird. Die germanistischen Abteilungen der Hochschulen und Universitäten sind in ganz Frankreich überfüllt, selbst in solchen Gegenden, in denen Deutschkenntnisse nicht so unmittelbar notwendig sein dürften wie in Paris, Ost- und Nordfrankreich. Das Österreichische Kulturinstitut in Paris und die Goethe- Institute in Lille, Marseille, Nancy, Toulouse und Paris verzeichnen einen von Jahr zu Jahr größeren Andrang zu ihren Sprachkursen.

Hauptabsatzgebiet für das deutschsprachige Buch ist — abgesehen vom zweisprachigen Elsaß — der Pariser Raum. Mehrere Buchhandlungen haben sich auf den Vertrieb deutschsprachiger Veröffentlichungen spezialisiert. Bände der Taschenbuchreihen Fischer, dtv, rororo, List, Ullstein, Herder, Kindler, Knaur und Goldmann sind jedoch in fast allen bedeutenden Pariser Buchhandlungen zu finden.

Als ausgesprochen deutsche Buchhandlung ist zunächst die 1946 gegründete Librairie des Wieners Dr. Martin Flinker zu nennen. Die niedrigen Räume am Quai des Orfevres (Kai der Goldschmiede) auf der Citė-Insel, am Weg vom Pont Neuf nach Notre-Dame, im ältesten Viertel von Paris, sind eine wahre Fundgrube für den Bücherfreund und ein Treffpunkt aller an deutscher und österreichischer Kultur Interessierten. Martin Flinkers erste Buchhandlung lag im Wiener Opernviertel. Sie wurde beim Anschluß Österreichs 1938 von der Gestapo geschlossen. Schon damals führte Dr. Flinker konsequent nur anspruchsvolle Literatur und verzichtete auf den Gewinn, den Bestseller und gängige Unterhaltungsliteratur abwerfen. — Thomas Mann und Hermann Hesse unterstützten das Bestreben des jungen Buchhändlers und blieben ihm bis zu ihrem Tod freundschaftlich verbunden. Sein jeweils zum Jahresende herauskommender, meistens sehr schnell vergriffener Almanach gibt einen hervorragenden Überblick über das deutschsprachige Buchschaffen. Er hebt sich von den entsprechenden Weihnachtskatalogen deutscher Buchhändler durch den Abdruck von Originalbeiträgen bekannter Schriftsteller und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ab. Der redaktionelle Teil des Almanachs 1st jeweils eine einem Leitthema gewidmete Umfrage, beispielsweise „Die Geltung der deutschen Literatur in Frankreich“ öder „Die Folgen und Möglichkeiten der Zweisprachigkeit für den Schriftsteller“.

Martin Flinker handelt nicht nur mit Büchern, er hat auch einen eigenen Verlag, in dem Schriften von Paul Klee, Gedichtzyklen von Henri Michaux, eine Nietzsche-Festschrift und eine Anthologie deutscher Frauendichtung erschienen sind. — Die Buchhandlung Martin Flinkers, die Auslieferer großer deutscher Verlage, wie S. Fischer, Bruckmann und anderer ist, gleicht eher der Privatbibliothek eines Liebhabers als einem der üblichen Verkaufslokale. Von der Straße aus steigt man ein paar Stufen hinunter in den vollgestopften winkligen Laden. Im ersten Stockwerk liegt das Büro, von dem der Besucher auf den Sitz der Acadėmie franęaise sehen kann, einer der schönsten Ausblicke von Paris, an dem sich prominente Librairie-Besucher, wie Konrad Adenauer, Robert Schuman, Luise Rinser und Carl Zuckmayer erfreuten.

Die zweite deutsche Buchhandlung in Paris liegt mitten im Künstlerviertel Saint-Germain-des-Prės, in der mittelalterlich engen rue du Dragon (Drachenstraße). Sie gehört dem aus Berlin stammenden Fritz Picard und heißt — wie Guillaume Apollinaires berühmte Gedichtsammlung aus dem Jahre 1918 — „Calligrammes“. Die früher in erster Linie antiquarische Buchhandlung hat im September 1965 eine Abteilung für verlagsneue deutschsprachige Literatur eröffnet, der bedeutende deutsche, schweizerische und österreichische Verlage ihre Produktion übersenden und die von Picards Tochter, Frau Annette Antignac, geleitet wird. Zu den

Stammkunden der Librairie „Calligrammes“ zählen Angehörige der deutschen Kolonie ebenso wiie Franzosen: Dort wird man etwa Annette Kolb und ersten Germanisten Frankreichs wie Professor Robert Minder vom College de France begegnen.

Um den Parisern unmittelbaren Zugang zum deutschen Buch und zur deutschen Literatur zu verschaffen, veranstaltet die Librairie „Calligrammes“ seit einem Jahr regelmäßig Autorenlesungen, die einen solchen Widerhall finden, daß an einem Abend nicht alle Interessierten Platz finden können und die Lesungen wiederholt werden.

Die Librairie Marcel Didier unmittelbar neben dem Universitätsgebäude der Sorbonne ist der französische Auslieferer für zahlreiche deutsche Verlage. Ihr umfangreiches Lager ist vor allem auf den Bedarf der Hochschulgermanisten und Deutschlehrer eingestellt. Die Buchhandlung verlegt die von den Sorbonne-Professoren Maurice Colleville und Claude David herausgegebene Vierteljahreszeitschrift „Etudes Germaniques“, deren ausführlicher Besprechungsteil eine zuverlässige Orientierung über das deutsche schöngeistige und (geistes-) wissenschaftliche Buch ermöglicht.

Neben dem ehemaligen, durch die Zusammenkünfte der Rationalisten berühmtgewordenen Cafe Landelle in der rue de Buci im Lateinischen Viertel liegt die Librairie du Globe. Hier werden Bücher aus den Oststaaten vertrieben. Die deutsche Abteilung nimmt nach der russischen den zweiten Platz ein. Neuerscheinungen der großen mitteldeutschen Verlage sind stets auf Lager wie auch Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR, welche an den Pariser Kiosken praktisch nicht gehandelt werden.

Die ebenfalls im Quartier Latin, in der rue Soufflot auf halbem Wege zwischen dem Pantheon und dem Luxembourg-Garten gelegene internationale Buchhandlung der Presses Universitaires de France hat in den letzten Jahren ihre deutsche Abteilung ständig erweitern können, obwohl das wissenschaftliche Buch aus den angelsächsischen Ländern nach wie vor dominiert.

Der Plan einer großen deutschen Buchgemeinschaft, neben ihrer Straßburger Zweigstelle auch einen Pariser Buchsalon zu eröffnen, ist bisher nicht verwirklicht worden. Ein solches Unternehmen würde sich kaufmännisch sicherlich tragen. Unter den zahlreichen in Paris lebenden Deutschen und Deutschstämmigen wie auch unter den Germanisten dürften viele eine solche Möglichkeit, deutsche Bücher direkt und preiswert zu beziehen, begrüßen.

Selbstverständlich können nicht alle Leser die sprachlichen Voraussetzungen mitbringen, deutsche Bücher im Original zu lesen. Für den, der sich nicht mit der oft unzulänglichen Übersetzung begnügen will, sind die vielen vorliegenden zweisprachigen Ausgaben literarischer und philosophischer Texte gedacht.

Schrittmacher auf diesem Gebiet sind die auf eine lange Tradition zurückblickenden „editions bilingues“ des Verlages Aubier (Editions Montaigne), mit zuverlässigen Einleitungen und wissenschaftlichen Kommentaren. Es gibt beispielsweise Werke von Autoren, wie Angelus Siiesdus, Martin Luther, Goethe und Schiller, von Eichendorff, Grillparzer, Heine, E. T. A. Hoffmann, Gottfried Keller, Kleist, Lessing, Lenau, Otto Ludwig, Nietzsche, Storm und Wackenroder. Der einzige Autor des 20. Jahrhunderts ist Stefan George mit einer Auswahl seiner Gedichte.

Wer zweisprachige Ausgaben lebender Autoren sucht, wird nur sehr wenige finden. Die größten Verdienste hat sich hier der Verlag Andrė Silvaire erworben, in dessen von Pierre Garnier herausgegebener Reihe „Grands poėtes ėtragers“ Lyriker, wie Emil Barth, Gottfried Benn, Rolf Bongs, Wilhelm Lehmann, Ernst Meister neben anderen vorgestellt wurden.

In die weitgehend zweisprachige Lyrikreihe „Autour du Monde“ des Verlags Pierre Seghers sind bisher nur vier deutsch schreibende Autoren auf genommen worden: Stephan Hermlin in der Übersetzung von Robert Rovini, der dem Grazer Forum Stadtpark angehörende Lyriker Alois Her- gouth in der Übersetzung von Pierre Israel-Meyer, die Luxemburgerin Anise Koltz in der Übersetzung von Andrėe Soedenkaimp und Kuba (Kurt Bartel) in der Übersetzung von Pierre Garnier.

Der größte schöngeistige Verlag Frankreichs, die aus der „Nouvelle Revue Franęaise“ hervorgegangene Librairie Gal- limard, hat unlängst unter dem Titel „Poesie du monde entier“ eine der zeitgenössischen Weltlyrik gewidmete zweisprachige Reihe gestartet. Der erste Band eines deutschsprachigen Autors bringt Gedichte Hans Magnus Enzenbergers aus dem Bändchen „Verteidigung der Wölfe“, „Landessprache“ und „Blindenschrift“, kongenial übertragen von Roger Pillaudin.

Selbst schwierige Texte werden in zunehmendem Maße auch zweisprachig veröffentlicht und damit breiten Leserkreisen zugänglich. In der Taschenbuchreihe „collection 10/18“ wurden beispielsweise Hölderlins „Anmerkungen zum Ödipus“ und „Anmerkungen zur Antigone“ herausgegeben.

Die Mehrheit des französischen Lesepublikums ist selbstverständlich auf Übersetzungen deutscher Bücher angewiesen. — Natürlich werden wichtige wissenschaftliche und technische Werke fast immer übersetzt, zumal der französische Arzt, Forscher oder Ingenieur kaum daran gewöhnt ist — wie etwa seine italienischen, niederländischen oder skandinavischen Kollegen — Fachbücher in einer Fremdsprache zu lesen. Übersetzungen aus dem Deutschen nehmen so etwa bei den technischen Verlagen Dunod und Eyrolles eine hervorragende Stellung im Produktionsprogramm ein.

Auch Sachbücher, wie Kellers „Und die Bibel hat doch recht“ und Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“, sind in Frankreich große Erfolge. Der Durchschnittsleser wird sie jedoch nicht immer als deutsche Bücher erkennen können, da manche französische Verleger nur den Vermerk „Traduit par...“ (übersetzt von ...) bringen, die Originalsprache aber nicht angeben. — Gebrauchs- und Trivialliteratur aus dem Soldatenmdlieu, wie die Romane von Hans Hellmut Kirst, Willi Heinrich und Hans Habe, erreichen hohe Auflagen.

Man erwartet vom deutschen Autor häufig Aufschluß über das Zeitgeschehen, liest seine Werke also als „Dokument“' und als „Zeugnis“. So erklärt sich das Ansehen, das Emst Jünger genießt, und so erklärt sich auch die Resonanz, die autobiographische Berichte wie der Bekenntnisroman „Ge-

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