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Das Europagespräch

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Künstler, die unendlich <viel zur Entwicklung der Moderne beigetragen haben, langsam zu einem Stillstand kamen. Ihre technische Vollendung behielt den Rang,, aber das Werk wurde steril. Sie hungerten weiter, aber jetzt nicht mehr nach Brot.

Das Gefährlichste an all denn, das nicht nur im Osten vor sich geht, ist, daß es immer schwerer gelingt, jungen Künstlern zu einer „neuen Konzeption“ zu verhelfen, die der Zeit angemessen wäre. Fehlt aber nur die „Neue Konzeption“?

Das künstlerisch Werk geht Im günstigen Fall von einem Trigon aus. Das sind: der Auftraggeber, der schaffende Künstler, das Publikum.

Auftraggeber im künstlerischen Sinn, das Ist mehr als ein Mäzen sein kann. Der Mäzen fördert die Kunst. Fördern aber heißt, etwas, das bereits im Gang ist, weiter zu betreiben. Der Auftraggeber muß eine bestimmte Vorstellung haben, die aus einem Kiulturbewußt-sein und einem Kulturbedürfnis kommt. Er gibt danach einen ganz konkreten Auftrag, der sich an den schaffenden Künstler richtet; den er aussuchen sdH und von dem er ein Werk verlangt, das in der räumlichen und geistigen Umgebung des Auftraggebers eine

bestimmte Funktion hat. Das Werk soll nicht einfach zum Anschauen da sein oder einen beständigen Wert haben oder in eine Sammlung passen. Angesichts dieses Auftrages tritt die Freiheit des Künstlers In Erscheinung. Wir sagen: Der Künstler muß frei sein. Frei insbesondere von Organisation und Politik und öffentlicher Hand. Nicht nur der Auftraggeber, auch der schaffende Künstler hat eine freie Wahl zu treffen. Allerdings ist diese Wahl schwieriger und grundsätzlicher. Nur eine Zeitlang kann ein Künstler wie eine steile Flamme brennen und in einer zügellosen Exzentniik leben und schaffen. Wir bewundern oft die Werke solcher, zumeist früh verstorbener Einsamer und vermeinen, der Tod hätte uns eine große Hoffnung ge-

nomiman. Das dauerhafte Wirken des Künstlers hängt von seiner Wahl ab, die er unter den verschiedenen strengen Ordnungen, denen er sein Leben und sein Werk unterwerfen kann, vornimmt. Eis ist nur ein ganz schmaler Grat, auf dem der schaffende Künstler zwischen dem Auftraggeber und dem Publikum zu gehen hat Er braucht sein Publikum, in dem das große Staunen und das harte Verdammen stattfindet.

Die Dreiheit, Auftraggeber, Künstler, Publikum ist heute gestört.

Die „öffentliche Hand“ kann Förderin sein und sie ist es auch heute in vieler Hinsicht. Aber sie tut sich schwer, Auftraggebern in künstlerischer Hinsicht zu sein, mag sie noch so genau vom demokratischen Mehrheits-priinzip geleitet und von Gerechten und Weisen, Fachmännern und Wissenden gewiesen werden. Der gesichtslose Charakter des modernen Städtebaues, auf den wir an vielen Punkten der Erdoberfläche stoßen, ist der fatale Beweis für dieses Dilemma. Die

Alteroative Kollektiv oder Persönlichkeit tritt unerbittlich zutage.

Der Künstler kommt aus der Gesellschaft von heute. Das geistige Klima bestimmen dort die Vorstellungen von Wohlstand und Wohlfahrt und Sicherheit. Den Wert dessen hat die lebende Generation schätzen gelernt. Weniger bereit ist man noch, sich auf die Erörterung des Grundproblems einzulassen: Wie verhalten sich die Vorliebe für Sicherheit und Wohlstand zu der Bereitschaft für das Risiko und für das Tragische, ohne die das Wagnis der künstlerischen Neuschöpfung nicht zustandekommt.

Das Publikum kommt aus der Gesellschaft

von heute, so wie diese nach den Modellen der „besten“ und der „perfekten“ Gesellschaft geordnet ist. In dieser Gesellschaft steckt das Unbehagen, wie immer, wenn im Wechsel der Zeiten das Alte und das Neue unhomogen nebeneinanderstellen. Neue Prinzipien, Ansichten, Gefühle, Neigungen und Leidenschaften steigen auf. Das jetzige Tran-sitorium wird zu Ende sein, wenn sich die Menschen wieder einmal aufs neue Klarheit geschaffen haben werden, wieviel sie dem vertrauen, was an ihnen gut ist, wieviel dem, was vernünftig und wieviel dem, was klug ist. Gott wird dabei wieder mehr in Rechnung stehen.

Die Europagespräche der Stadt Wien, die sich aus kleinen Anfängen im Jahre 1957 zu internationaler Bedeutung entwickelt haben, gehen auf eine Anregung zurück, die der Herr Landeshauptmann und Bürgermeister der Stadt Wien, Franz Jonas, im Jahre 1956 im Rahmen einer Konferenz europäischer Parlamentarier gemacht hat.

Diskutierten beim 1. europäischen Seminar Erzieher und Lehrer aus verschiedenen europäischen Ländern, waren es im Jahr darauf, 1958, Presseleute und Journalisten, die sich zu einer europäischen Diskussionsrunde in Wien zusammenfanden. Aus diesen vorbereitenden Gesprächen entstand dann das erste Europagespräch, ebenfalls 1958, das der Einheit Europas als Idee und Aufgabe gewidmet war.

Die Themata der folgenden Europagespräche, die nun einmal im Jahr, jeweils zur Zeit der Wiener Festwochen stattfinden, waren: 1959: „Die junge Generation und Europa“, i960: „Die Funktion der Kunst in der modernen Gesellschaft“, 1961: „Die voraussehbare Zukunft“, 1962: „Europa in den Augen der anderen“, 1963: „Die europäische Großstadt — Licht und Irrlicht“, 1964: „Wo steht Europa heute?“

Unter diesen Leitgedanken diskutierten international führende Experten aus dem In-und Ausland über jeweils aktuelle Probleme. Den würdigen Rahmen der Veranstaltung gibt nun schon seit geraumer Zeit die Volkshalle des Wiener Rathauses ab.

Das diesjährige Europagespräch der Stadt Wien, nunmehr das achte in ununterbrochener Folge, geht in der Zeit vom 15. bis 19. Juni 1965 vor sich. Unter dem Titel „Europa in Koexistenz oder Kooperation?“ finden sich Wissenschaftler und Experten aus Ost und

West in Wien zusammen, um diese für die Zukunft Europas so bedeutsame Frage aus verschiedenen Gesichtspunkten zu diskutieren.

Nicht weniger als 25 Persönlichkeiten — vor allem sind es Wissenschaftler, Politiker und Journalisten aus nicht weniger als 13 europäischen Ländern — werden zu den festgelegten Themenkreisen: „Die Rolle Europas in der Ost-West-Frage“, „Kooperation in der Praxiis“, „Der Einfluß des geistigen Lebens auf die Gesellschaft in Ost und West“, „Planungsprobleme — Methoden und Erfahrungen“ sowie „Kooperation — Lebensfrage für morgen“ sprechen.

Unsere ausländischen Gäste möchte ich namentlich anführen: Ivan Boldizsar, Chefredakteur, Ungarn; Ing. constr. R. Camus, Frankreich; Prof. W. E. Emiljanow, UdSSR; Professor DDr. K. Flechtheim, Freie Universität Berlin, BRD; Prof. Eduard Goldstücker, Kafka-Forscher, CSSR; Prof. Jifi Hajek, Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Plamen“, CSSR; Prof. Julian Hochfeld, Sozialwissenschaftler, Polen; Senator G. F. Kennan, Institute for Advanced Studies, USA; Verleger M. Kindler, BRD; Prof. Eugen Ko-gon, Technische Hochschule Darmstadt, BRD; Redakteur N. E. Poljanow, UdSSR; Professor Gunnar Randers, Leiter des Institutes für Atomenergie, Norwegen; Prof. Dr. J. Rotblat, Wisschenschaftler, Großbritannien; Professor Adam Schaff, Polen; Prof. Dr. Sik, CSSR; Prof. Dr. Luud Stallaert, Publizist, Holland; Prof Dr. Ivan Supek, Atomphysiker, Jugoslawien; Prof. Dr. Max Weber, Finanzfachmann, Schweiz.

Selbstverständlich werden auch namhafte Vertreter unseres politischen und kuturellen Lebens an den Gesprächen teilnehmen, wie zum Beispiel Vizekanzler Dr. Bruno Pitter-

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