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Das Geheimnis der Foibas

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Mai 1945. Die Achsenmächte sind endgültig niedergebrochen und die kümmerlichen Reste ihrer Armeen ziehen sich in zwei Kolonnen von der Balkanhalbinsel zurück. Die nördliche, über Kroatien und Slowenien zurückgehend, kommt bis Bleiburg in Kärnten, wird dort von den Engländern entwaffnet und den Partisanen übergeben, die südliche zieht sich entlang der Küste zurück, überquert Istrien und gelangt in den Raum von Triest. 18.000 Kroaten, 4500 Italiener, 1500 Deutsche, und etwa 1200 Oesterreicher im Verband der Wehrmacht. Nach langen Märschen und erbitterten Kämpfen kommen sie endlich ans Meer — erschöpft, ausgehungert und ausgedörrt, denn im Karst ist Wasser rar. Jetzt liegt vor ihnen wieder das Meer, das uralte Symbol der Freiheit. Die Triestiner nehmen sie freundlich auf, selbst die Armen bemühen sich, den Unglücklichen zu helfen, und in den Seelen der Flüchtenden keimt neue Hoffnung. Der Krieg ist zu Ende, und im kindlichen Glauben an Menschlichkeit hoffen sie — nach langer Zeit — jene Menschen wiederzusehen, an denen ihr Herz hängt — ihre Eltern, ihre Frauen und ihre Kinder, die zu Hauser in tödlicher Angst auf ihre Rückkehr hoffen .,.

Wenige Tage später steigen die ersten Partisanenverbände Titos von den Bergen und tasten sich vorsichtig vor. Sie ergreifen die Macht in der Stadt und breiten sich aus, aber sie wagen es nicht, die Flüchtlinge anzugreifen — sie warten auf Verstärkung. Und die kommt nur zu rasch — Teile der Armee des britischen Feldmarschalls Alexander — Australier, Neuseeländer und Engländer unter dem neuseeländischen General Freyberg. Die Flüchtlinge atmen auf. Sie stehen jetzt endgültig unter dem Schutz einer regulären westlichen Armee und sie sind bereit, in englische Kriegsgefangenschaft zu gehen.

Momentan hat General Freyberg keine Zeit, sich um die Gefangenen zu kümmern, denn das wilde Feilschen um Triest beginnt. Tito erhebt, als Erstangekommener, Anspruch auf das „slawische“ Triest, das seit seiner Gründung niemals slawisch war; Churchill iverlangt kategorisch den Abzug der Partisanen, und vor den anrückenden Armeen Alexanders kapitulieren die Partisanen. Aber sie verlangen die Auslieferung aller Kriegsgefangenen. Es ist eine vollkommen sinnlose Forderung, die durch nichts begründet werden kann. Es kann als erwiesen gelten, daß der kommunistische Partisanengeneral die Auslieferung der Kroaten verlangte, weil sie gegen Tito gekämpft hatten. Ein -absurdes Argument, aber immerhin ein Argument, wenn es auch mit allen internationalen Vereinbarungen im Widerspruch stand. Niemals aber durfte der königliche Marschall Alexander Deutsche und Oesterreicher ausliefern. Außerdem mußte General Freyberg wissen, daß die Auslieferung dieser Unglücklichen einem Todesurteil gleichkam, da die Partisanen sofort nach der Machtübernahme in Triest mehr als 4000 Menschen in wenigen Tagen erschossen hatten.

Nach kurzen Verhandlungen erklärte sich General Freyberg bereit, die ganze Masse der Kriegsgefangenen den Partisanen zu übergeben, wobei ausdrücklich betont wurde, daß die britische Armee den Kommunisten dabei hilfreiche Hand leisten würde.

Als die Verhandlungen nahezu beendet waren, stellte ein britischer Offizier die Frage: „Was soll mit den Oesterreichern und Deutschen geschehen, die schwerkrank oder verwundet im deutschen Militärspital in Triest liegen?“ Es scheint, daß in der Seele des Fragers ein Funke von Menschlichkeit aufglimmte; vielleicht war er auch Großwildjäger und erinnerte sich daran, daß auch das wilde Tier im Walde kranke Artgenossen in Ruhe läßt.

Die Antwort lautete: „Ausliefern!“

Von den Soldaten der Westmächte unterstützt, trieben die Partisanen die Kriegsgefangenen zusammen, ordneten sie in Kolonnen, und dann begann der Abmarsch — der Marsch in den Tod. Vom Partisanenhauptquartier war bereits tags vorher der Befehl gegeben worden: „Die Gefangenen aus der Stadt treiben und sie im Karst, oberhalb Triests, liquidieren.“

In langen Zügen marschierten die Unglücklichen aus der Stadt, unter ihnen Schwerkranke und Verwundete, die sich kaum auf den Beinen halten konnten und von ihren Kameraden ge-. stützt werden mußten. Menschen, die vom Fieber geschüttelt waren — Menschen, mit denen selbst die hartherzigste Kreatur Mitleid gehabt hätte. Der Weg ging steil in die Höhe, über Geröll und Sand. Zu beiden Seiten der Kolonnen ritten Partisanen, die schußbereiten Waffen in den Händen. Einmal außerhalb der Stadt, gaben die Offiziere den Befehl, die Pferde in Trab zu setzen. „Die Gefangenen haben mit den Pferden Schritt zu halten... jeden, der nicht mitkommt oder der niederfällt — niederschießen!“ Bald darauf peitschten die ersten Schüsse.

Am Abend erreichen sie die Höhe. Drei Kolonnen kommen nach Optschina, fünf in die Gegend von Basovizza, weitere Züge verlieren sich zwischen dem Gestein in der Nacht...

Es ist vollkommen finster und die Menschen sinken todmatt nieder. Sie sind unfähig zu denken, unfähig sich zu rühren — sie starren vor sich hin und ihre Gedanken zerflattern.

Die Partisanenoffiziere sitzen um kleine Feuer, essen, trinken, rauchen, manche singen. Sie sind völlig unbeschwert; zwei Gefangene kommen zögernd ans Feuer und bitten um Wasser — sie werden zurückgetrieben.

Ringsum ist nackter, vegetationsloser Karst. Er ist innen hohl und tiefe Löcher verbinden die unterirdischen Höhlen mit der Oberfläche; diese Löcher nennt man Foibas, und es gibt mehrere hundert in der Gegend. Um sie auseinanderzuhalten, gibt man ihnen teils Nummern, teils Namen. Neben diesen Foibas liegen die hilflosen Gefangenen.

Es ist jetzt zehn Uhr. Die Feuer glimmen nur noch. Rauch steigt träge in die Höhe und eine bleierne Stille breitet sich plötzlich aus. Unwillkürlich halten die Menschen den Atem an — es ist wie die Ahnung einer schrecklichen, unabwendbaren Gefahr.. . Vom Meer kommen kleine Windstöße, sie sind wie Flügelschläge des Totenvogels, der lautlos durch die Nacht seine todgeweihte Beute jagt.. . und dann schrillt ein Hornsignal auf... Bedeutet es — Aufbruch? Es ist das Zeichen zum Aufbruch — zum Aufbruch in den Tod. Unvermittelt beginnen automatische Waffen ihr Blei in die ausgemergelten Körper der Gefangenen zu spritzen, Kolben schlagen dumpf dröhnend auf ihre Köpfe, mit Messern und Bajonetten stechen die Partisanen in die sich in Todesangst zusammendrängenden Massen.

Aus den Foibas kommen gellende Schreie. Wer niederfällt wird unbarmherzig in die Löcher geworfen: Tote, Verwundet und Lebende. Wer kann das im ungewissen Licht des Mondes unterscheiden? Die Körper fallen in die Tiefe und klatschen irgendwo auf... in die F o i b a „Miniera“ entleeren Partisanen Benzinkanister und werfen benzingetränkte, brennende Fetzen nach . . . weiter drüben bemühen sich Partisanen, Felsblöcke in eine mit Leibern gefüllte Foiba zu werfen — die Blöcke zerschellen an den Wänden und begraben Lebende und Tote... In dieser einen Nacht starben über 20.000 wehrlose Soldaten einen grausigen Tod.

Und nun zum Nachspiel der Tragödie.

Die in Meran in deutscher Sprache erscheinende Zeitung „Der Standpunkt“ berichtete in ihrer Nummer vom 8. November 1957, daß sich die italienische Regierung nunmehr trotz aller Proteste westlicher Staaten endgültig entschlossen habe, die beiden Karstgruben, die Foiba 149 und die Foiba „Miniera“, zu öffnen und die darin noch befindlichen Leichen zu bergen. Der Artikel trägt die Ueberschrift: „Titos Katyn liegt im Karst.“ Als Verfasser zeichnet Karl Hau.

Und nun geschehen seltsame und unerklärliche Dinge.

Im Jahre 1947 hatte die italienische Regierung erstmalig die englisch-amerikanischen Militärbehörden in Triest ersucht, ihr zu gestatten, die oberhalb Triests liegenden Foibas zu öffnen; man wollte den Unglücklichen eine letzte Ruhestätte geben, man wollte vor allem trachten, die Toten zu agnoszieren.

Nach Rücksprache mit ihren Regierungen in London und Washington wiesen die Militärbehörden das Ansuchen ab: „ ... eine Erlaubnis zum Oeffnen der Foibas kann nicht gegeben werden... es würde die ohnehin schon bestehende Spannung in der nördlichen Adria erheblich verstärken.“

Aus der schrecklichen Tragödie ist eine Komödie geworden: Zum erstenmal in der Geschichte der Welt bilden die Leichen unglücklicher, ermordeter Soldaten einen erheblichen Faktor in der Weltpolitik!

Als der Streit Tito—Stalin ausbrach, ersuchte die italienische Regierung neuerlich die alliierten Militärbehörden, die Leichen endlich bergen zu dürfen.

Die Antwort lautete: „ . . . es wäre nicht opportun, die Foibas gerade jetzt zu öffnen ... Das Oeffnen der Foibas wäre ein schwerer moralischer Schlag für Tito, und gerade während seines heftigen, ideologischen Streites mit Stalin müsse man Tito vor einem solchen Schlag bewahren ... Das Ansuchen muß . . . abgewiesen werden.“

Jetzt aber hat die italienische Regierung endgültig den Beschluß gefaßt, vorerst die beiden größten Foibas öffnen zu lassen und hierfür den Betrag von 20 Millionen Lire zur Verfügung gestellt. Achtundvierzig Stunden nach der Fassung dieses Beschlusses erhob der jugoslawische Botschafter in Rom schärfsten Protest, da „dadurch die guten Beziehungen zwischen Italien und Jugoslawien getrübt werden könnten“ .

So aber geht es nicht. Es darf nicht sein, daß Tote zu einem Spekulationsobjekt internationaler Politik werden. Selbst der Wilde beugt sich vor der unfaßbaren Majestät des Todes. Die Toten haben ein Recht auf Ruhe und die Lebenden ein Recht auf Gewißheit.

Meraner Zeitung „Der Standpunkt“ vom 8. November 19 57 und Croatia Press, New York, vom November 1957, Seite 15 ff.

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