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DAS GEHEIMNIS MAX REINHARDTS

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Meine Schwester und ich hatten gerade in Wien unsere ersten Erfolge erlebt und waren als die „drei Schwestern Wiesenthal“ in Wien bekannt geworden, da berief uns Max Reinhardt nach Berlin. „Auf nach Berlin“, riefen wir begeistert. Wir waren Ja noch so jung und bereit für alles Neue und freuten uns besonders auf das Erlebnis der „Großen Welt“. Und daß es Max Reinhardt war, von dem dieser Ruf erging, war das Wunderbare daran. Ich hatte seine Aufführung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ gesehen und war so überwältigt davon, daß ich Tage nachher noch in seliger Trunkenheit diesem Erlebnis nachhing. Da war es vielleicht nicht so verwunderlich, wenn ich alles ein wenig durcheinanderbrachte und es mir möglich schien, daß Shakespeare den Elfentanz komponiert, Max Reinhardt den „Sommernachtstraum“ gedichtet und Mendelssohn die Regie der Aufführung gehabt hatte. Und zu diesem Max Reinhardt, der auch Shakespeare und Mendelssohn war, fuhren wir jetzt nach Berlin, die wir so sicher in unserem Wien wie in unserem Leben zu Hause waren. Nun aber lernten wir eine neue Stadt ken-

Max Reinhardt bei der Probe

Thealersammlung der österreichischen Nailonalbibliothek hen, erlebten in Berlin zum erstenmal die Großstadt; Wien aber, aus dem wir kamen, hatten wir nie als solche empfunden. Wien war ja unsere Wiege, geschaukelt von wunderbaren Genien, denen wir meinten, alles verdanken zu dürfen, und die uns in Hugo von Hofmannsthal und Gustav Mahler unsere Betreuer geschenkt hatte.

So ungefähr war es mit uns beschaffen, als wir in Berlin im Anhalterbahnhof einfuhren und uns trotz des Rauches vieler Lokomotiven eine so ozonreiche Luft entgegenströmte, so überraschend würzig und stark, daß seitdem, wann immer ich an Berlin dachte, ich den reinen Atem dieser Stadt mit empfand. In diesem Berlin empfing uns Max Reinhardt, und er war uns gleich so vertraut wie ein älterer Bruder, der vorausgeeilt war aus Österreich und uns den Weg bereitete, auf dem uns die Berliner erwartungsvoll entgegenkamen, ob es nun Künstler, Kritiker oder eben ... die Berliner waren.

Das Theater, in dem Reinhardt wirkte, war das „Deutsche Theater“; eines der wenigen schönen alten Gebäude in dieser jungen Stadt. Mich aber interessierte gerade dieses neue, junge Berlin mit seinen geraden, breiten Straßen und den vielen, vielen Wohnungen, in denen so viele Menschen wohnten, die zwar ein bisserl anders waren als wir, aber deren Anderssein wahrscheinlich dazu beitrug, daß ich das erste Mal mir meiner selbst bewußt wurde als Kind dieser Zeit.

So erlebte ich wie nie zuvor das Leben der vielen unbekannten Mitlebenden einer großen Stadt; ich spürte ihren Schlaf, ich roch den Geruch der vielen Fische, die sie in ihren Küchen bereiteten, ich gedachte ihrer häuslichen Beschäftigungen, ob sie nun Wäsche bügelten oder Blumen begossen auf den vielen Baikonen ihrer neuen Häuser. Alte Häuser hatten wir in Wien genug, aber Häuser, die so komisch ausschauten wie die am Kurfürstendamm, und Häuser, die alle nur Holzstiegen hatten, in denen uns freundliche Wirte empfingen und entzückt über unsere wienerische Aussprache lachten, das gab es nur hier zu erleben. Und wenn wir in Wien noch wenig in andere Häuser gekommen waren — unser Weg hatte uns seit der Kindheit immer nur von Hietzing in die Oper und wieder zurück geführt —, so glaubten wir hier in Berlin allen Göttern der Zeit auf einmal zu begegnen.

Wir waren eingeladen zu den großen und kleinen Empfängen Max Reinhardts, lernten Wedekind, Björnson und Rathenau und andere kennen; es war aber keine Traumwelt mehr, es war eben die „große Welt“ unserer Zeit. Und hier erlebte ich so manche Jahre hindurch die Persönlichkeit Max Reinhardts, wie sie sich spiegelte in seinen Zeitgenossen. Er, der selbst wenig sprach, besaß aber die köstliche Gabe, die Menschen um ihn herum zu ihrem Besten zu inspirieren, und jeder schien bemüht, vom vielfältigen Leben etwas Besonderes, Spezielles ihm zuzutragen, ihm, der so gut zuzuhören und zu lachen verstand. Eigentlich war er dann nicht viel anders als bei einer seiner Proben, in denen er auch der beste Zuhörer und Lacher war und dadurch eine Freiheit der Darsteller ermöglichte, in der Wort und Gebärde so natürlich ihr Wesen trieben und so der Formung seiner Ideen willig gehorchten. Daher ist auch die Begeisterung der Darsteller für seine Führung zu verstehen, und dieses einzigartige Zusammenspiel von Regisseur und Darsteller, in dem einer im anderen sich neu erlebte.

Wenn ich so seinem Wesen nachsinne, möchte ich glauben, daß er erwartungsvoll war für das, was der andere ihm zubringen könnte, und in dieser erwartungsvollen Neugierde liegt vielleicht auch die Erklärung für die verzaubernde Wirkung, die seine Persönlichkeit auf den anderen Menschen ausübte. Denn weder war er schön wie die Schönen noch so blitzend wie die Geistreichen oder so edel wie die Edlen, aber er erwartete und erhoffte sich dies alles von den anderen, und darum vielleicht flogen ihm alle Herzen zu. Und besonders die Herzen der Frauen, die von dem, was sie als Kostbarstes in ihren kleinen Wunderkoffern verwahrten, ihm es aufdeckten und schenkten. Aber auch die Herzen der Dichter, deren Werke er auf der Bühne zu ihrem eigentlichsten, eigensten Leben verhalf, so daß phantasiebegabte Leser, die manchmal meinten, das Theater entbehren zu können, bei einer Reinhardt-Aufführung zum Theater bekehrt wurden und es ihnen dann vielleicht so, wie es mir bei der Aufführung des „Sommernachtstraum“ erging: daß sie nicht mehr wußten, ob das köstliche Lustspiel „Der Schwierige“ von Reinhardt gedichtet und Hugo von Hofmannsthal als Regisseur dafür verantwortlich war oder umgekehrt.

Aber auch der Tanz, die reine Gebärde ohne Wort, faszinierte ihn, und er dachte daran, eine große Pantomime auf die Bühne zu bringen. Aus diesen Gedanken entstand in zwangloser Zusammenarbeit die Pantomime „Sumurun“. Der Dichter Freksa hatte das Motiv dazu aus dem Orient genommen, und Max Reinhardt und ich verliebten uns in den Stoff und dichteten das unsrige dazu. So entstand ein färben- und tanzpyächtiger Spaß auf der Bühne, in dem es auch von Eunuchen wimmelte, Paul Wegener einen Scheik mimte, Leopoldine Konstantin die Sklavin tanzte, und Alexander Moissi, ein im Harem versteckter Liebhaber, Gefahren trotzte und auch bestand, und am Schluß des Spiels Schildkraut als treuen Freund des Liebhabers, Moissi und mich, die ich die Sumurun gab, von der Bühne herunter über den „Blumenweg“ durch den Mittelgang des Parketts aus allen Gefahren herausführte. Auf diesem Weg mitten durch das Publikum erlebte ich bei einer der Aufführungen einen kleinen Schreck. Mein Fuß wurde einen Moment festgehalten, und als ich mich umschaute, wer das getan, entdeckte ich einen kaum

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