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Digital In Arbeit

Das Gehirn des Planeten

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Das Internet ist in. Binnen kur-zer Zeit hat es das erste Mai ein Datenkommunikationsmedi -um geschafft, offentliche Breite zu er-langen. Die Zeitschrift „TV Media" veroffentlicht www-page-collections und der Kampf zwischen Microsoft und Netscape um die kommerzielle Vorherrschaft am Web ist die meist-verfolgte Soap-Opera der Computer-industrie. Beihenweise werden eige-ne Plane fur private Netzwerke ein-gestellt, statt dessen trifft sich alles im scheinbar einheitlichen Kommunika-tionsraum, den freilich niemand mehr auch nur annahernd iiber-blicken kann.

Mit nur einem Jahr Verzogerung zu den USA ist die zweite groBe Netzwelle, jene in die Alltaglichkeit, im Begriff, iiber uns hereinzubrechen. Allenthalben finden Internet-Kon-gresse statt, deren Thema die wirkli-chen Anwendungen sind: im Journa-lismus, in Marketing, Werbung, Ver-kauf, in der Bildung. Noch kann man sich nicht entscheiden, welches Ge-wicht diesem Medium im Mix der Zukunft zukommen wird; aber igno-rieren lafit es sich nicht langer.

Wir stehen einigermafien fas-sungslos und staunend der bunten Da-tenfiut gegeniiber, und es beginnt uns zu dammern, daB wir nun wirklich uriwiderruflich an jenem historischen Wendepunkt angekommen sind, wo - zumindest was Informationen an-betrifft - von Knappheit keine Bede mehr sein kann. Doch unsere Reflexe sind darauf ebensowenig vorbereitet wie unsere Okonomie: Wie Pawlow-sche Hunde, denen der Konkurrenz-mechanismus einfach antrainiert ist, wollen wir alle publizieren, nicht iibersehen werden, nicht untergehen. Die Goldgraber schwarmen massen-haft aus, um im Cyberspace neue Claims abzustecken.

Der Niirnberger Publizist Bobert Kurz hat zu dieser eigenartigen Be-flexbewegung in der brasilianischen Zeitung „Folha" eine kritische Frage gestellt, die es verdient, auch hier zi-tiert zu werden: Kann es sein, daB der Trend in die Simulation, in den Cyberspace, damit zu tun hat, daB die Schranken der Okonomie, die reale Endlichkeit unserer Handlungsmog-lichkeiten, so wunderbar durch virtu-elle Baume iiberspielt werden kon-nen? Er zieht die Parallele zu der Simulation im Kreditwesen, die im groBen Stil durch die moderne Staats-verschuldung in die Welt gekommen ist:

„Man konnte ironisch sagen, daB die gesellschaftlichen ,Geschaftsko-sten' der Marktwirtschaft so grofl ge-worden sind, daB sie nach ihren eige-nen Kriterien historisch unrentabel wird. Um diesen Zustand zu ver-schleiern, muB das kapitalistische System zum Mittel der monetaren Simulation greifen und durch das wach-sende fiktive Kapital des Staatskredits eine imaginare kapitalistische Zukunft anzapfen."

Dies ging solange gut, wie durch wachsende Verausgabung menschli-cher Arbeit der Staat seine Kredite aus Steuern finanzieren konnte; doch weil durch die mikroelektronische Bevo-lution die Komponente der lebendi-gen Arbeit immer kleiner wird, beginnt der staatliche Pump an der Zukunft prekar zu werden.

Bobert Kurz weiter: „Nach dem

Staat trat daher auch die Marktwirtschaft selber in das Stadium der Simulation ein. Weil die Expansion pro-duktiver Arbeit nicht mehr rentabel oder zu teuer geworden war, flossen immer mehr Gewinne in die Speku-lation mit Aktien, Immobilien, Devi-sen, Terminkontrakten und so weiter ... Diese Ara des Kasino-Kapitalismus dehnt sich deswegen so unnaturlich lange aus, weil die marktwirtschaft-lich produktive Arbeit durch Bationa-lisierung weiter abschmilzt wie der Schnee an der Sonne. Das neue Schlagwort jobless growth' bedeutet, daB das Wachstum des Geldes sub-stanzlos geworden ist und nur noch durch Kredite und auf spekulative Weise simuliert wird ... Der Kapita-lismus simuliert sich selbst."

Eine historische Chance

Ich habe dieses Zitat nicht einfach deswegen gebracht, weil „virtual money", Spekulation und Borsendienste ein fixer Bestandteil des Internet sind, sondern weil wir uns bei der Beant-wortung der Frage, wie und wozu wir die globalen Netzwerke nutzen, tatsachlich der Voraussetzungen un-seres Handelns bewuBt werden miis-sen. Ergreifen wir sie als Droge, die

der Flucht aus realen Handlungs-Un-mbglichkeiten dient, dann erschlieBt sich uns tatsachlich ein endloses Beich der Simulation.

Dies ist freilich kein Pladoyer dafiir, auch nicht im Sinne einer in-neren Einstellung, hinter den Stand der Technologie zuriickzufallen. Das Internet ist seiner Struktur nach we-sentlich mehr, als der derzeitige Kom-merzialisierungs-Hype aus ihm zu machen droht.

Es ist, und ich mochte das hier ganz bewuBt aussprechen, ziemlich nahe an dem, was Teilhard de Chardin mit dem Begriff „Noosphare" bezeichne-te. Das menschliche BewuBtsein or-ganisiert sich in seiner Vergegen-standlichung das erste Mai in der Form eines Hologramms: Jeder Punkt weist, durch Verbindungen zu ande-ren Punkten, in unscharfer und vager Weise auf die Struktur des Ganzen hin. Die euphorischen Beschreibun-gen vom Internet als „global brain" halte ich nicht fur iibertrieben. Es ist mit einem Schlag und mit einem Medium denkbar, an jedem Punkt der Erde auf das gesamte Wissen der Menschheit zugreifen zu konnen.

Nur: wie gehen wir damit um? Werden wir im Bemiihen, Wissen als Ware zu monopolisieren, diese ein-malige historische Chance zunichte

machen? Und wer sollte iiberhaupt das Interesse haben, diese historische Moglichkeit zu nutzen? Wer sollte das Interesse haben, nicht zu versuchen, das Medium zu monopolisieren, zu segmentieren, zu zensurieren und zu kontrollieren?

Die Antwort auf diese Frage hangt wieder mit den von Bobert Kurz ge-machten Beobachtungen iiber die ge-genwartige Epoche der zu Ende ge-henden Marktwirtschaft zusammen. Die Globalisierung der Marktwirtschaft und ihre schwindende Fahig-keit, die von ihr verursachten gesellschaftlichen Kosten zu „bezahlen", lassen der Politik nur die Alternative, entweder den marktwirtschaftlichen Gaul zu Tode zu reiten, oder aber an-zuerkennen, daB ein neuer gesell-schaftlicher Sektor entstehen muB, der die Hoffnungen der Menschen auf ein besseres Leben erfiillt.

Vielfach ist dieser neue gesellschaftliche Sektor heute schon greif-bar: Uberall auf der Welt entstanden in den letzten Jahren selbstorganisier-te Gemeinschaften, freiwillige Verei-nigungen, die sich gegen soziale und okologische Zerstorungen organisie-ren und in die Baume vorstoBen, die der Markt mangels Bentabilitat und der Staat mangels Finanzierungs-fahigkeit nicht mehr erfassen kann -vor allem dort, wo sich Probleme von der Politik gemeinhin am liebsten de-ponieren lassen, bei den untersten ad-ministrativen Einheiten, den Kom-munen und Begionen.

Freie Auffahrt auf den Datenhighway

Man kennt heute schon einen Sam-melnamen dafiir - „NGO - Non Governmental Organizations". Es ist denkbar, daB, wie der amerikanische Autor Jeremy Bifkin meint, diese NGOs den Kern eines neuen Sektors jenseits von Markt und Staat bilden, der sich die von Markt und Staat nicht mehr organisierbaren, aber uber-reichlich vorhandenen Mittel, Tech-nologien und Kompetenzen aneignet, um sie zu einem neuen sinnvollen Ganzen zu machen.

In vielen Begionen, wo hohe Ar-beitslosigkeit grassiert, erweist sich die Einfuhrung von sogenannten LETS (Local Electronic Trade) - Sy-stemen als durchaus taugliche Mittel,

die scheinbar nutzlos und unge-braucht zuriickgelassenen Bessourcen (Arbeitskraft, Qualifikation, Werk-zeuge) nutzbar zu machen - auf der Basis eines freiwilligen Zusammen-schlusses. Freilich ist das keine Okonomie, die monetare Uberschiisse fiir den Staat hergibt, weil sie auf keinen monetaren Zuwachs ausgerichtet ist. Aber sie erspart der Marktwirtschaft durchaus Kosten, die ansonsten unfi-nanzierbar waren.

Vielleicht werden einige weitsich-tige Politiker und Unternehmer er-kennen, daB dieser neue soziale Sektor, der sich auf lokale Bessourcen und deren technologisch unterstiitzte trag-fahige und dauerhafte Benutzung richtet, die einzige Chance dieser GeseHschaft auf wirkliches Wachstum ist. Dann muB man dem neuen sozia-len Sektor aber auch die Mbglichkei-ten zur Verfiigung stellen, zu wachsen und seine Kraft zu entwickeln.

Die erste und wichtigste Quelle dieser Kraft ist das weltweite, ungehinderte FlieBen von Information. Information iiber die vielen Wege, aus lokalen Bessourcen Beichtum zu machen, iiber die Werkzeuge und Tech-nologien dazu. Mit einem Wort: das Internet als Hologramm der vielen selbstorganisierten Bemiihungen, je-den Ort dieses Planeten zum Bliihen zu bringen.

Die Chance dazu gabe es: Es rniiB-te nur beim gegenwartigen Ausbau der Datenhighways darauf geachtet werden, daB der freie Zugang und der freie FluB der Information im offent-lichen Interesse erhalten bleibt. Jede Gemeinde, jede lokale Korperschaft miiBte ihre Beteiligung nicht nur als Investition in den Wirtschaftsstan-dort, sondern noch viel mehr als Investition in ihre zukiinftige Autonomic und Krisenfestigkeit begreifen. So wurde das Internet statt zur Simulation zum Simultaneum: Zum Ort des Nebeneinanders nicht nur von kommerzieller und nichtkommerzi-eller Informationswirtschaft, sondern auch zur Quelle lokaler Vielfalt, die uns vielleicht bei der Evolution in ein neues Zeitalter behilflich ist. Der Autor ist

Initiator der Veranstaltung „ Global Village" und leitet das Projekt GIVE zur llntersuchung von Siedlungs- und Lebensformen im Informationszeitalter im ZSl (Zentrum fiir Soziale Innovation) in IVien.

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