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Das Geisterreich durchdringt den Alltag

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Das häßliche alte Weib, das dem Studenten An-selmus die Worte „Ja renne - renne nur zu, Satanskind - ins Kristall bald dein Fall, ins Kristall” nachrief, war ganz und gar Gestalt einer anderen, unheimlichen Welt. Den Schauplatz aber hat E. T. A. Hoffmann am Beginn seines Märchens „Der Goldne Topf” genau beschrieben. In Dresden war es, gleich nach dem Schwarzen Tor, wo Ansel-mus in den Korb der Frau hineinrannte, „so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde und die Straßenjungen sich lustig die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.”

Wer das Märchen kennt, weiß: Um einen reinen Zufall dürfte es sich bei der Anwesenheit der alten Verkäuferin auf Anseimus' Weg schwerlich gehandelt haben, so ist die Welt des E. T. A. Hoffmann nicht beschaffen. In dieser folgen die Zufälle den geheimen Weisungen höherer Instanzen. Brechen dämonische, aber auch feenhafte Mächte in die Realität ein.

Der tschechische Zeichner Jindra Capek ist kein alltäglicher Illustrator, er ist ein Zeichner, welcher der Phantasie des Autors seine eigene zur Seite stellt, der die Geschichte auf seine Weise und manchmal auch seine eigene Geschichte erzählt. „Der Goldne Topf” von E. T. A. Hoffmann mit den Illustrationen von Jindra Capek, erschienen bei Weitbrecht in K. Thienemanns Verlag, ist in diesem Sinne eine bibliophile Köstlichkeit.

Es wäre nicht weiter erstaunlich, wenn der 1776 in Königsberg geborene Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der sich aus Verehrung für Mozart statt des Wilhelm den Amadeus zulegte - daher E.T.A. Hoffmann -, manchen Zeitgenossen etwas unheimlich war. Er war ein Grenzgänger, ein in mehreren Welten Heimischer. Im Alltag war er zunächst Jurist, Referendar am Kammergericht Berlin, und die Strafversetzung (wegen seiner Karikaturen) war damals nicht besonders ungewöhnlich. Nach langen Jahren, in denen er sich - unter anderem als Theaterkapellmeister und Kritiker - eher kümmerlich durchbrachte, geriet er (wie die sprichwörtliche Jungfer zum Kind) in eine Kommission gegen politische Aufwiegler, in der er sich so für jene einsetzte, die er verfolgen sollte, daß er Opfer eines Disziplinarverfahrens wurde. Zugleich wurde sein „Meister Floh” von der Zensur entschärft. Das Disziplinarverfahren erübrigte sich. Hoffmann starb, 45 Jahre alt.

Doch nicht die politischen und menschlichen Positionen, die ihm immer wieder Probleme mit der Obrigkeit einbrachten, begründen sein Grenzgängertum. Er konnte etwas,

worauf sich vor wie nach ihm kaum einer mit solcher Meisterschaft verstand: Er war der Meister des Unheimlichen. Bei ihm durchdringt die Welt der Geister, des Okkulten, Magischen, die Alltagswelt seiner Zeit so sehr, daß das Gefühl, auf sicherem Boden zu wandeln, untergraben wird.

Doch ist der Mensch bei E.T.A. Hoffmann viel mehr als Spielball höherer (oder teuflischer) Mächte. Es kommt immer darauf an, auf welche Seite er sich schlägt - die des Guten oder des Bösen.

Noch eine andere Notwendigkeit, sich zu entscheiden, quält seine Geschöpfe - eine, in der Hoffmann sicherlich höchsteigene Probleme verarbeitete: Die Entscheidung zwischen der Geborgenheit, aber auch Stumpfheit braven Bürgerlebens - und der Unsicherheit und dem Abenteuer der Künstlerschaft.

Genau dieses Thema spielt im Märchen vom Goldnen Topf, neben der Allgegenwart unsichtbarer Mächte im Alltag, eine wichtige Bolle. Der Buf der häßlichen alten Frau entpuppt sich als die vom Künstler als schreckliche Drohung empfundene Prophezeiung eines Lebens in selbstzufriedener Bürgerlichkeit. Denn das Kristall, gleichbedeutend mit Glas, wird zur Metapher des Bürgertums. Der Blick in den Zauberspiegel der Alten bewirkt das Gegenteil dessen, was Zauberspiegel sonst ermöglichen: Entzauberung, und Anseimus findet sich gefangen in einer Flasche, neben anderen Gefangenen in anderen Flaschen, die aber ihre Gefangenschaft nicht begreifen und für ein Glück halten:

„Nie haben wir uns besser befunden als jetzt, denn die Speziestaler, welche wir von dem tollen Archivari-us erhalten für allerlei konfuse Abschriften, tun uns wohl; wir dürfen jetzt keine italienischen Chöre mehr auswendig lernen, wir gehen jetzt alle Tage zu Josephs oder sonst in andere Kneipen, lassen uns das Doppelbier wohlschmecken, sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen, singen wie wirkliche Studenten” - so preisen die Gefangenen ihr Schicksal, und Anseimus begreift: „Die schauten niemals die holde Serpentina, sie wissen nicht, was Freiheit und Leben in Glaube und Liebe ist, deshalb spüren sie nicht den Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander bannte ihrer Torheit, ihres gemeinen Sinnes wegen; aber ich Unglücklicher werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich liebe, mich nicht rettet.”

Der (für die Zensur) suspekte Kern der Geschichte ist gut verpackt. Das Schwanken des Studenten Anseimus zwischen Veronika, der Tochter des Konrektors, welcher der Sinn nur nach der Stellung einer „Frau Hofrätin” steht, und Serpentina aus dem Geisterreich (worin wir auch das Beich des Geistes, des der Obrigkeit verdächtigen) erkennen können, die

ganze komplizierte Liebesgeschichte, steht für eine existentielle Entscheidung, in der wir uns nicht mehr ganz so leicht erkennen wie ein Mann wie Jindra Capek. Der aber jede Vordergründigkeit und jede Zeigefingerhaf-tigkeit strikt vermeidet. Der, ganz in der Tradition der tschechischen Meisterillustratoren, eher das Märchenhafte und Skurrile betont, aber auch unheimliche Stimmungen herzustellen weiß. Er ist, auch, ein Meister der lyrischen Stimmungen, der nostalgischen Landschafts- und Städtebilder.

Das Märchen „Der Goldne Topf” - der originale Untertitel „Ein Märchen aus der neuen Zeit” wurde gestrichen - hat übigens, bekanntlich, ein happy end. Anseimus entgeht dem Leben in der Flasche und bekommt die adäquate Partnerin eines Dichters, Serpentina, und dem Dichter des Märchens versagen, wie er selber bekennt, die Worte: „Wie fühlte ich recht in der Tiefe des Gemüts die hohe Seligkeit des Studenten Ansel-mus, der, mit der holden Serpentina innigst verbunden, nun nach dem geheimnisvollen, wunderbaren Beiche gezogen war, das er für die Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen erfüllte Brust schon so lange gesehnt. Aber vergebens blieb alles Streben, dir, günstiger Leser, all die Herrlichkeiten, von denen der Anseimus umgeben, auch nur einigermaßen in Worten anzudeuten. Mit Widerwillen gewahrte ich die Mattigkeit jedes Ausdrucks ... Ist denn überhaupt des Anseimus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?”

Vielleicht wäre E. T. A. Hoffmann bestürzt gewesen ob der lapidaren Knappheit, mit der es Alfred Polgar gut 100 Jahre später auf den Punkt brachte: Liebe ist ein privates Weltereignis.

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