Das Genie der ersten großen Rechner

Werbung
Werbung
Werbung

Am 22. Juni wäre Konrad Zuse 100 Jahre alt geworden. Die Ausnahmeerscheinung machte sich einen Namen als Entwickler des ersten Computers und der ersten Computersprache.

Wer heute wie selbstverständlich seinen Computer hochfährt, E-Mails liest, Texte schreibt oder die Buchhaltung erledigt, kann den visionären Geist höchstens erahnen, mit dem findige Tüftler vor fast 80 Jahren die Grundlagen der heute nicht mehr wegzudenkenden Alltagstechnologie legten. Einer der bedeutendsten dieser Pioniere war der deutsche Konrad Zuse. Seine im Alleingang gebauten Rechenmaschinen der späten 1930er und frühen 1940er Jahre gelten heute als der Beginn des Computerzeitalters.

Konrad Zuse wurde am 22. Juni 1910 in Berlin geboren. Mit 17 Jahren maturierte er und ging danach an die Technische Hochschule. Als zielstrebigen Studenten kann man Zuse nicht gerade bezeichnen. Das Studium des Maschinenbaus brach er ab, war ihm das technische Zeichnen doch zu „genormt und festgelegt“ und ließ „dem schöpferischen Geist nur wenig Freiheit in der Art der Darstellung“, wie Zuse später in seiner nicht nur Fachleuten empfehlenswerten Autobiografie „Der Computer: Mein Lebenswerk“ schreibt. Ein kurzer Ausflug in die Architektur konnte ihn auch nicht erfüllen, letztlich diplomierte er als Bauingenieur. Nach einem einjährigen Intermezzo als Grafiker in der Werbebranche arbeitete Zuse für einige Zeit als Statiker bei den Henschel-Flugzeug-Werken. Doch schon bald gab er diese Beschäftigung auf, um sich im Wohnzimmer seiner elterlichen Wohnung eine Werkstatt einzurichten. Hier arbeitete er an einer Maschine, die man heute allgemein als ersten programmgesteuerten Computer anerkennt. Seine Motivation dafür war eher profaner Natur.

Der erste Rechner brauchte eine Kurbel

Zuse war davon überzeugt, dass sich die mühseligen, wenngleich notwendigen, Berechnungen des Ingenieurwesens automatisieren lassen müssen. Etwas schnippisch könnte man also sagen, dass es die Faulheit zu Rechnen war, die den Impetus zu seinen bahnbrechenden Entwicklungen gab. 1936 begann er die Entwicklung an seiner ersten Rechenmaschine, der legendären Z 1. Sie hatte die Größe eines mondänen Esstisches, bestand aus Hunderten mühselig händisch gesägten Metallplättchen und funktionierte vollständig mechanisch. Berechnungen musste man im wahrsten Wortsinn mit einer manuellen Kurbel „ankurbeln“, pro Umdrehung vollführte das Gerät einen Rechenschritt. Doch schon die Z 1 verwendete zwei Prinzipien, die heutigen Computern eine Selbstverständlichkeit sind: das Binärsystem, also die Berechnung auf Basis zweier Grundzustände – Null und Eins – sowie die Gleitkommazahlen. Als rein mechanisches Gerät war die Z 1 noch zu mangelhaft. Doch versuchsweise mit der Z 2 und vollends mit der 1941 abgeschlossenen Z 3 setzte Zuse die damals hochmoderne Relaistechnik ein und schuf damit den ersten funktionierenden, frei programmierbaren Computer auf Basis des binären Zahlensystems. Die Z 3 wies auch eine weitere heute selbstverständliche Eigenschaft von Computerarchitekturen auf: die Trennung von Speicher und Rechenwerk. Diese frühen Rechner muten in ihrer Leistung heute vielleicht armselig an (eine simple Division dauerte auf der Z 3 etwa drei Sekunden). Doch sie taten zum ersten Mal das, was auch jeder heutige Computer im Kern noch tut: addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren.

Zuses frühe Maschinen gingen im Bombenhagel der letzten Kriegstage verloren (immerhin baute er als fast 80-jähriger zwei von ihnen aus dem Gedächtnis nach – sie stehen heute im Deutschen Museum in München sowie im Deutschen Technikmuseum in Berlin). Doch die Z 4, eine Weiterentwicklung der Z 3, konnte er in den Allgäu retten. Die Eidgenössische Technische Technische Hochschule in Zürich mietete sie später. Mit dem Geld dafür rief der Erfinder 1949 die Zuse KG im deutschen Neukirchen ins Leben, wahrscheinlich die erste Computerfirma der Welt. Dieses Unternehmen baute und verkaufte zahlreiche Computer, auch in Röhren- und später in Transistorentechnologie. Doch als Unternehmer war Zuse bei Weitem nicht so erfolgreich wie als Erfinder. Schlechtes Management und wachsende Konkurrenz führten dazu, dass er seine Firma 1964 an Brown, Boveri & Cie verkaufen musste. Später übernahm Siemens deren Anteile. Dieser Misserfolg hat Zuse tief getroffen. Die letzten 31 Jahre seines Lebens verbrachte er als Privatmann. Untätig blieb sein umtriebiger Geist dabei keineswegs. So entwickelte er mit dem „Plankalkül“ die erste Programmiersprache. Auch wenn sie heute nicht mehr verwendet wird, nahm sie doch viele Konzepte moderner Programmiersprachen vorweg, zum Beispiel die bedingte Verzweigung.

Der Kosmos als Rechenmaschine

Auch der Philosophie schenkte Zuse eine bis heute hoch aktuelle Theorie, jene des „Rechnenden Raums“. Unter dem gleichnamigen Titel veröffentlichte Zuse 1969 ein Buch, in dem er die These vertrat, dass sich das Universum als digitaler Computer verstehen lässt. „Es geschah bei dem Gedanken der Kausalität, dass mir plötzlich der Gedanke auftauchte, den Kosmos als eine gigantische Rechenmaschine aufzufassen“, erinnert sich Zuse in seiner Autobiografie zurück. In dieser Zeit widmete er sich auch der letzten großen Leidenschaft seines Lebens, der Malerei. Aus seiner Schulzeit sind Karikaturen, Zeichnungen und Linolschnitte erhalten. Zuses Aquarelle haben heute beträchtlichen Wert. Die Bilder zeigen industrielle Bauten und nüchterne Architektur. Sowohl in der Themenwahl als auch in der Vorliebe für geometrische Formen kann der Künstler Zuse den Techniker nicht verleugnen.

Im Dezember 1995 erlitt Zuse einen Herzanfall. Angeblich hob der darniederliegende Zuse in diesen Tagen die Hand gen Himmel und sagte: „Mach kein’ Blödsinn!“ Doch auch das nützte ihm nichts. Am 18. Dezember 1995 starb der Erfinder, Entrepreneur, Philosoph und Künstler Konrad Zuse. Neben den vielen Neuheiten im Detail, die Zuse der Technik geschenkt hat, ist es vor allem die Tatsache, dass er seine wesentlichen Entwicklungen ganz alleine vollbracht hat, die Bewunderung abverlangt. Kennzeichnend ist in ein Erlebnis während seiner Maturafeier, das Zuse beschreibt: „Ich entsinne mich an ein Gedicht, das damals vorgetragen wurde und das mich sehr beeindruckte. Die Quintessenz dieses Gedichts lautete: „Im Grunde bist du stets allein.“ Den Namen des Dichters habe ich vergessen; aber die Wahrheit dieser Worte habe ich in meinem späteren Leben oft erfahren.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung