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Das Gespräch

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Wer immer einen Weg sucht zu sich, zum andern oder gar zu dem, was über allem ist, wird das Gespräch als Mittel der Klärung und Läuterung lieben. Die einen üben es als hohe Kunst, den andern blüht es als innige Natur. Der Meister bedarf seiner nicht minder als der Schüler. Wem es aus Einsamkeit versagt ist, wer es aus Schweigsamkeit ablehnt, erfindet notwendig das Selbstgespräch. Ob wir nun mit dem leidenschaftlichen Willen des Gestaltenden teilnehmen, des Ergriffenen verkünden oder uns nur mit der stillen Bereitschaft des Hörenden ins Verstehen neigen, immer gehen wir verwandelt daraus hervor, bewegt, empfänglicher und noch vom Widerspruch bestätigt und geformt.

Von allem aber, was mir im magischen Kreis des Gesprächs an Einsicht und Tiefe zugereift und aufgegangen ist, wird eine Zwiesprache für immer Gültigkeit behalten und in meinem Herzen als schönste Empfängnis weiterfruchten. Ich danke sie meinem im letzten Krieg verschollenen Freunde M. Weilt diese an sich so unsdieinbare Begebenheit zugleich auch Zeugnis ablegt für seine Menschlichkeit, sei sie als schlichtes Denkmal dessen, was unzerstörbar weiterwirkt von unserem Leben, erzählt.

Im Hause seiner Eltern lebte damals noch »eine alte Großmutter, an der er mit inniger Liebe hing. Mehrere Schlaganfälle hatten sie fast völlig gelähmt, so daß, als ich sie kennenlernte, sie nur noch mühsam, auf einen Stock gestützt, die notwendigsten Schritte zwischen Tisch und Bett zu tun vermodite. Des Sommers saß sie tagaus tagein an den Sonnenplätzen der kleinen, schon etwas windschiefen Veranda, durch deren allzeit offene Türe sie den üppigen Bauerngarten überschauen konnte, und allem, was ein und ausging, freundlich zunickte. Last und Verantwortung eines arbeitsreichen Lebens hatte sich allmählich aus ihrem Bewußtsein gelöst und so lag auf ihrem runden, roten Apfelgesicht unter dem schlohweißen Haar ein immerwährendes Lächeln, das schon den Gefilden jenseitiger Heiterkeit angehörte.

Sie stammte, wie viele Großmütter unseres Volkes, aus slawischen Landen und vermochte, während ihre Enkel schon restlos mit dem Geist der neuen Heimat verschmolzen waren, die Zunge der härteren Sprache des Tochtergatten nimmermehr zu fügen. Sie hatte wohl früher ein paar deutsche Worte leidlich erlernt und ihre Umgebung zur Not auch verstanden, doch wie ihr Geist im Aitern von Stufe zu Stufe zurückglitt, war ihr eines nach dem andern wieder entfallen, kis ihr zuletzt nur mehr die Weichheit altvertrauter Laute als Brücke der Verständigung gangbar blieb und jenes stille Lächeln, das wortlos von Herz zu Herzen wob.

,So unterhielt sich M., von Kindheit an geübt, jeden Gedanken augenblicklich von tiacm Spradiraum in den andern zu heben, mit ihr in einer seltsamen Sprache. Ich verstand von ihr außer dem Wohlwollen, das, um sich mitzuteilen, mühelosere Wege als die Schwerfälligkeit unserer Zunge findet, nur, was mir Gebärde und Mienenspiel verriet.

Als ich nun eines Nachmittags den Freund zu einem Spaziergang abholen wollte, fand ich ihn im Gespräch mit seiner Großmutter. Sie hatte vor einigen Tagen einen neuerlichen Schlaganfall erlitten und saß zum ersten Male danach wieder auf ihrem gewohnten Platz in der Veranda. Die Freude darüber stand deutlich in beider Angesicht zu lesen. Ich setzte mich ein wenig abseits, um nicht zu stören, und nahm ein Buch zur Hand, als ob ich darin lesen wollte.

Es war ein heißer Junitag. Im Gärtchen glühten die Rosen und unter wächsern blühenden Holunderbüschen rauschte der Bach. Der alte Messinggriff des Brunnenschwengels glänzte wie pures Gold. Durch

Tür und Fenster strömten schwere Schwaden von Luft, und Sonne lag in breiten Flächen reinlich auf den Dielen.

Die Zeit verrann. Durchscheinend blau sank eine Blüte aus einem Strauß voll Rittersporn. Insekten summten. Immer tiefer ward ich eingesponnen in die Musik der Worte, die unverständlich an meinem Ohr vorüberfielen. Das Antlitz des Freundes schien mir entrückt, gelöst und unsagbar verwandelt. Wie nie zuvor berührte midi die Ähnlichkeit der Züge, auf denen ein Widerschein ewiger Kindheit lag. Die Rede der Greisin ging lebhaft in einem hohen Singsang hin, wenn sie auch manchmal wie Stammeln klang, und war des öftern von Lachen unterbrochen. Der Freund sprach selten, ruhig und nur leise von Lächeln durchsonnt. Ich spürte tief im Herzen die Zartheit und Güte seiner fremden Worte und las aus seinem hingegebenen Lauschen die Reden der Alten wie eine ferne, wundersame Botschaft.

Es währte lange. Dennoch hätte ich ohne Ungeduld noch endlos warten mögen, um teilzuhaben am unverletzlichen Geheimnis dieser Zwiesprache. Aber der weiße Scheitel senkte sich mählich tiefer und das Geplauder floß immer stockender von den verwelkten Lippen. In den Pausen dazwischen schwieg nun auch M., die Stirne in seine Hand gestützt, nur seine Augen redeten weiter in der stummen Sprache der Liebe. Erst als die Greisin völlig eingenickt war, gab er mir das Zeichen zum Aufbruch.

Wir gingen geraume Weile nebeneinander her, ehe er sich mit einem Ausdruck an mich wandte, als sänne er noch immer der versiegten Stimme nach. „Sie ist schon sehr weit fort und kaum der eigenen Sprache mehr mächtig“, sagte er voll milder Trauer. „Immer wieder verliert sie den Zusammenhang und alle Bilder treten ihr zeitentbunden vor den innern Blick. Ich helfe ihr da und dort zerrissene Fäden knüpfen, doch meistens erkenn ich nicht, wie sie sich aneinanderfügen. Vieles ist ihr entfallen, so das Wort für Bruder. Sie nennt ihn nun: Sohn des Vaters. Ihre Umschreibungen sind seltsam, doch selbst noch im Verworrenen fast feierlich und schön, als wäre sie auf dem Wege nach einer tieferen Sprache, zu der wir noch keinen Zugang haben, weil uns die Weisheit der Einfalt fehlt. Aber es tut ihr wohl, wenn manchmal einer zuhört, und mich ergreift's, wie wenn aus alten Brunnen das Leben der verschütteten Quellen lallt.“

Es hat mich bei anderm Anlaß und mit anderem Ergebnis wohl manches im Innersten nicht minder stark bewegt. Doch niemals vorher noch nachher schien mir das Wesen des Gesprächs reiner erfüllt als in jener Stunde geheimnisvoller Stillung zwischen Ahnin und EnkeL

Denn wie hoch der Geist den Flug der Worte und Gedanken auch wählen mag, vollendet wird alles erst durch Liebe.

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