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Das Gespräch kam in Gang

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Der Brief unseres spanischen Mitarbeiters, schon geschrieben in der Hoffnung auf den am 4. d. erfolgten Beschluß der Generalversammlung der UNO, der Aufhebung der gegen Spanien seit fünf Jahren bestandenen Diskriminierung als faschistischer Staat, gibt Einsicht in die psychologische Vorbereitung des jetzigen vielsagenden Ereignisses. „Die Furche“

Vor länger als Jahresfrist sprach Spaniens Staatschef in der ersten Erbitterung über die unschlüssige Haltung der drei westlichen Großmächte, die sich bei der Abstimmung über die staatsrechtliche Rehabilitierung Spaniens im Mai 1949 in der Organisation der Vereinten Nationen der Stimme enthalten hatten, die bekannten Worte, daß die „neuen Marksteine“ der spanischen Politik die Hinneigung zu den amerikanischen und arabischen Völkern sein werde. Das geflügelte Wort von dem Spanien, das „mit dem Rücken zu Europa“ lebt, schfen wieder Geltung zu erhalten. Seitdem hat sich manches südlich der Pyrenäen geändert.

Um es gleich zu sagen: Francos Sym-paihieerklärung an Lateinamerika und die arabische Welt fand im praktischen Erfolg zunächst nur streckenweise Ausdruck. Europa aber und Nordamerika begannen gerade nach jener Klage Francos, Spanien gleichsam neu zu entdecken, und haben es fertiggebracht, in der kurzen Frist von weniger als zwei Jahren dem Lande Cervantes sehr deutlich zu Bewußtsein zu bringen, wohin es gehört.

Es ist interessant, am Falle Spaniens festzustellen, wie segensreich es ist, wenn die Menschen verschiedener Nationalitäten wieder in Scharen über geöffnete Grenzen strömen, sich sehen, sich sprechen, sich kennenlernen können. Wer Jahrzehnte in diesem Lande gelebt hat und aufmerksam alles verfolgte, was in und um Spanien vorging, der fühlte oft selbst die große Leere, die dieses Land von der Welt trennte.

Als 1945 der Krieg endete, erblickte Spanien jenseits seiner Grenzen gleichsam die Rücken der Nationen, die um den zu Boden geschmetterten Feind standen, und als sich der Knäuel auflöste, galten nur eisige Blicke dem Abseitsstehenden, der fassungslos auf die Trümmer des Kontinents schaute, der ihm Leben und Sinn seines Lebens bedeutete. Denn wenn Spanien auch eine neue Welt entdeckte, so doch nicht für sich, sondern für Europa. Europa ist letzten Endes immer das hohe Ideal Spaniens. Für Europas letztes Bollwerk hält es sich, seit jenes die Integrität seines Seins im unverfälschten Christentum aufgab. Und trotzdem, spät, scheint Spanien bereits die Realität eines neuerwachenden christlichen Europas unter verschiedenen Vorzeichen anerkennen zu wollen. Dieser Gedanke spricht aus jenem überraschend anmutenden Vorschlag eines spanischen Delegierten beim Kongreß für internationale intellektuelle Zusammenarbeit in Madrid, das Wort „Europa“ durch den Ausdruck „Christenheit“ zu ersetzen. Das ist die „vehementia cordis“, die schon Plinius den Spaniern nachsagte.

Spanien denkt und spricht jetzt wie eh in Kontinenten, durchdenkt Probleme, die weit über Europas Grenzen Widerhall finden. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg, noch in den Jahren schmerzlichster Isolierung, bietet es katholischen Denkern aus Europa und Amerika Gelegenheit, in San Sebastian zusammenzukommen, um, umgeben von der Grabesstille verblichener nationaler Ambitionen, von jenen Dingen zu sprechen, an denen Spanien direkt noch nicht beteiligt sein konnte. Spanische Philosophen und Theologen diskutieren mit einem d e 1 a P r a-d e 11 e, mit Abbe Berrar, Chavaz, Lefevre, mit einem Pater Bosc, Canavan, Keldany, Braun, mit Mr. Derrick, Leclercq, Mertens, M o 1 i t o r, mit einem Prof. Sciacca, Liebeskind, mit Dr. P 1 i n 1 o Saigado, mit Moni. GonfilTti und

• Wenn ein Spanlsr von Amerika ipridht, meint er zunächst Südamerika. D. V. einer langen Reihe anderer katholischer Persönlichkeiten von diesseits und jenseits des Atlantik und des Roten Meeres — und in der Reihe fehlten auch Österreicher, Deutsche, Tschechen und Jugoslawen nicht — über Probleme wie die „Deklaration der Menschenrechte“, die „Neue Ordnung“, die „Christlichen Grundlagen eines vereinten Europas“, jährliche Gespräche, die von einem vorwiegend katholisch-christlichen Standpunkt aus die Anliegen prüfen, mit denen sich die Vereinten Nationen und deren Studienkommissionen manchmal auf eine Weise befassen, mit der die katholische Kirche nicht vorbehaltlos übereinstimmen kann.

Schien es Jahre hindurch, als sei diese „Katholische UNO“, wie diese Gespräche manchmal nicht sehr glücklich in Spanien genannt werden, das einzige geistige Band Spaniens zur Nachkriegswelt so erweckten doch die im Verlauf des letzten Jahrfünfts in der Weltöffentlichkeit, vor allem vor den UN und im amerikanischen Senat, zeitweilig in temperamentvoller Leidenschaft geführten Diskussionen um Spanien in vielen Menschen — vom einfachen Reisenden, der sich aus dem Augenschein sein Urteil bilden will, bis zum verantwortungsbewußten Politiker und Publizisten — ein gesteigertes Interesse an Spanien, seinem Volk und seiner Regierung. Die Voraussetzung zu einer Rückführung Spaniens in die Familie der Völker ist damit gegeben: die Welt ist zu Spanien gekommen. Nicht die Diskriminierung durch die UN, nicht der diplomatische und wirtschaftliche Boykott, nicht Versprechungen konnten den spanischen Hidalgo zu Zugeständnissen bewegen. Zu einem Spanier muß man hingehen, sich mit ihm an einen Tisch setzen, sich von ihm freihalten lassen, und dann, wenn man auf dem Umweg über hundert belanglose Dinge mit ihm „ins Gespräch gekommen“ ist, wird man all das erreichen, was man nie erlangt, wenn man es ihm brüsk abzunötigen versucht. Die Konversation, das populäre „palique“, das „Palaver“, ist eine Kunst, die in diesem Lande ganz besonders gepflegt wird. Kein Ausländer, der sich hier niederläßt, wird je auf einen grünen Zweig kommen, wenn er nicht zu einem Virtuosen in dieser Kunst wird, die von den „schweigsamen, traurigen Völkern des Nordens“ verachtet wird. Ohne das „palique“ eine von seiner

Idee Besessenen,: eines ruhelosen, enttäuschten Wandeiers aus Genua mit einem Franziskanermönch vor einer Taverne La Rabidas unterm Sonnenglast Südspaniens, wäre Amerika vor 450 Jahren nicht entdeckt worden. In England, in Frankreich erreichte Kolumbus mit der

Uberzeugungskraft seiner Rede nicht. Alles aber von den Spaniern, mit denen er wahre • Titanenschlachten der Beredtheit ausfocht, man denke nur an Alcalä de Henares, an Salamanca und Santa Fe.

Die Unterhaltung der Welt mit Spanien ist in Gang gekommen. Die Berichte berufener Beobachter, die voriges Jahr und zumal heuer ins Land kamen, spiegeln die Überzeugungen wider, die sie in ihren Begegnungen mit Spaniern gewannen. Gewiß, die erste Volksbefragung nach dem Bürgerkrieg war ein mißglückter Selbstbetrug; Wahlen in die Cortes, die Landesdeputationen, die Syndikate — es gibt doch keine geeigneten Formeln, sie so, wie sie durchgeführt werden, als „demokratisch“ zu erklären; Liberalisierung des Wirtschaftslebens, Kompromisse, Widerstände, . Bedenken, Halblösungen sind zu verzeichnen. Franco — sein Name ist in der Welt

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