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„Das Grab mußte nicht leer gewesen sein“

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Hans Kessler, Professor an der „Johann-Wolfgang- Goethe-Universität“ in Frankfurt am Main, sprach bei den „63. Salzburger Hochschulwochen“ über „Kreuz und Auferstehung“.

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Hans Kessler, Professor an der „Johann-Wolfgang- Goethe-Universität“ in Frankfurt am Main, sprach bei den „63. Salzburger Hochschulwochen“ über „Kreuz und Auferstehung“.

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DIEFL'RCHE: Wurde der Mensch. Jesus von Nazaret am Kreuz geopfert?

HANS KESSLER: „Gott wurde beleidigt - er verlangt ein Opfer; sein Recht wurde verletzt - er verlangt Satisfaktion. Diese Satisfaktion konnte aber kein Mensch erbringen, nur der Gott-Mensch Jesu.“ Diese Sicht vom Opfertod Jesu hängt damit zusammen, daß in der westlichen Theologie Unheil mit Schuld und Sünde verknüpft wurde und nicht mit Vergänglichkeit wie im Osten: Schuld und Sünde wurden gesehen als Ungehorsam gegen Gott und diese Verletzung der göttlichen Ordnung mußte gesühnt werden. In dieser Tradition steht zum Beispiel Tertullian, der betont, Jesus sei nur gekommen, um zu sterben. Bei dieser Fixiertheit auf das Ende Jesu, seinen Tod am Kreuz, wird aber der Gedanke an das Heil vernachlässigt.

Der Tod Jesu als Opfer? Das kann nicht heißen, daß die, die Jesus töteten, ihn einem zürnenden Gott geopfert haben. Jesus hat sich auch nicht selbst dem zürnenden Vater geopfert. So darf sein Tod nicht als „Opfer“ gesehen werden.

Aber in anderer Hinsicht ist Jesu Tod sehr wohl ein Opfer: Jesus hat sich zum Opfer von den Menschen gemacht, die ihn umbrachten. Und er hat dies mit der innerlichen Haltung erfüllt, sich hinzugeben, für die vielen, denen er das Heil offenhalten wollte. So hat Jesus sich selbst geopfert, sich hingegeben. Er ist den Weg in den Tod frei gegangen. Er hätte sonst seine Sendung, die Botschaft verraten, daß Gott auch die Ausgegrenzten in sein Heil aufnimmt.

DIEFURCHE: Warum dann der Schrei am Kreuz: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

KESSLER: Das war ein Schrei der Klage. Jesus fühlte sich am Ende subjektiv auch von Gott verlassen. Er mußte vielleicht auch mit dem Fluchtod am Kreuz ringen, mußte sich fragen: „Bin ich jetzt von Gott verflucht?“ Dennoch hat er sich auch in dieser Verlassenheit an Gott angeklammert. Hat sich in äußerster Not in das Vertrauen hinübergebetet.

DIEFURCHE: „Hinüber“ in das Vertrauen auf die Auferstehung?

KESSLER: Was das Verständnis von Auferstehung betrifft, vertrete ich einen Weg jenseits von Fundamentalismus und Rationalismus. Für Fundamentalisten muß das Grab leer gewesen, der Leichnam wiederbelebt worden sein. Die Erscheinungen des Auferstandenen wurden massiv sinnenfällig gesehen: Er muß mit ihnen gegessen, Thomas mußte ihn berührt haben. Aber diese Sicht wird durch die neutestamentlichen Texte selbst infrage gestellt, durch die Dialektik von „berührt mich“ und „rührt mich nicht an“. Die Begegnung mit dem Auferstandenen war anders als massiv-handgreiflich.

Der Rationalismus kämpft gegen diese blutig-wörtlich verstandene Sicht von Auferstehung. Rationalisten wie etwa Gerd Lüdemann, lehnen diese „handgreifliche“ Sicht ab. Vertreter dieser Position meinen, es hat sich nur etwas in der Innerlichkeit der Jünger abgespielt.

Aber beide Positionen merken gar nicht, daß diese Vorgänge nicht als fotografierbares Geschehen gesehen werden dürfen. Es sind vielmehr Bilder, die nicht eine Rückkehr ins Irdische, sondern in eine andere Wirklichkeit beschreiben. Gemeint ist eine Bildrede: Gott hat das für die Zukunft Erhoffte an Jesus Wirklichkeit werden lassen.

DIEFURCHE: „Er ist, leibhaftig' auf erstanden. “ - Was bedeutet das?

KESSLER: Dazu muß man zuerst fragen: Was meint die Bibel mit „Leib“. Gemeint ist nicht der physische, materielle Körper. Bei Paulus ist die ganze Person, in ihrer Beziehung zu ihrer Welt, zu ihren Mitgeschöpfen gemeint. Gemeint ist nicht nur der materielle Körper - obwohl die Beziehung zur Materialität natürlich auch gegeben ist.

Es muß also nicht der Leichnam wiederbelebt werden. Auferstehung ist nicht eine „Lebendig-Machung“. Sie ist vielmehr der Übergang in die endgültige Daseinsform bei Gott. Bei Paulus steht die Identität im Zentrum.

Die Identität der Person ist nach der Auferstehung gegeben, aber in einer anderen Weise: Das Verwesliche kann die Unverweslichkeit nicht erben.

Die Person darf ganz sie selbst bleiben: Sie ist keine „Ersatzperson“, kein Doppelgänger. Aber sie darf doch ganz anders werden — so wie Gott sie wollte. Die Person wird in der Auferstehung gerettet, geheilt und vollendet. Beziehungen, die ihr nicht gelungen sind oder denen sie sich verweigert hat, aber auch positive Beziehungen werden vollendet. Die Beziehung zum Leichnam im Grab muß nicht sein. Diese Beziehung wird entgrenzt, offen zur ganzen Schöpfung. Auferstehung ist ein reales Geschehen, aber nicht empirisch nachvollziehbar. Der Auferstehungsvorgang ist nicht darstellbar. Eine Fernsehkamera in der Gra- beskammer hätte nichts aufgenommen. Auferstehung ist ein Mysterium, eine Glaubensaussage.

DIEFURCHE: Mußte das Grab Jesu also leer sein?

KESSLER: Das Grab mußte aus dieser Sicht des Glaubens nicht leer sein. Es wäre kein Einwand gegen die Auferstehung Jesu, wenn der Leichnam im Grab geblieben wäre. Diese Frage ist für den Osterglauben nicht relevant.

DIEFURCHE: Wie ist der Auferstandene heute gegenwärtig?

KESSLER: In den Evangelien, in der Gemeinschaft derer, die in seinem Namen versammelt sind und in den Geringsten und Geplagten dieser Erde. In ihnen wartet er auf unsere Taten der Barmherzigkeit.

DIEFURCHE: Wie kann der Glaube an die Auferstehung vermittelt werden? KESSLER: Dieser Glaube hängt am Wirklichkeits- und Gottesverständnis des einzelnen. Wenn man nicht bereit ist, etwas anzunehmen, das diese Welt übersteigt, kann man auch den Glauben an die Auferstehung nicht annehmen.

Das Gespräch

führte Heidemarie Kiabacher

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