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Das große Abenteuer

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Gespannt verfolgt die Welt die Bemühungen um Eindämmung des palästinensischen Konflikt, angesichts der Gefahr, der Krieg im Heiligen Lande könnte sich durch eine Fehlschaltung in dem heute so überempfindlichen Mechanismus internationaler Politik zum alles bedrohenden Weltbrand ausweiten. Und doch bildet die Auseinandersetzung zwischen den Staaten der Arabischen Liga ui)d den Zionisten nur eine hoffentlich bald überwundene Episode im Kräftespiel um den Naben Osten. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist die arabische Welt nunmehr in Bewegung und ihre Entwicklung in naher Zukunft birgt — wie die vor kurzen} erschienenen aufsehenerregenden „Erinnerungen” des Königs Abdullah von Transjordanien zeigen — noch ganz andere Überraschungen als die derzeit so kriegerisch in Erscheinung tretende panarabische Front, die in Wirklichkeit gar nicht so einheitlich ist. König Abdullah, Vorkämpfer eines großsyrischen Staates (Palästina, Syrien, Libanon und Transjordanien umfassend), ist eine markante Persönlichkeit und seine von englischen Freiwilligen organisierte Arabische Legion die modernste Armee des Nahen Ostens.

Hinter all den Männern und Ereignissen in Arabien erhebt sich der Riesenschatten eines gleich berühmten wie berüchtigten Mannes, der nach dem ersten Weltkriege bei der Gründung der neuen arabischen Staaten entscheidend mitbeteiligt war: T. E. L a w- rence. Er hat dem damaligen Scherif Abdullah und dessen Bruder, Scherif Feisal, zur Herrschaft in Transjordanien und im Irak verholfen. Als „Oberst Lawrence” oder „Lawrence von Arabien” ist er in die Geschichte unseres Jahrhunderts eingegangen. Sein Werk dauert und wächst sich aus ißs Ungeahnte, seinen Spuren folgen heute einige seiner Landsleute als militärische oder politische Berater arabischer Herrscher. Immer noch umgibt ein Nimbus des erregend Geheimnisvollen und Rätselhaften die Gestalt dieses Engländers irischer Herkunft, dessen Leben erst jetzt in seiner ganzen Größe und Problematik zu übersehen ist. Es war ein Existieren im Abenteuerlichen, durchwirkt von so glühendem und lauterem Geiste, daß es heute noch und nicht nur der Jugend Englands zum Vorbild dient.

Am Jesus-College in Oxford träumt der Archäologiestudent Lawrence davon, im Laufe seines Daseins den Anstoß zur Neugestaltung Asiens zu geben. Im Sommer 1910 erlebt er zum erstenmal den Orient. Drei Monate lang durchstreift er unter abenteuerlichen Entbehrungen Syrien auf den Spuren der Kreuzritter, lernt die untersten sozialen Schichten des Landes kennen und kehrt beim, tief beeindruckt von dem Zauber der Wüste und der Unberührtheit und dem Freiheitsfanatismus ihrer Völker, Bis zum Ausbruch des Weltkrieges beteiligt er sich unter zwei berühmten Archäologen an Ausgrabungen in Syrien und ÄgYpten. Er ist der typische Oxfordästhet, der da in einer Welt voll Schönheit und erlesener Kunst lebt, in deren Tempel sich Vergangenheit und Gegenwart auf vernünftige und zarte Weise mischen, eigentlich mehr Künstler als Gelehrter, von profundem Wissen, ungewöhnlicher Geistesklarheit und Phantasie, der sich ebenso erschöpfend über den Einfluß syrisch-griechischer Philosophie auf das frühe Christentum verbreiten, wie er aus einem Tonscherben Daseinsform und Geist einer untergegangenen Kultur erstehen lassen kann. Zu Beginn des Krieges wird der junge Archäologe in die Geographische Abteilung des Großen Generalstabes berufen. Zwei Jahre arbeitet er in der Kartenzentrale in Ägypen, leistet, mehr im Hintergrund, wertvolle Arbeit und verblüfft selbst Fachleute durch seine Vielseitigkeit und Findigkeit. Sein unheimliches Vermögen, alles objektiv zu sehen, das heißt Menschen und Dinge vollkommen dem Gesetz ihres Wesens gemäß zu behandeln, wird offenbar Aber dieser Leutnant Lawrence, von kleinen Gestalt und ganz unmilitärischem Äußeren mit blondem, wirrem Haarschopf und stahl blauen Augen, in seiner klugen, stets rücksichtsvollen und eher stillen Art, die bisweilen von einem koboldartigen Humor belebt wurde, läßt noch wenig von jenem Manne vermuten, der einige Monate später einen Aufstand entfesselt, durch den die ganze arabische Welt in Bewegung geraten sollte, deren Auswirkungen bis in unsere Tage zu verspüren sind.

Der noch nicht Dreißigjährige beginnt den Feldzug in der Wüste nicht anders als ein Künstler, der ein großes Epos plant. Er wählt sich seinen Helden in der Person des Scherifs Feisal und facht mit Hilfe einiger britischer Offiziere die örtliche Revolte der Westaraber gegen ihre türkischen Herren zu einer Volkserhebung an, die sich schließlich auf 2000 Kilometer, von Mekka bis Damaskus, ausbreitete. In wenigen Wochen eignet sich Lawrence fast alle für den Feldzug nötigen Kenntnisse und technischen Fertigkeiten an. Vom Rücken eines Kamels, in einheimischer Kleidung, befehligt der gar nicht robuste Mann seine Heerhaufen und hricht alle Rekorde arabischer Schnelligkeit und Ausdauer. Sein Mut grenzt an Tollkühnheit. Fiebernd auf dem Krankenlager, entwickelt er eine neue strategische Idee, welche die Schwächen der ihm zugeströmten Beduinenhorden, von denen er weiß, daß sie sich nie zu einer disziplinierten Truppe zusammenfügen lassen, in ihre Stärke verkehrt. Er zwingt die Türken, sich über ein ungeheures Gebiet zu zerstreuen und führt nun zwei Jahre lang mit seinen irregulären Truppen einen zermürbenden Kleinkrieg gegen den tapferen Gegner und seine einzige durch die Wüste führende Nachschublinie (die Hedschasbahn). Der Sieg der nachrückenden alliierten Hauptarmee war gesichert, die fünfhundertjährige Türkenherr-: schaft über die Araber damit zu Ende. Lawrence hatte den Völkern der Wüste dep Weg zur nationalen Freiheit gewiesen; die Araber waren nach” Jahrhunderten wieder ein Faktor geworden, mit dem die Welt rechnen mußte. Nach der Einnahme von Damaskus bewährt sich der inzwischen zum Obersten Beförderte nicht minder als Staatsmann und wirtschaftlicher Organisator. Ini kürzester Zeit schafft er die Grundlagen des neuen syrischen Staates, die immerhin einer zweijährigen Belastung standhielten. Schon beginnt rieh der Ruhm des Obersten Lawrence, „Fürsten von Damaskus”, über Asien zu verbreiten. Wer weiß, welchen Verlauf die Geschichte im Nahen und Mittleren Osten genommen hätte, wäre der Krieg nicht 1918 zu Ende gegangen. Wer weiß, vielleicht wäre Lawrence ein Jahr später, mit all den Rassen und Stämmen Kleinasiens im Gefolge, vor Konstantinopel erschienen. Er verhandelte bereits mit Mustafa Kemal und war für die Unterstützung der neuen türkischen Republik. Napoleons Jugendtraum von der Eroberung des Ostens hätte leicht von einem juftgen Manne verwirklicht werden können, „dem kaum eine Eigenschaft fehlte, aus denen Welteroberer gemacht sind”.

Auf dem wilden Hintergrund von Krieg und Revolution in Arabien hatte Lawrence staunend eine neue Persönlichkeit in sich entdeckt. Der kleine Körper barg schrecken- erregende Energien, die im großen historischen Augenblick gleich einer Naturgewalt hervorbrechen konnten. Das war die Macht, welche die Araber bis nach Damaskus geführt hatte. Als den Heimgekehrten wieder die küble Luft Londons und Oxfords umweht, löst sich die furchtbare Spannung, die zwei Jahre lang Körper, Nerven und Geist bis an die Grenzen des Erträglichen beansprucht hatte. Dem gewissenlosen Tatrnep- schen, dem Abenteurer, der „niemals jemanden geliebt oder fast niemals: nur Länder und Völker”, steht plötzlich der Mensch des feinsten Gewissens, der schonungslose Ankläger seiner selbst und der wortbrüchigen Welt gegenüber. „Was ich in Arabien getan habe, halte ich moralisch für unvertretbar”, schreibt er, sich selbst bezichtigend, an einen Freund. Lawrence hatte in Arabien böse Dinge ausführen oder mitansehen müssen. Er hatte mit eigenen Händen Minen gelegt und Truppentransporte in die Luft gesprengt. Er hatte Dörfer verwüstet und Menschen zu Tausenden hingemetzelt sterben sehen, ohne es verhindern zu können. Er batte alles durchlebt und durchlitten bis zur eigenen Auspeitschung durch den Feind. Nichts war ihm erspart geblieben. „Wenn jemals ein Mensch durch Übererfahrung bis zum Letzten ausgepreßt wurde, dann bin ich’s.” Das Gedächtnis einer überempfindlichen Seele und ein mit schneidender Wach-heit gerüsteter Geist vermögen solche Ding nicht dem Vergessen anheimzugeben. Auch wußte Lawrence um die Fülle Gottes in der Welt: „Wer lange genug in der Wüste gelebt hat, der wurde unweigerlich auf Gott zurückgeworfen als einzige Zuflucht und einzigen Rhythmus des Seins.” Aber es war ihm nicht gegeben, diese letzte und sicherste Zuflucht des Menschen als Wirklichkeit anzunehmen. Die Wüste blieb für ihn Spiegel- und Sinnbild der Welt. In äußerster Verlassenheit, bar jeder persönlichen Bindung und Sicherheit, mußte von ihm das Leben bewältigt werden. Lawrences Leben von seiner Rückkehr aus Arabien bis zu seinem jähen Tode ist ein einziger seelischer Reinigungsprozeß, ein erschütternder Kampf um das verlorengegangene Gleichgewicht seiner Seele. Er bereute es brennend, der Versuchung, aus Ehrgeiz und Leidenschaft eines großen Geistes das Außerordentliche zu vollbringen, erlegen zu sein.

Noch einmal tritt er aus seiner sorgsam gehüteten Verborgenheit hervor in die große politische Welt, um für die Erfüllung der den Arabern gegebenen Versprechungen zu kämpfen. Mit dem ganzen Einsatz seiner strahlenden überlegenen Persönlichkeit verteidigt er vor der Pariser Friedenskonferenz die Sache Feisals und der Araber; aber Syrien wird der Mandatsmacht Frankreich zugesprochen. Lawrence gibt nicht auf: 1921/22 übernimmt er unter Kolonialminister Churchill einen wichtigen Auftrag, geht nochmals nach Arabien, maßregelt, verhandelt, schlichtet, und kehrt schließlich nach England zurück mit der Genugtuung, daß sein Freund, Emir Feisal, zum König von Irak ausgerufen und dessen Bruder, Emir Abdullah, mit der Regierung in Transjor- danien betraut wird. „Das Werk ist getan und es wird daueap.” Dann zieht sich Lawrence, der schon vorher demonstrantiv sämtliche Auszeichnungen und jede Beförderung abgelehnt hat. endgültig von der verhaßten Politik und aus dem öffentlichen Leben zurück. Er muß „den Geschmack von Arabien aus seinem Munde loswerden” und gibt, in strenger Askese und Zurückgezogenheit lebend und schreibend, Rechenschaft über sein Tun. Es wird eine klassische DarStellung des Feldzuges, ein vollkommenes Bild der arabischen Welt und ein Sück schonungsloser Selbstdarstellung. 1926 erscheinen in einer beschränkten Subskriptionsaugabe „Die sieben Säulen der Weisheit”. „Als wir schließlich im Außenhafen von Jeddah Anker warfen, hing die weiße Stadt zwischen dem glühenden Himmel und seinem spiegelnden Widerschein, der über die weite Lagune rollte und schwankte; dann kam die Hitze Arabiens wie ein gezücktes Schwert über uns und schlug uns mit Stummheit” beginnt das Buch, das als Epos, symbolisch für die Größe und das Elend unseres Jahrhunderts, bestehen wird. Inzwischen ereignet sich etwas Beispielloses: „der geniale Stratege, der Mehrer von Englands Größe, der Königsmadier Arabiens, der Schöpfer der Landbrücke nach Indien” taucht unter in die Anonymität, legt seinen Namen ab und wird der einfache Soldat Shaw in der Fliegertruppe. Während die Welt voll ist von dem Ruhme des „Obersten Lawrence”, die Reporter aller Kontinente hinter ihm her jagen, die Regierungen von Spanisch- Marokko bis Indien hinter jedem Aufstand die Tätigkeit des „Überspions Lawrence” vermuten, macht der „Soldat Shaw” Küchen- oder Stubendienst, verwaltet ein Monturdepot oder steht Wache. Die freiwillige Unterordnung unter den Befehl anderer sollte Charakter und Willen rein erhalten, der tägliche Dienst den erschöpften Geist und Körper gesunden helfen. Dreizehn Jahre lang war er ein mustergültiger Untergebener, ein hilfsbereiter Kamerad, ein gütiger, selbstloser Mensch, der „durch sein bloße Anwesenheit Glück verbreitete”. Fast war er so weit! Er hatte in den letzten Jahren als Schriftsteller aber auch als technischer Konstrukteur namhafte, durch seine erbarmungslose Selbstkritik freilich absichtlich verkleinerte Erfolge gehabt und schien wieder fähig, seinen schöpferischen Geist in den Dienst einer großen Sache zu stellen. Wieviel hätte seine mächtige Vernunft zur Verbesserung einer Welt, „die sich blindgelogen hatte”, beitragen können! Da setzte im Mai 1935 ein Motorradunfall dem Leben des 46jährigen ein jähes Ende. Welch einem Leben!

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