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Das Happening von Sex und Crime

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Die Mordserie von Hollywood häjtte als Alarmzeichen verstanden werden müssen. Es reichte nur zur Sensation. Die Filmprominenz — und was zu ihr gehören möchte — überstürzte sich in Beteuerungen, „beinahe” auch zu den Toten gehört zu haben, emsig bemüht, noch aus Leichen Reklamekapital für sich selbst zu schlagen. Geschmacklosigkeit war wieder einmal Trumpf.

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Die Mordserie von Hollywood häjtte als Alarmzeichen verstanden werden müssen. Es reichte nur zur Sensation. Die Filmprominenz — und was zu ihr gehören möchte — überstürzte sich in Beteuerungen, „beinahe” auch zu den Toten gehört zu haben, emsig bemüht, noch aus Leichen Reklamekapital für sich selbst zu schlagen. Geschmacklosigkeit war wieder einmal Trumpf.

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Illustrierte und Sensationsblätter schwelgten. Der makabre Scherz des Schicksals, ausgerechnet die Gattin eines Regisseurs von Horrorfilmen — wenn auch des literarisch gehobenen Genres — einem Horrorverbrechen zum Opfer fallen zu lassen, wie es „besser” ihr Mann nicht hätte erfinden können, wurde als besondere Pikanterie weidlich ausgeschlächtet. Daß der Regisseur Roman Polanski unter diesem Schicksalsschlag seinen „eiskalten” Zynismus verlor Und gan2 altmodisch erschüttert war, daß er sogar für ein „ehrendes Angedenken” seiner Gattin zu sorgen trachtete, wurde ihm einigermaßen verübelt.

Durch die Prominenz einiger Opfer ragten die Morde von Hollywood über den kriminellen Alltag hinaus, sie sind aber leider kein isolierter Vorfall und daher mehr symptomatisch als sensationell. Fast zur gleichen Zeit wurde in Wien in einer Hietzinger Villa ein Doppelmord verübt, dem freilich „nur” ein schlichtes Drogistenehepaar zum Onfer fiel. Und kürzlich war der Mord in einer Botschaft zu Gast. Trotz der Unterschiede im „news value” liegen auch diese Verbrechen auf der gleichen Linie wie die Morde von Hollywood: In allen Fällen handelt es sich allem Anschein nach um sinnlose Verbrechen, nicht um , ge- winnorientierte” Untaten von Berufskriminellen, sondern um Verbrechen als Selbstzweck, ausgeführt von „Amateuren”.

Raubmorde waren alle drei Verbrechen der Hollywooder Mordserie nicht. Sollte es sich um Feme- oder Rachemorde handeln, so warfen zumindest zwei Fälle mit so vielen geradezu romanhaften „schmückenden” Details ausgestattet, daß es sich um keine professionellen Täter handeln dürfte. Beim Hietzinger Villenmord wieder war die Beute nicht der Rede wert, er war dilettantisch ausgeführt,, mehr um seiner, selbst als des Gewinnes willen unternommen.

Diese — fast möchte man sagen artistische — Kriminalität, dieses „Le crime pour Je crime” — von den Fachleuten mit ungewolltem Zynismus als Wohlstandskriminalität bezeichnet — nimmt heute immer mehr überhand. In Amerika werden ganze Gegenden von jugendlichen Schlägerbanden unsicher gemacht. Motorisiert und , keineswegs sozial unterprivilegiert „arbeiten” sie ,ohhe Gewinnmotiv, aus „reiner” Freude an der Brutalität. Ein Wiener Mittelschüler erklärte vor gar nicht langer Zeit stolz: „Ich wollte etwas total Sinnloses begehen”, als ihn der Untersuchungsrichter nach den Motiven des von ihm verübten Elternmordes fragte. Der literarisch versierte junge Mann hat damit die Mentalität des Wohlstandsverbrechertums mustergültig, exakt und lapidar zu formulieren verstanden.

„Literarischer” Mord

Das Furchtbare an dieser neuen Kriminalität ist ihre Spontaneität ihre Unkalkulierbarkeit. Sie ist nicht abgrenžbar und auf konventionelle Weise bekämpfbar, sie bricht überall auf. Dabei ist das sinnlose Verbrechen kaum noch Sache pathologischer Einzelgänger von Seltenheitswert, sondern hat beinahe schon epidemischen Charakter.

Gerade die Morde im Filmmilieu akzentuieren die literarische Komponente der Wohlstandskriminalität — literarisch im weitesten Sinn, inklusive Theater, Film, Rundfunk, Fernsehen, Presse. Man mag dem Hinweis auf diesen Konnex entgegenhalten, daß die Literatur — von Shakespeare bis Edgar Allan Poe, von den Moritaten bis zu Grimms Märchen, von Karl May bis Edgar Wallace — seit jeher Verbrechen darstellte, ohne daß die Leser zu Verbrechern wurden.

Die „toughness” der modernen Literatur — im Deutschen unzulänglich mit „Härte” übersetzt — ist etwas ganz anderes, als es die „harten” Passagen in alten Werken — zum Beispiel Shakespeares leichenreiche Dramenschlüsse — waren. Dort blieb Verbrechen die untergeordnete Funktion einer darüber hinausweisenden Aussage, heute ist sie Selbstzweck. Die präzise und bis zur Langeweile ausgewalzte Brutalität, wie wir sie beispielsweise in den Mondo-Cane- Filmen, in ,.Bonnie and Clyde” oder in Truman Capotes „In Cold Blood” vorgesetzt bekamen, war der früheren Horror- und Kriminalliteratur, ebenso wie den sozialkritischen

Schriften fremd. Der Wandel läßt sich besonders deutlich am Kriminalroman ablesen: Am Anfang stand Sherlock Holmes, der intellektuelle Detektiv, der den Verbrecher dank der Schärfe seines Verstandes besiegt, heute sind wir bei James Bond und Konsorten angelangt, brutalen Schlägertypen, die den Gegner niederboxen und abknallen.

Killer wie du und ich

Noch hinterhältiger als diese Pistolenoperetten sind Werke mit künstlerischen Ambitionen, die sich womöglich als Dokumentation deklarieren. Unter dem Deckmantel der Wertneutralität und emotionellen Uraterkühltheit wird der Verbrecher ungeniert glorifiziert und sentimen- talisiert. Es handelt sich dabei nicht mehr um den „edlen Räuber” vom Schlag eines Robin Hood oder Rinaldo Rinaldini, der in einer — gewiß anfechtbaren, aber in ihrer Weise wohlgemeinten — Privatjustiz die Bösen straft und den Armen hilft. Dem brutalen Killer von heute werden gar nicht erst edle Motive’unterschoben. Trotzdem wird er zum „Menschen wie du und ich”, der eben zufällig von Beruf Verbrecher und daher gezwungen ist, gelegentlich ein paar Mitmenschen zu „liquidieren”.

Wird aber erst das Verbrechen zur „normalen” Erscheinung, zum „legitimen” Protest gegen die Gesellschaft, so ist der Weg zu seiner Ästhetisierung nicht mehr weit. Der Mord wird zum Kunstwerk. Der Erzähler und die Kamera schwelgen in Brutalität, beschreiben sie pedantisch-minuziös in ambitionierter Auf- nahmetechnik, sichtlich bemüht um neue Kategorien der Ästhetik, um die Mobilisierung von Grauen und Ekel für eine „höhere” Art des Kunstgenusses. Das geschieht immer wieder zusammen mit einer raffinierten Amalgamierung miit dem Sexuellen.

Ein neues „Kriminalgefühl”

Am perfidesten ist „Sex and Crime” wohl dort, wo es auf geistreich und harmlos posiert, indem das Verbrechen als komisch dargestellt wird. Mit der Parodie auf das literarische Genre des Kriminalromans und so weiter hat das zumeist nichts mehr zu tun; es ist in der Mehrzahl der Fälle nichts anderes als eine „Humo- risierung” der Brutalität.

Ein solches ganz neues „Kriminali- tätsgefühl” wird noch dazu ausgerechnet in einer Zeit propagiert, die nicht die geringste Bereitschaft zur Abreaktion im Ersatzerlebnis besitzt. In unserer Epoche der Pharatasie- losigkeit und Sublimationgverweige- rung wird somit das Ersatzerlebnis zur Gebrauchsanweisung „umfunktioniert”.

Das Verwischen der Grenzen zwischen Kunst und Leben ist eines der modernen „Anliegen”. Die bildende Kunst sieht ihre Aufgabe zunehmend im Arrangement zweckentfremdeter Alltagsobjekte, die „Konkrete Literatur” manipuliert Banalfloskeln, liefert schriftstellerisches Rohmaterial, an dessen Verarbeitung das Publikum teil hat, im „Living Theatre” werden Verhaltensweisen „ritualisiert” und das Auditorium zum Mitmachen aufgefordert, und das Happening endlich stößt mitten hinein in die Realität, arrangiert diesseits der Rampe mehr oder minder extravagante Vorfälle. Im Happening kulminiert die Vitaliisierung der Kunst und die Artifizierung des Lebens — wobei, nicht Andeutungen und bloßer Klamauk intendiert sind, sondern „the real thing”, die Realisation vorwiegend tabuisierter Handlungen.

Die „Umfunktionierung” der BrutaM- tät zur Freizeitgestaltung von Schlägerbanden ist eigentlich nichts als die logische Konsequenz. Auch der Eltemmord des Wiener Mittelschülers muß zweifellos weitgehend vom Happening-Gedanken her verstanden werden. Ebenso wäre ein Mord wie der an der Schauspielerin Sharon Tate und ihren Freunden durchaus als Huldigung enragierter Polanski-Fans für ihr Idol vorstellbar. Die künstlerischen Tendenzen leisten der Realisierungsbesessenheit des modernen Menschen Vorschub, ja lösen sie aus.

Diese unbestreitbaren Zusammenhänge fordern kategorisch ein Neu- überdenken der literarischen Konzepte — dies um so mehr, als sich die moderne Literatur vorwiegend als engagiert verstanden wissen will, als Engagement für eine bessere Menschheit in einer besseren Welt.

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