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Das Haus

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Um Mitternacht begann es zu reden. — Erst unerhörbar, dann wie seufzende Klage, die einem mählichen Erwachen aus langem Schlafe folgt. Aber in dem Maße des einmal erhobenen Wortes, wuchsen die Stimmen merklich und immer stärker schwellend zu einem tönenden Chor, der es vom Boden bis zum First zu füllen anhub.

Ich bin ein Haus! tönte es aus dem Ge- . wänd. Als man mich baute, setzte einer den ersten Stein im Namen der ewigen Vorsehung. Mein Firstbaum flatterte grün und bebändert und der Tag des Einzuges war ein lauter festlicher Tag. Verheißung und Glück standen auf meinem Giebel.

Ich habe viel gesehen innert meiner Fenster. Ich habe nicht minder aus meinen Scheiben geschaut auf das Land, die Äcker, die Wiesen, die Menschen. Ja, es waren Menschen, die mich-genommen zu Wohnung und Werkstatt, Menschen, die von Glück träumten, die kamen und gingen. Abschied lag manchmal über ihnen, schwer wie dunkle Wolken, Abschied für Zeit und Ewigkeit. Ich habe über all die Jahre stumm geschwiegen. Niemand fragte um meinen innigsten Wunsch, der Friede hieß — Friede, Freude und die geruhsame gütige Stille der Stunde. Was ich ertragen an Last?! Ich bin darüber müde geworden — vielleicht auch alt. Denn Einsamkeit macht alt. Und bevor ich mich hinlege, selber unnütz und unbrauchbar zu fernerem Schutz und Schirm für Menschen und Gut, erhebe ich einmal meine Stimme.

Gewiß, es geziemt mir nicht und steht mir nicht an, zu klagen, zu warnen, zu mahnen oder gar zu fordern. Denn ich bin nichts weiter als ein Haus, ein Stück Erde, Ziegel, Stein und Hölz, zusammengefügt und ersonnen, geschaffen, nicht selber schöpferisch aus eigener Kraft, aus eigener Macht, aus eigenem Willen. Immer nur zu Dienst, zu demütigem Dienst lebend, und gerne bereit, die Last zu tragen, die Last des Schnees, das Heulen des Sturmes, die Ruten des Regens, den Schlag der Schauer. Wie gering war diese Last gegenüber der anderen: die zu ertragen, die mich im Namen des Segens erbauten, aber im Zeichen des Fluches bewohnten; die Liebe heuchelten Und Haß gaben, Reinheit vortäuschten und meine Räume mit Unfalt und Unsauberkeit schändeten. Daß ich besudelt und schmutzig ward.

Ja, auch ein Haus kann geschändet werden in seiner Ehre, in seinem Herzen, in seinem Kern — in seiner Weihe!!

Habt ihr dies nie bedacht?! War euch das Feuer meines Herdes nie geheiligt, die Sorgfalt meines Daches nie vertraut?

Ich habe den Blitz geschaut und das Toben der Donner bebte durch mein Gefüge. Aber es war ein göttliches großes Zürnen, ein gerechtes, und ich bin darob demütig und verschont geblieben. Der Blitz eurer Flüche aber traf greller, erbarmungsloser. Er versehrte mich, begann mich mählich zu zerbrechen.

Nein! — Ich will nicht nur anklagen in dieser Stunde, die mich wie ein Schauer nahenden Todes anfällt. Ich will mich besinnen anderer Stunden, die ein Wiegenlied sangen, der Stunden, in denen Friede durch meine Räume schritt und der kleine weinende Ruf eines neuen Lebens in meinen Wänden umherwanderte. Ich will mich der erlauchten Wohltat dieses Friedens besinnen und diese Stunden scheidend segnen.

Ich ersehne noch einmal die Süße der Zweige zu atmen, die ein guter Baum mir schenkte, dem Glockenchor der Bienen zu lauschen, die um das Gebälk schwirrten, und den sanften Stimmen des Stalles, die mich beglückten. Ich will noch einmal den strömenden Duft des Heus erfahren, der meine Scheunen füllte, und das Geheimnis der Erde, die mich noch trägt, die mich Jahrhunderte trug.

Einst stand ein Spruchsegen in meinen Balken. Es war ein guter Segen. Ich gewahrte seine Kraft über den Menschen, die ihn verstanden. Er schimmerte über meinen Scheitel. Bis er zu verblassen begann, vorerst in ihren Herzen. Da sie seine Linien nicht mehr nachzogen, wurde er unnütz, verstaubt, lächerlich. Er welkte hin und starb. Ich fühlte, daß er auch mich verlassen hatte.

Was habe ich, ein altes morsches Haus, ein dienendes armes Haus, schon und noch zu sagen? Es bleibt mir eines: mich auf das Vergängliche zu besinnen und zu bereiten. Sah ich es nicht schon auf mich kommen? In meinen Kammern verknisterten Kerzen des Todes. Seine kalte Nähe trat über meine Schwelle. Ein Mensch ging von mir, vielleicht einer der wenigen, der mir gut war. Ich hab gewacht viele Nächte, da alle schliefen, denen ich Raum war und Obdach bot. Mond goß sein Licht in meine Winkel, Sterne wanderten über mich hinweg, die Nacht stand groß vor mir. Der Wind fing sich in meinen Schindeln. Er riß an meinem Gemäuer, ein toller, übermütiger Gesell, dem es nie ernst um ein gutes Gespräch, um ein stilles Ausruhen war. Auch der Quell vor meinen Füßen kannte keine Rast. Er eilte, seine herbe Jugend in das Tal .zu tragen.

Nur .der alte wunderliche Brunnen schwätzte aus seiner Holzröhre das gleiche Zeug immer wieder vor sich hin. Er konnte wohl kaum mehr Zeit und Menschen begreifen und verstehen und spann sich in die Erinnerung alter, längst versunkener Tage. Dem Vieh gab er die Tränke willig und gern wie ein Vater.

Manchmal träumte ich in aller Bewegtheit um mich von stiller Rast. Ach, Rast! Kamen nicht auch Wanderer zu mir, mit fremden, fernen Augen, mit fahndenden Augen und bittender Gebärde und unansehnlich nach außen, herbergsuchend wie alle, die um kein Haus und Dach wissen. Kamen mit dem Staub großer Fahrt an den Füßen und dem Hunger der Seele im Blick. Ihre Hände hoben sich um eine Gabe. Diese leeren Hände trugen die Bitte um Brot wie ein heiliges Gefäß. Wird sie ihnen gewährt? Mußte nicht mein Tor ohne meinen Willen sich verschließen, daß sie noch ärmer und fremder ins Leere, gleichsam Uferlose starrten, bevor sie ihre Fetzenbündel hoben und ihre Finger zum knotigen Stock griffen?

Oh, da war der alte Spruchsegen jäh erloschen. Es war nichts als Leid in mir, ohnmächtiges, gewaltiges Leid und Mitleiden. Ich trug mein Firstkreuz nicht mehr als Segen und Heilsfahne, nein, es brannte auf mir, ein Zeichen der Anklage und Lüge.

Und wieder kamen andere mit letztem Hab und Gut, boten es dar als kostbaren Schatz ihrer Erinnerung und einstigen Besitzes, den sie hinreichten, noch einmal darüberstreichend im stummen, beschämten Schmerz der Trennung. Den sie hinreichten, opferten, um das zwingendere Gebot des hungernden Leibes zu erfüllen.

Ich nahm es auf, das Letzte von vielen, mußte es hinnehmen, willenlos und ohne Schrei der Empörung. Aber es konnte mich nicht froh machen. Es vermochte nicht den Widersinn der Welt zu decken. So wurde und wuchs es immer mehr in mir zu einer einzigen Last. Zwecklos lag es da in einem meiner dunklen Winkel, nur um Sinnlosigkeit und Dunkel zu mehren. War es mehr als eine Hortung für Staub und Motten, für Rost und Diebe?

So zehrte dies alles am Mark meines Bestandes. Wohin es führte? Meine Firstglocke ist stumm geworden, meine Ställe sind öd und verlassen, meine Ecken leer und einsam. Wohl nisten noch die Schwalben an meiner Brust, die letzten unbeirrbar treuen. Ihnen werde ich den größten Kummer bereiten, wenn mein First niederbrechen und mein Gebälk verfaulen wird. Sie haben dann keine Heimstatt mehr. Ich werde sterben, ohne Liebe. Das ist das Bitterste. —

Das Haus schwieg.

Einmal kehrten die Schwalben wieder. Frühlingstrunken brachen sie aus dem Süden ins Land. Sie irrten lange in einer unfaßbaren Ratlosigkeit über dem vertrauten Fleck umher, über tote Steine und morsches Holz. Sie konnten wohl nicht fassen, daß ihr Haus in Trümmern lag.

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