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Das hintergrundige menschliche Herz

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Meine Rache ist anders. Roman. Von Roger Bellarmin. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. 292 Seiten. Preis 58 S. - Der Berg der Versuchung. Roman. Von Henri Troyat. Aus dem Französischen übersetzt von Otto v. Taube. Nymphenburger Verlagsanstalt, München. 200 Seiten.Preis 9.80 DM

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Meine Rache ist anders. Roman. Von Roger Bellarmin. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. 292 Seiten. Preis 58 S. - Der Berg der Versuchung. Roman. Von Henri Troyat. Aus dem Französischen übersetzt von Otto v. Taube. Nymphenburger Verlagsanstalt, München. 200 Seiten.Preis 9.80 DM

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Graham Greene hat den Detektivroman mit religiösem Hintergrund in die Literatur eingeführt. Bellarmins „Meine Rache ist anders“ gehört in diese Kategorie. Im Rahmen einer spannungsreichen und routiniert erzählten Kriminalgeschichte geht es ihm letztlich darum, den Menschen in der Entscheidung zwischen Gott und Satan zu zeigen, und um das Problem eines christlichen Lebens mitten in der Welt mit ihrer Unruhe und ihrer Sündhaftigkeit.

Das Buch beginnt mit einem unabwendbaren Verhängnis: Der Ingenieur Norbert Siron, der mit dem zweiten Gesicht begabt ist, sieht den Absturz eines Flugzeuges voraus, den er nicht zu verhindern vermag; er ist der einzige Ueberlebende der Katastrophe und gerät durch seine Rettung mit einem Menschen in Beziehung, dessen Dämonie und willentliche Hingabe an das Böse seine gesamte Umwelt in Gefahr bringt. Dieser Leon versucht, Siron zu beseitigen, versucht, den gelähmten Knaben Mar-tinus in den Selbstmord zu treiben, und schließlich ermordet er dessen Schwester Antonia, als sie seinem Einfluß nicht mehr zugänglich ist. Sirons Erhebungen um diesen Mord und die Begegnung mit dem Mörder, den er schließlich laufen läßt — von Leon, der nach der Tat ein anderer geworden ist, wird das als „perfekte Rache“ gedeutet: „Sie liefern mich aus... meinem Gewissen aus“ —, gehören zu den spannendsten Teilen des Buches. Und hier wird auch die Hintergründigkeit des Geschehens besonders klar. Denn nun zeigt sich — anders als etwa bei Elisabeth Langgässer, in deren Romanen „in der Zeitlichkeit stets das Böse über das Gute den Sieg davonträgt“ — die unerwartete Folge der bösen Tat. Von dem Mörder wird angedeutet, daß er nach Indien geht, um Leprakranke zu betreuen; Martinus, dem er seine sehr geliebte Schwester genommen hat, denkt nicht an Rache und Bestrafung, sondern betet für den Mörder. Und Siron schließlich findet nun endlich zu dem wahrhaft christlichen Leben, mit dem er sich vorher gedanklich so lange auseinandergesetzt hat, ohne daß er vermochte, es in die Tat umzusetzen.

Die Einfügung von Zwischenbemerkungen vor den einzelnen Kapiteln, Gedanken großer Denker und Dichter, die mit dem Geschehen in Beziehung stehen, halten wir nicht für glücklich. Bellarmin hätte sie gar nicht gebraucht, da er über genügend gestalterische Kraft verfügt, um den Sinn seines Buches an der Handlung selbst zu verdeutlichen.

Der Absturz eines Flugzeuges, das Motiv, das für Bellarmin zum Ausgangspunkt seines Romans wird,steht in, einem Buch des Franzosen Henri Troyat, „Der Berg der Versuchung“, im Mittelpunkt der Handlung; ja, es ist eigentlich das einzige gewichtige Geschehnis überhaupt, an dem die Untiefen des menschlichen Herzens sichtbar werden. Freilich kommt Troyat zu anderen Konsequenzen als Bellarmin. Bei ihm wird der Mensch wieder zur Kreatur, aller verdeckenden Hüllen entkleidet, den Gewalten der Natur und seiner Triebe ausgeliefert, auch da noch, wo er ihnen Mitleid und Liebe entgegensetzt.

Troyat entwickelt die Beziehungen zweier Brüder zueinander, die in einem Hochgebirgstal leben, das durch den Absturz eines Flugzeuges über einem nahen Berg aus seiner Ruhe aufgestört wird. Da ist die stille Welt Isaies, eines früheren Bergführers, der, bei einem Bergunglück schwer verletzt und von Erinnerungen an den Tod dreier Schutzbefohlenen bedrängt, seinen Beruf aufgegeben hat. Das Haus seiner Väter, seine Schafe und vor allem sein Bruder Marcellin — das ist nun sein Leben, dessen Ruhe Marcellin bedroht, ein unsteter, fauler und gieriger Gesell. Sein Plan, das alte Haus zu verkaufen, um sich ein Leben in der Stadt aufzubauen, deckt zum erstenmal die Kluft zwischen den Brüdern auf und scheitert an Isaies Widerstand. Aber Marcellins Drängen, mit dem Bruder den Unglücksberg zu besteigen, gibt er nach. Marcellins widerlicher Raub an den Toten bringt Isaie schließlich zur Besinnung. Und er wird vollends er selber, als sie in dem Flugzeugwrack eine lebende Frau finden. Jetzt weiß Isaie, daß dieses ganze grausige Unternehmen kein Zufall ist, daß er eine Aufgabe hat: die Rettung jenes schon fast ausgelöschten Lebens. Marcellin, sein Bruder, den er liebte mit der Kraft und Einfalt seines kindlichen Herzens, wird unwichtig, als das Unternehmen seine Fremdheit aufdeckt, und schließlich, als er sich um seiner eigenen dunklen Absichten wegen der Rettung entgegenstellt, zum Feind. „Ein Dieb, ein Mörder bist du, du hast eine böse Seele. Du verdienst nicht, auf der Welt zu sein . . “ Der Absturz dieses nun ganz fremd gewordenen Wesen befreit Isaie von etwas Lästigem. Ungerührt geht er den halsbrecherischen Weg, allein mit seiner kostbaren Last, deren Leben er doch nicht zu retten vermag.

Eine unerbittliche, schreckliche Großartigkeit ' ist in diesem Buch. Sprache und Bilder sind, dem Geschehen angepaßt, von archaischer Härte, Klarheit und Einfachheit. Ein Buch aus einem Guß und von seltener Eindringlichkeit.

Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe.Herausgegeben vor, Hermann D o 11 i n g e r. Alfred Kiöner Verlag, Stuttgart. Taschenausgabe Band 197.

In seinem Vorwort zählt Hermann Dollinger die durchaus plausiblen Erwägungen auf, die ihn bewogen haben, diesen Briefwechsel auf ein Drittel des Umfangs der ungekürzten Ausgaben zu reduzieren. Vor allem beabsichtigte der Herausgeber diesen unschätzbaren Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte auf diese Weise zu popularisieren, da, wie er feststellt, „die Fülle tagesgebundener, längst unwichtig gewordener und kaum noch dem Spezialisten verständlicher Einzelheiten, die darin den bedeutsamen Inhalt sonst überwuchern“. Möge nun trotz dieser überzeugenden Erklärung einer oder der andere allzu gewissenhafte Verehrer Schillers oder Goethes von einem Mangel an Pietät sprechen, so sei ihm erwidert, daß die vorliegende Ausgabe den Vorteil hat, den Leser nicht durch Alltägliches zu ermüden und ihm nur das Wesentliche vermittelt. Auf diese Weise tritt, wie Schiller am 24. Jänner 1797 sagt, „der radikale Unterschied unserer Naturen“ hervor, den wir besonders in der gegenseitigen Wertung ihrer Schöpfungen durch die ausgewählten Stücke leichter erfassen können. Weiter seien die dankenswerten Anmerkungen des Herausgebers erwähnt, die auch für jedes de Jahre von 1794 bis 1805 kurze Hinweise auf die im Briefwechsel erwähnten Persönlichkeiten enthalten Leider hat der Herausgeber es unterlassen, nicht wenige aus dem Französischen von beiden Korrespondenten übernommene Ausdrücke richtigzustellen und in sinngemäßer Uebersetzung zu bringen.

Unser Weg ging hinauf. Hedwig Courths-Mahler und ihre Töchter als literarisches Phänomen. Von Walter Krieg. Privatdruck, Wien. 52 Seiten.

Dieser „Beitrag zur Theorie über den Erfolgsroman und zur Geschichte und Bibliographie des modernen Volkslesestoffes“, vorerst in 145 numerierten Exemplaren, später, der großen Nachfrage halber, nochmals (bei Krieg, Wien) aufgelegt, bildet in gewissem Sinne eine Ergänzung zu den an dieser Stelle („Furche“ X/4 vom 23. Jänner 1954) besprochenen „Materialien zu einer Geschichte der Bücherpreise“. Die bescheiden als „Beitrag“ bezeichnete Schrift weitet sich aber zu einer hintergründigen Geschichte der Leserpsychologie. Hedwig Courths-Mahler hat in ihrem Leben (1867 bis 1950) zwischen 1905 und 1948 mehr als 200 Romane '1920 allein vierzehn) verfaßt — Gesamtauflage 28 Millionen, die, ins Holländische, Französische, Spanische, Finnische, Tschechische und Ungarische übersetzt, bis 1920 eine Million Mark einbrachten. Die ältere Tochter Hedwigs, Margarete, nach ihrem Manne Karl Elzer verwitwet, begann 1921 zu schreiben; bis 1953 hat sie 54 Romane herausgebracht. 1922 folgte die zweite Tochter (Pseudonym Friede Birkner, verehelichte Stein), die 1940 Schreib- und Verkaufsverbot erhielt und 1942 aus politischen Gründen ins Gefängnis kam, neun Operationen mitmachte, lange auf Krücken ging und trotzdem bis Beginn 1954 insgesamt 71 Romane schrieb Diese drei sind keine Gegenwartserscheinung (siehe Vulpius zur Zeit Goethes) und keine deutsche allein (siehe heute Georges Simenon in Frankreich und Luciana Poverelli in Italien). Das „Phänomen“ ist letzthin stark soziologisch bedingt: die Sehnsucht des „kleinen Mannes“, das aufstrebende Bürgertum, die ihre Lage verbessernde Arbeiterschaft; aber wohl auch geschichtlich — die Flucht aus der furchtvollen Gegenwart. Eine Kulturgeschichte der letzten fünfzig Jahre, die noch aussteht, wird auf diese „literarischen Phänomene“ eingehen müssen und sich dabei gerne auf die fleißige Arbeit Kriegs, der eine Bibliographie bietet, stützen. Im einzelnen noch einige Ergänzungen: Bei Elzer, „Die Einsame“ („Das einsame Herz“), hatte Ewald & Co., Leipzig, das Copyright; von den „Marrecks“ ist 1933 eine „Neuauflage“ erschienen. Bei Birkner: 1927 sind noch die Romane „Entweder — oder“ und 1932 „Steppenteufel will Dame werden“ erschienen. Die Nr. 64 der Bibliographie, „Die vier Glückskinder“ (1952), ist 1925 als „Die vier Glückskinder vom Kleeblattschloß“ herausgekommen: bei Nr. 9 ist das Copyright 1928. Verlagsnummer 170, bei Nr. 7 ein Neudruck 1928, Verlaesnummer 270, erschienen.

Globen in Oesterreich. Coronelli-Weltbund der Globusfreunde. Wien IV. Gußhausstraße 20

Der von Dipl.-Ing. Robert Haardt ins Leben Berufene „C o r o n e 11 i - Weltbund der G'obus-freunde“ tritt bereits mit seiner dritten Publikation an die Oeffentlichkeit, die diesmal die „Liste alter

Globen in Oesterreich“ enthält. Es ist eine von Oesterreich ausgegangene Idee, einen Weltkatalog alter Globen, also solcher, die vor 1850 entstanden sind, zu schaffen und damit ein bisher stark vernachlässigt gewesenes Wissensgebiet zu beleben und auszugestalten. Das Wissen um die Globen trägt wesentlich dazu bei, nicht nur Schätze der Wissenschaft, sondern auch der Kunst zu erhalten. Die österreichische Liste umfaßt bisher 307 Globen, darunter als ältesten den Erdglobus Gemma Frisius (um 1 535) im Besitze Robert Haardts. Die Globen verteilen sich auf Stifte und Klöster, Museen, Archive und Bibliotheken sowie auf Privatbesitz. Sollte das Beispiel Oesterreichs, das seine Liste als erste vorlegt, rasch in anderen Ländern Nachahmung finden, kann damit gerechnet werden, daß bereits 1956 der erste Entwurf für den Weltkatalog fertiggestellt sein wird. „Der Globusfreund“, der das Gesamtgebiet der Globenkunde umfaßt und bearbeitet, muß als ein außerordentlich begrüßenswerter allgemeiner Bildungsbehelf bezeichnet werden und er trägt nicht wenig dazu bei, Oesterreichs wissenschaftlichen Ruf in der Welt zu heben.

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