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Das ist die “Wüste

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In unserem Wüstenaufenthalt kamen wir auch mit dem ununterworfenen Stamme der Mauretanier in Berührung. Sie tauchten aus der Tiefe der „verbotenen“ Landstriche auf, die wir auf unseren Flügen überquerten. Sie wagten sich zu den Befestigungen von Juby oder Cisneros, um Zuckerhüte und Tee zu kaufen; dann verschwanden sie wieder in ihrer geheimnisvollen Welt. Wir aber versuchten, einige von ihnen zu „zähmen“, wenn sie vorbeikamen.

Bekamen wir einen einflußreichen Häuptling zu fassen, luden wir ihn im Einverständnis mit der Leitung der Fluglinien in unser Flugzeug, um ihm die Welt zu zeigen. Es kam viel darauf an, diesen Leuten ihren aufgeblasenen Stolz auszutreiben. Sie töteten ihre Gefangenen mehr aus Verachtung als aus Haß. Wenn sie uns in der Nähe der Festungen begegneten, verwünschten sie uns nicht laut. Sie wandten sich vielmehr schweigend ab und spuckten aus. Dieser Stolz kam daher, daß sie sich für ungemein mächtig hielten. Mehr als einer von ihnen sagte mir in vollem Ernst, wenn er ein Heer von dreihundert Mann auf die Beine gebracht hatte: „Ihr könnt von Glück sagen, daß euer Frankreich mehr als hundert Tagesreisen von hier entfernt ist.“

So flogen wir sie denn spazieren, und es fügte sich, daß drei von ihnen sogar das ihnen unbekannte Frankreich besuchten. Sie waren vom Stamme derer, die ich einmal nach Senegal geflogen hatte und die dort weinten, als sie Bäume erblickten.

Als ich nachher die drei Frankreichfahrer in ihren Zelten besuchte, priesen sie die Revuetheater, in denen Frauen unter Blumen tanzten. Diese Menschen hatten ja nie einen Baum und nie eine Quelle, ja nicht einmal eine Blume gesehen. Nur aus dem Koran hatten sie erfahren, daß es Gärten gibt, in denen Bäche fließen. Denn so beschreibt dieser das Paradies. Aber man muß den Aufenthalt in diesem Park teuer genug durch einen bitteren Tod auf dem Sande erkaufen, den einem die Kugel eines Ungläubigen nach dreißig Jahren eines armseligen Lebens zufügt. Aber Gott betrügt seine Gläubigen; denn er gibt den Franzosen alle diese Schätze, ohne von ihnen die Gegenleistung zu verlangen, weder den bitteren Durst, noch den bitteren Tod. Das macht die alten Häuptlinge nachdenklich, es macht sie sogar bereit zu Geständnissen. Und so vertrauten sie mir eines Tages angesichts der Sahara, die sich einsam um ihr Zelt breitet und ihnen bis an ihr Lebensende so dürftige Genüsse spendet, ihr Bedenken an: „Weißt du, der Gott der Franzosen, der ist doch viel freigebiger für seine Franzosen als der Gott der Mauretanier für seine Mauretanier.“

Einige Wochen zuvor hatte man sie in Savoyen herumgeführt. Ihr Führer hatte sie zu einem kräftigen Wasserfall gebracht, der wie eine geflochtene Säule herabfiel und dumpf rauschte.

Er hatte sie aufgefordert zu kosten.

Und es war süßes Wasser gewesen. Wasserl Wie viele Tagesmärsche braucht man hier, um den nächsten Brunnen zu erreichen. Wie viele Stunden lang muß man dann den Sand herausschippen, der ihn überweht hatte, um zu einer schlammigen Masse mit einer deutlichen Beimischung von Kamelharn zu gelangen. Da heißt es: „Gib mir ein wenig Wasser!“ — „Ja, aber geh fein säuberlich damit um!“

In der Wüste ist Wasser sein Gewicht in Gold wert. Der kleinste Tropfen lockt aus dem Sande den grünen Funken eines Grashalms. Wenn es irgendwo geregnet hat, belebt eine wahre Völkerwanderung die Sahara. Die Stämme ziehen dreihundert Kilometer weit, um zur Stelle zu sein, wenn das Gras wächst. Dieses Wasser nun, das hier so karg ist, von dem in Port-Etienne in zehn Jahren kein Tropfen gefallen war, das kam dort dumpf rauchend geschossen, wie wenn die Wasservorräte der ganzen Welt aus einem lecken Speicher auszulaufen drohten.

Der Führer sagte: „Gehen wir weiter!“ Sie aber rührten sich nicht von der Stelle und baten nur: „Noch einen Augenblick!“

Weiter sprach keiner ein Wort. Stumm und ernst schauen sie dem Ablauf dieses erhebenden Schauspiels zu. Hier lief aus dem Bauch des Berges das Leben selbst, der heilige Lebensstoff. Der Ertrag einer Sekunde hätte ganze verschmachtende Karawanen zum Leben erweckt, die ohne ihn auf Nimmerwiedersehen in der unendlichen Weite der Salzseen und Luftspiegelungen dahingegangen waren. Hier zeigte sich Gott sichtbar. Unmöglich war es, einfach gleich weiterzugehen. Gott hatte die Schleusen seiner Macht geöffnet. Ehrfurchtsvoll, regungslos standen die drei vor dem Wunder.

„Weiter ist hier nichts zu sehen. Kommt!“

„Wir müssen warten!“

„Worauf denn?“

„Bis es aufhört.“

Sie wollten die Stunde erwarten, in der Gott seine Verschwendung leid tat! Denn

Gott ist geizig, er bereut schnell.

„Aber dieses Wasser läuft seit tausend Jahren!“

Während des Abends, den ich bei ihnen verbrachte, fiel kein Wort über den Wasserstrahl. Es gibt Wunder, von denen man besser schweigt. Man tut sogar besser daran, nicht viel an sie zu denken. Man versteht dann die Welt nicht mehr und könnte an Gott zweifeln: „Weißt du, der Gott der Franzosen ,..“

Ich durchschaue sie aber, meine wilden Freunde. Sie sind in ihrem Glauben erschüttert, sie haben ihren Halt verloren und sind bereit, sich zu unterwerfen. Sie träumen von der Gerste, mit der die französische Verwaltung sie versorgt, und von der Sicherheit, die ihnen die französischen Saharatruppen gewährleisten. Sie hätten durch die Unterwerfung auch viel gewonnen.

Aber sie sind alle drei vom Blute des El Mammun, Emirs der Trarsen. Ich habe ihn gekannt, als er sich der französischen Herrschaft fügte. Für seine Dienste war er zu öffentlichen Ehrungen gekommen, die Verwaltung erhöhte seinen Reichtum und alle Stämme achteten ihn. Nichts fehlte ihm an dem, was das Auge verlangen kann. Aber in der Nacht, ohne daß das leiseste Vorzeichen eine solche Tat ahnen ließ, ermordete er die Offiziere, die er auf einem Ritt durch die Wüste begleitete, nahm die Kamele und die Gewehre und flüchtete zu den nidrt-unterworfenen Stämmen.

Man verwendet gerne das Wort Verrat für solche plötzlichen Empörungen, für diese zugleich heldischen und verzweifelten Fluchtversuche, deren Urheber damit für alle Zukunft als Vogelfreier in die Wüste gebannt ist, wo sein kurzer Ruhm nur zu bald wie eine Rakete unter dem Feuer der fliegenden Schwadron von Atar verlöschen wird. Und man wundert sich über solche wahnsinnigen Streiche.

Und doch ist die Geschichte El Mam-inuns so vielen anderen Muslims widerfahren. Sie werden alt, und wer altert, beginnt zu grübeln. Da entdecken sie eines Abends, daß sie den Gott Mohammeds verraten und ihre Hand befleckt haben, als sie in die Hand der Christen einen Handel gelobten, bei dem sie alles verloren.

Was nützen nun Gerste und Frieden? Der alte Krieger, der zum Hirten geworden ist, erinnert sich, daß er einst eine Wüste bewohnte, in der jeder Dünenrücken kostbare Gefahren barg, wo man Wachtposten um die Lager aufstellen mußte, wo die Nachrichten von den Bewegungen der Feinde die Herzen um die nächtlichen Lagerfeuer höher schlagen ließen. Es kommt über ihn wie der Seegeruch, den niemand vergessen kann, der ihn einmal genossen hat.

Er vergleicht diese herrlichen Erinnerungen mit seinem neuen Leben: ruhmlos irrt er über eine friedliche Fläche, der jede höhere Weihe fehlt. Die Sahara ist für ihn nun erst zur Wüste geworden.

Das ist die Wüste, Ein Koran, nichts weiter als eine Spielregel, verwandelt ihren dürren Sand in ein Kaiserreidi. In ihren Tiefen, die sonst leer wären, rollt ein heimliches Schauspiel ab, das die menschlichen Leidenschaften wild aufwühlt. Das wahre Leben der Wüste sind nicht die Wanderungen der Völker, wenn sie ausziehen, etwas Weidegras zu suchen. Das wahre Leben ist eben jenes Spiel, das daneben gespielt wird.

Wie ungeheuerlich hat sich die Wüste seit ihrer Unterwerfung geändert! Es gebt ihr nicht anders wie allem Menschen-land. Angesichts dieser entzauberten Wüste denke ich an die Spiele meiner Kindheit, an den dunkeln und doch so leuchtenden Park, und an das Reich ohne Grenzen, das wir aus diesem Quadratkilometer niemals gänzlich durchforschten Landes schufen. Wir bildeten einen Kulturkreis für uns, in dem jeder Schritt seine Gesetze und jedes Ding seinen Sinn hatte, die sonst nirgends galten. Was bleibt aber von diesem Park der Kindheit mit seinen zauberhaften Schatten, wenn man als Mann unter anderen Gesetzen lebt? Kommt man dann wieder einmal in die Heimat zurück, geht man in einer Stimmung von Verzweiflung an der kleinen, grauen Steinmauer entlang und wundert sich, daß in einem so engen Raum das Gelände eingeschlossen sein kann, das einmal die Unendlichkeit war. Und schmerzlich muß man einsehen, daß man diese Unendlichkeit nie wieder finden wird. Es reicht nicht aus, wieder in den Park zu treten; man müßte in das Spiel selbst zurückfinden können.

Das Aufstandsgebiet besteht nicht mehr. Um Cap Juby, Cisneros, Puerto Cansado, Saget el Hamra, Dora und Simarra ist alles Geheimnis verschwunden. Die bunten Fernen, die wir ansteuerten, sind eine nach der anderen zur blassen Nähe geworden, so wie manche Insekten ihre Farben verlieren, wenn sie erst einmal in die warme Hand genommen werden. Und doch lebten wir nicht in eitler Verblendung, als wir ihnen zustrebten. Wir täuschten uns nicht, als wir ausgingen, sie zu entdecken.

Wir lebten vom Zauber des Sandes, andere werden Erdölquellen darin er-bohren und sich mit Handel bereichern. Aber sie kommen alle zu spät. Die verbotenen Palmenwälder, der niemals zuvor betretene Muschelsand haben uns ihr Bestes gegeben. Die Sahara hatte nur eine heilige Stunde der Erhebung zu verschenken, und wir haben sie erlebt.

Aus dem Buch: „Wind, Sand und Sterne“-deutsche Ubersetzung von Henrik Becke: ; Karl-Rauch-Verlag, Dessau.

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