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Das „Junge Amerika“

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Es ist nicht möglich, die junge Generation, die heute in Amerika in Dichtung, Literatur und Kunst heraufkommt, mit einem Namen, einem Schlagwort abzustempeln. Nicht deshalb, weil sie keinen einheitlichen Stil verkörpert, wie etwa noch die großen sozialen Romanciers, wie die Gcsellschaftskritiker der zwanziger und dreißiger Jahre. Vielleicht wird sich eines Tages herausstellen, daß die junge Generation nach 1945 mehr „Stil“ besitzt als so manche andere zuvor. Stil im Sinne eines sehr ernsten Strebens, in die innere Dimension des Menschen einzudringen, sie zur Aussage zu bringen, ohne dabei aufzugeben, wozu Amerikas große Tradition verpflichtet: die lebhafte Sorge um den anderen, die Verpflichtung zur Gesellschaft, die Bereitschaft, einzustehen für den Mitmenschen. Die Verpflichtung also auf das, was Amerika als „Demokratie“ gelebt und gedacht hat in seinen besten Repräsentanten. Auch diese junge Generation bekennt sich zu dem Grundwort: it can be done, „es kann geschafft werden“, versteht dieses aber in einem sehr wachen Sinne, der sich der ungeheuren Anforderungen und Schwierigkeiten bewußt ist, vor denen diese Generation, vor denen Amerika heute stehen. Gilt es doch, herauszutreten aus dem Binnenland eines großen selbstgenügsamen Kontinents und sich der Not der ganzen Welt zu stellen. Das

großartige Wort der amerikanischen Vätertradition und ihrer Demokratie, t o p a y t h e c o s t, die Bereitschaft zum Opfer für die Gemeinschaft freier Menschen in einer freien Welt, hat für diese Generation eine ganz neue konkrete Bedeutung gewonnen. Sie weiß, daß sie sehr viel lernen, sehr viel aufarbeiten muß, um den neuen Anforderungen gewachsen zu sein. So lernt diese Generation Indisch, Chinesisch und Japanisch, bemüht sich in ernstem Studk; um ein Ver-

ständnis der alten Hochkulturen Asiens. Daneben steht immer noch, in einem weiteren Sinne als für jene amerikanischen Dichter und Künstler, die um den ersten Weltkrieg nach Paris und Italien flohen, um sich der Maschinenwelt zu entziehen, Europa.

Europa als ein junger Kontinent, mit vielen neuen Erfahrungen der Aussage des Menschlichen in den Dimensionen der Kunst, der Poesie, der Dichtung. Die moderne französische und italienische Malerei und Skulptur, der Weltinnenraum in den Werken Kafkas, Brochs, aber auch der großen englischen metaphysischen Dichtung des Barocks und der europäisdien Romantik werden hier als Hilfsmittel verstanden, eigene Perspektiven zu erarbeiten. Perspektiven, die weit und die offen sind. „Offene Horizonte“, die es ermöglichen, wirklich alles in den Blick zu bekommen, was heute gesehen und übersehen werden muß, soll es wirklich zu human relations, zu menschenwürdigen Beziehungen in der Welt nach'dem zweiten Weltkrieg und mitten in der dritten industriellen Revolution kommen. ,

Mit dieser Bemerkung scheint ein Zug ins Private (manche europäische Beobachter haben bereits von einem „amerikanischen Biedermeier“ gesprochen), ins sehr Persönliche im Widerspruch zu stehen, der sehr häufig bei diesen jungen Menschen zu beobachten ist.

Dieser Zug darf aber nicht täuschen: diese jungen, sehr hellen Köpfe und Herzen (wir glauben, daß etwas von dieser wachen Menschlichkeit sichtbar wird auf den beiden Köpfen, die wir hier abbilden) sind illusionslos; sie verzichten bewußt auf Organisationen und Ideologien im Sinne von massenegoistischen Machtgebilden. Sie bemühen sich, die Person des Menschen zu pflegen, in sehr persönlichen Aussagen, die aber alle um sich sehen: auf das, was sich in der Umwelt be-

gibt, denn sie wissen, daß diese „Umwelt“ nur von innen her durchlichtet und gemeistert werden kann. Der Historiker und Dichter Peter Viereck (geboren 1916 in New York), der für sein Werk „Terror and Decorum“ 1949 den Pulitzer-Preis erhielt, darf als typisch für diese Generation von leidenschaftlichen Non-Konformisten stehen, die sich die neue Welt und die neuen Gesellschaften sehr genau ansehen wollen auf ihre Menschenwürdigkeit und Menschlichkeit. Sein Gedicht „Blindekuh“ beginnt: „Nachtwächter denken an das Morgengrau'n / Verkäufer sehnend an der Südsee Pracht / Der Dichter in New York denkt an des Ruhmes Macht / (Die lieben, denken an den Tod, sich leis' berührend / und fühlen freudig ihrer Liebe Leben).“ Adrienne Cecile Rieh, deren erstes Buch 1951 den charakteristischen Titel „A change of World“, „Eine Aende-rung der Welt“ trägt, und die 1952 ein Stipendium für Oxford erhielt (sie ist 1922 geboren), spricht das Verantwortungsbewußtsein dieser Generation schön aus in ihrem, von Gerda Moelders übersetzten Gedicht „Die Turmuhr“:

Die zeigerlose Uhr blickt blind vom Turm herab, verweigernd das Gebot, das ihr das Leben gab. Doch was vermöchte sie im Spiel der Zeit zu tun, wenn andrer Uhren Schlag wird künftig doch

nicht ruhn ?

Mag auch ein Körnchen Wahres in der Geste

liegen,

sie hält die Zeit nicht auf, ob sie sie auch verschwiegen.

So wenig auch bewahrt uns andrer Abseitsstehn davor, des Lebens Weg und Irrweg durchzugehn, im Kreis uns stets zu drehn, der uns gefangen

hält —

sei- es im Uhrenrund, sei's in dem Rund der Welt. *

Ganz „unpolitisch“ erscheint also, auf den ersten Blick, diese Dichtung. Und diese Generation. In Wirklichkeit ist sie jedoch „politischer“ und globaler als je eine Generation

zuvor. Diese eingefleischten Nonkonformisten, mißtrauisch gegen alle „Ideologien“, bilden bereits heute eine innere Resistance in Amerika, die die höchste Beachtung von Seiten Europas und der freien Welt verdient. Es wäre zuviel verlangt, von ihr bereits heute einen „Einfluß“ etwa auf Amerikas große Politik zu erwarten. Das hat noch keine junge Generation vermocht. Es braucht zudem seine Zeit, bis der Geist sosehr in den Vordergrund tritt, daß er Einfluß nehmen kann auf die Strukturen der Herrschaft. Dennoch kann diese junge Generation bereits heute nicht mehr übersehen werden, Ihre Besten sind nicht weniger gläubig als die Pilgerväter, nicht weniger kühn als die Pioniere, die westwärts zogen, und nicht weniger entschlossen, Demokratie als eine freie Gesellschaft freier Menschen zu bewahrheiten als die Väter der amerikanischen Verfassung.

Man spricht heute sehr viel von Amerikas Machtpolitik. Man sollte mehr von dieser jungen Generation sprechen, die sehr lebhaft bezeugt, wie stark Amerikas innere Kräfte sind. Wieviel Substanz ist in ihnen und wie weit sind Amerikas innere Räume! Das ist eine Tatsache, mit der alle anderen Männer und Mächte rechnen werden müssen, wenn sie wirklich Realpolitik treiben wollen.

Und noch eine, ebenfalls in ihrem Kern hochpolitische Tatsache, gibt die Existenz dieser jungen Generation zu unserem Bedenken auf: ein Großteil dieser jungen Amerikaner, die in Literatur, Kunst, Dichtung und Denken immer mehr in den Vordergrund treten, sind Abkömmlinge von Europäern, die erst vor wenigen Jahrzehnten, nach Amerika kamen. Sind selbst manchmal noch in Europa geboren worden. Die Assimilationskraft, das echte Vermögen Nordamerikas, sich auch sehr fremde Elemente einzuformen und nicht selten zu Repräsentanten eines eigenen Wesens zu schaffen, ist ungeheuer groß. Wahrhaftig der melting-pot, der Schmelztiegel eines neuen Menschen.

Keines schlechten Typos, wie die charakteristischen Köpfe hier zeigen.

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