6570200-1950_16_08.jpg
Digital In Arbeit

Das kleine Leken

Werbung
Werbung
Werbung

Gott läßt uns ja auch gewähren und schlecht und recht miteinander leben. Dann und wann leidet es einen nicht mehr in der Enge, er knotet den Goldklumpen seiner Einfalt in das Sacktuch und zieht davon, um draußen sein Glück zu machen. Die Einfalt wird er bald los, und was er dafür eingetauscht hat, auch, nach Jahr und Tag ist das ganze Muttererbe vertan und er muß doch wieder zurückkommen. Reicher ist er nicht geworden, glücklicher auch nicht.

So einer läuft dann eine Weile umher und weiß nichts Rechtes zu beginnen, ein Mensch voll Mißtrauen, ein verzagter Mensch. Aber das währt nicht lange, mit der Zeit wird er ruhiger, und was ist es den, was hat ihn getröstet? Daß die Dinge, die daheim auf ihn gewartet haben, so beständig in sich selber sind, so redlich und treu, das ist es. So viel Arges dieser Mensch in der Fremde gesehen haben mag, jetzt erst wird er gewahr, daß er das schlimmste aller Übel doch immer im eigenen Herzen bei sich trug, die Untreue. Nur den Treulosen läßt Gott wirklich fallen.

Nun begreift der Heimgekehrte, daß er auch so sein müsse, wahr in sich selbst und treu. Gleich hat er wieder Lust, sich ein wenig umzutun, er verliert das Zögernde in seinem Schritt, das Bittere um den Mund. Eine Werkstatt kann er aufmachen und zeigen, was er gelernt hat, er züchtet eine neue Art von Pflaumen, oder wenn ihn die Arbeit überhaupt verdrießt, dann denkt er nur nach, aber aus friedfertigem Gemüt, und läßt seine Gedanken in den Kalender setzen, auch das ist recht. Wenn der Werktag um ist, sitzt er beim Nachbarn vor dem Haus und hat seinen Feierabend mit ihm.

Das tut er um die Zeit der milden Abende im Frühsommer oder im Herbst, wenn die Arbeit auf den Feldern weniger drängt. Nichts ist köstlicher als diese Stunde, in der man Frieden mit sich selbst schließt. Jeder überdenkt noch einmal, was der Tag einbrachte, und wendet es um und um. Es war ja nichts Aufregendes, ein wenig Ärger, ein wenig Spaß, er legt es versöhnlich hinter sich. Laßt midi das noch sagen, Freunde, hört mir zu. Seht den Kirchplatz im verlöschenden Licht, laßt die Augen gemächlich in der Runde wandern und die Gedanken langsam nachfolgen. So sauber ist das alles, so aufgeräumt. Der Rauch steigt reinlich aus den Dächern und kräuselt sich in der stillen Luft, dann und wann, wie vom Himmel herab, weht einem ein würziger Geruch in die Nase, es riecht nach Käsesuppe und Sauerkraut.

Inzwischen geschieht auch allerlei auf dem Platz, aber eins nach dem andern, es überstürzt sich nichts. Jetzt treiben die Weiber das Vieh zum Brunnen, die Kühe saufen aus dem Trog, und dann stehen sie noch versonnen herum, das Wasser tropft aus ihren Mäulern und am andern Ende geschieht auch, was geschehen muß, aber das merken sie gar nicht, das ist schon viel zu entlegen für ihren Verstand.

Sosehr verliert man sich allmählich in diesem dämmrigen Schauen, daß einem ist, als hätten die Geschehnisse nicht mehr ihren gewöhnlichen, nüchternen Sinn, sondern einen ganz andern, geheimnisvollen. Gegenüber läuft ein Kind aus der Tür, es trägt einen Topf in beiden Händen, aber nun stolpert es über seinen langen Kittel und fällt hin und der Topf rollt davon.

Was soll nun daraus werden? Das Kind liegt da und schreit erbärmlich, kommt ihm niemand zu Hilfe? Doch, sein guter Engel schwebt unsichtbar herab und verscheucht den Bösen, der dem Kind ein Bein gestellt hat, er setzt es wieder zurecht und wischt ihm Sand und Tränen aus dem Gesicht — sei still, sagt der Engel. Das Kind hört aufmerksam an, was ihm ins Ohr geflüstert wird, dann holt es den Topf herbei und fängt an, kleine Steinchen darin zu sammeln.

So weit wäre also die Sache vortrefflich geschlichtet, wenn nicht jetzt die Mutter gelaufen käme und dem Kind den Topf wieder entrisse, weil sie es um Wasser zum Brunnen geschickt hat und nicht, damit es Straßendreck in ihren Hafen fülle. Das aber konnte wiederum der Engel nicht wissen, beleidigt schlägt er seine Flügel und hebt sich hinweg.

Unsereins zieht eine Lehre daraus. Wie dieses Kind, denkt man, bist du ja selber unterwegs mit deinem Topf in den Händen und meinst, du dürftest dich auf deine Weise trösten, wenn dich ein Unheil zu Fall gebracht hat. Aber das ist nicht so, zuletzt mußt du doch verrichten, was dir am Anfang aufgegeben wurde.

Mit der Weile dämmert es mehr und mehr. Stille sinkt vom Himmel herab, die Vögel schweigen auch und alle geschwätzige Kreatur. Es öffnet sich gleichsam das Tor der Nacht, damit die Stimme des Unvergänglichen wieder hörbar werde, ein letzter Nachhall des freudigen Schöpfungsgesanges, den Gott anstimmte, als er die Welt erschuf, Wasserrauschen, Windgeflüster aus Laub und Gras und vor allem jener unirdische Klang aus der Himmelstiefe, den wir mit Ohren nicht hören, nur als Widerhall in der eigenen Brust. Der Abendwind treibt sich noch ein wenig herum, wie ein eifriges Hündchen trägt er herbei, was er gefunden hat, einen erstickten Ruf, ein Gelächter vom Hügel herab, wo die Burschen unter den Stauden sitzen... Das gehört auch dazu, das ist immer so gewesen. Uns lockt es ja nicht mehr von den Bänken weg, es wäre zu mühsam, aber wir wissen noch, wie es tut, in solch einer Nacht unter den Hollerbüschen zu liegen ...

Für uns ist das vorüber, wie lange ist es vorbei? Ach, Kindheit und Jugend, traumschnell vergangen, und dann ein paar Jahre tätigen Lebens, und unversehens ist man schon unterwegs auf der letzten Straße ...

Nein, ich will nicht mehr klagen, daß es still geworden sei. Freilich darf man auch nicht träge auf dem Fleck verharren und sich durchaus selbst genügen, wie eine Muschel im Sumpf, so meine ich es nicht. Es ist wahr, daß man sich umsehen muß, wie das Fräulein meint, in der Welt, unter den Menschen, im tätigen Leben kurzum. Aber wenn einem der scharfe Wind um die Nase weht, soll man nicht meinen, es käme darauf an, selber Wind zu machen.

Wie weit reicht die Kraft eines Menschen wirklich? Fragt doch einen Mächtigen der Erde, aber fragt ihn am Ende seines Lebens, womit er vor den letzten Richter treten will, mit den glänzenden Taten, die ihm Ruhm einbrachten, oder mit den stillen Werken der Güte von Hand zu Hand, die ihm daneben so spärlich geraten sind. Denn wer Großes wagt, muß doch immer im Kleinen unrecht tun.

Mag es jeder deuten, wie er will, wahr ist doch, daß dem Menschen nicht Unsterblichkeit verheißen wurde, sondern das ewige Leben, wenn er guten Willens ist .

Möglich, daß ein Mensch auf diese Art zufrieden sein kann, ein älterer Mensch. Aber die Jugend, ist es nicht ihr Recht, nach dem Höchsten zu streben, nach fernen Zielen, die den Sinn des Daseins ausmachen, wenn man auch darüber zu oft das Nächste versäumt?

Ach, sage ich, schon unterwegs mit meinen Gedanken — laß die Menschheit, sei ein Mensch!

Aus dem Erzählungsband „Die Pfingstrelse'i mit Bewilligung des Otto-Müller-Verlages, Salzburg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung