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Das Kreuz in Polen

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Der schwere Schlag ist gefallen. Vorbereitet mit Präzision, mit geradezu wissenschaftlicher Berechnung und mit der psychologischen und politischen Erfahrung von drei Jahrzehnten eines unablässig vorgetriebenen Kampfes zur „Ausrottung religiöser Vorurteile“ im ganzen Bereich des Ostens. Die Gewalt, geübt gegen den Primas von Polen, steht als ein Wegmal in dem Strom jener Verfolgungen, Einkerkerungen, Verbannungen, Hinrichtungen, die nach der Säkularisierung der ostkirchlichen Orthodoxie durch den kommunistischen, über allen Mächten stehenden omnipotent thronenden Zwangsstaat darauf abzielen, die Stellung der katholischen Weltkirche an ihrem historischen, weit in den Machtbereich des Ostens vorgeschobenen Platz zu zerschlagen.

Es liegt nahe, angesichts der gegen den Kardinal Primas von Polen Erzbischof Stefan Wyszynski verübten Gewalt, sich an Kardinal Mindszenty zu erinnern und an das Schicksal des Prager Erzbischofs. Das Rezept ist erprobt: man schlägt den Hirten und zerstreut die Herde. Nach der Karpatho-Ukraine, nach Rumänien, nach Ungarn und nach der Tschechoslowakei ist also Polen an der Reihe. Die Nähe des Falles Mindszenty zeigt jedoch zugleich bereits nicht nur den Wandel der Methoden, sondern auch die innere Entfernung auf. Kardinal Mindszenty wurde hinweggenommen aus der Mitte eines volkhaften nationalen ungarischen Katholizismus, der, trotz großartiger Versuche der Arbeitermission und Gebildetenseelsorge, noch konservative, ja patriarchalische Züge trug, und dessen unbestreitbarer Führer, im Lande der Stephanskrone, eben der Primas von Ungarn war. So sehr nun auch, in ganz „Zwischeneuropa“, wie Oskar von Halecky diesen Raum zwischen Ost und West genannt hat, also auch in Polen, der Gesamtkatholizismus gewisse gemeinsame Züge bis zum heutigen Tag trägt, ruhend im Religiösen, auf einer alten Erbmasse vergangener Jahrhunderte, im Stil, der durch die Gegenreformation urid teilweise auch durch die josephinische Aufklärung und namentlich den Nationalismus des 19. Jahrhunderts geprägt wurde, so sehr muß man sich doch vor Augen halten, daß der Fall Polens — und der Fall seines Primas ist nur ein Teil dieses großen und schwierigen Komplexes — etwas Einzigartiges an sich hat. So einzigartig und so tragisch, wie die ganze Geschichte des polnischen Staates, der polnischen Kultur und des polnischen Volkes, als des kühnsten und gefähr-detsten Vorpostens der westeuropäischen Welt. Umbrandet von türkischen, tatarischen und deutschen Feindschaften, bildete Polen durch ein Jahrtausend einen gewissen Bannwald zwischen Ost und West, den lange Zeit nur seltene Lawinen und Springfluten, wie etwa die Mongolen, durchstießen und der doch immer wieder sich irgendwie aus den Muren und Durchschwemmungen erhob. Das mag als eine historische Reminiszenz angesehen werden. Ohne ein Wissen um das immer Prekäre des Versuches, so tief im Osten westlich zu leben, läßt sich Polen und sein jetziges Erlebnis nicht verstehen, nicht würdigen in seiner Eigenständigkeit, nicht werten in seiner Bedeutungsschwere. Es ist in der Gegenwart im wesentlichen bestätigt durch den Versuch, auf der Basis nationaler Einheit zu einem Vergleich zwischen Volksdemokratie und katholischer Kirche zu kommen, wobei die „Welt“ und die „Politik“ in weitgehendem Umfang dem „Staat“ überlassen werden sollen, in der sehr kühnen Hoffnung, dadurch das Geistliche und Religiöse der Kirche zu retten. Der Hirtenbrief des polnischen Episkopats vom 9. Februar 1953 mit dem Titel „Der polnische Klerus im Leben seiner eigenen Nation“ ist das bedeutendste offizielle Dokument dieses Versuches. Einige Leitsätze aus ihm mögen seine Perspektiven aufzeigen: „Die Geschichte lehrt uns, daß die Kirche immer tapfer die Schwelle der Jahrhunderte überschritten hat und in neue Epochen als ewig jung eingetreten ist, gleichend dem neugeborenen Christus, den neuen Zeiten das Heil Gottes bringend. Deshalb können wir, die Diener Christi und seines heiligen Volkes, uns die vollkommene Freiheit bewahren angesichts der neuen Zeiten, und ruhig und tapfer bleiben mitten in den neuen Lebensbedingungen, in denen es heute der Kirche aufgegeben ist, die Menschen zu Gott zu führen... Nichts kann uns dispensieren, diese Mission zu erfüllen, weder die neuen Zeiten noch die neuen Menschen noch auch die neuen Lebensbedingungen. Wenn wir anders dächten, würden wir die Sendung verleugnen, die der Kirche bis ans Ende der Zeiten anvertraut ist, wir würden einen Mangel an Glauben in die Heilkraft der Kirche bezeugen und würden ihren Einfluß in die Zukunft verringern.“ Dieser' Hirtenbrief mahnt dann den Klerus: „Man darf sich nicht damit vergnügen, zu kritisieren, zu polemisieren mit anderen Lehren, wenn das Volk noch gar nicht die Wahrheit kennt, die wir lehren sollen. Wir müssen also ankämpfen gegen unsere Neigungen, zu murren, zu provozieren, Anspielungen auf gewisse Dinge zu machen, denn das alles dient nicht der einfachen Verkündigung des Gotteswortes.“

Dieser Versuch eines Rückzuges auf die „rein religiösen Dinge“ brachte zunächst gewisse Vorteile ein: die katholische Universität Lublin mit ihren vier Fakultäten und 3500 Studenten konnte gehalten werden, in der sowjetisierten Armee gibt es immer noch, allerdings vom Staat bestimmte und kontrollierte Feldgeistliche; je weiter man sich zudem nach Westen bewegte — wir sprachen einen bekannten französischen Jesuiten, der noch vor wenigen Monaten eine Informationstour durch Polen machen konnte —, um so größer wurde eine gewisse Freiheit dr Kirche. In Wroclaw, im polonisierten Breslau also, gewährten, wie in allen „wiedergewonnenen“ schlesischen Gebieten, die volksdemokratischen Behörden dem katholischen Klerus und seiner Hierarchie besondere Freiheiten, weil man im Nationalismus der polnischen Katholiken einen unersetzbaren Verbündeten gegen die Deutschen und gegen den Westen sah. Als' Vermittlerstelle zwischen polnischer Kirche und der Volksdemokratie hatte sich eine Bewegung von Intellektuellen und „Reformkatholiken“ etabliert, die den Namen „PAX“ trägt, ein großes Verlagshaus besitzt und unter anderem die Wochenschrift „Dzis i jutro“ und die Tageszeitung „Slowo Powszechne“ herausgibt, daneben Bibel und religiöse • Bücher ediert. Die Prälaten und Priester und Laien dieser Bewegung stellen den äußersten Versuch des Entgegenkommens dar.

Das volksdemokratische Regime hat dieses Angebot auf seine We'.e verstanden: als eine Möglichkeit und eine Hilfe, um den polnischen Katholizismus von Rom zu lösen. Seine Absichten sind klar sichtbar auf die Errichtung einer schismatischen polnischen Nationalkirche gerichtet, wobei das staatliche „Büro für kirchliche Angelegenheiten“ sich bemüht, immer mehr „fortschrittliche“ Priester und Prälaten in verantwortliche kirchliche Stellen zu bringen.

Hier erhebt sich nun eine unüberwindliche Schranke. Die Führer der polnischen Kirche, deren Schicksal untrennbar verbunden ist mit dem des ganzen polnischen Volkes — hatten sie, angefangen von Stefan Wyszynski bis zu den polnischen Priestern, die das Hauptkontingent des katholischen Klerus in den Kerkern des Dritten Reiches stellten, nicht das ganze schwere Leid ihres Volkes redlich geteilt in all den vergangenen Jahren? Und hat nicht, der Primas voran, redlich das Seine im Ertragen und Dulden getan, um mit der hinterhältigen staatlichen Anwendung des „Modus vivendi1“ fertig zu werden? Stand der Primas nicht willig unter dem Versuch einer erträglichen Auseinandersetzung zwischen den ungeheuren Gegensätzen, dem heute gültigen System des Ostens und dem sittlichen Gesetz der restlichen Welt von der menschlichen Würde und religiösen Freiheit? Und dennoch: Verfolgung und Gewalt und staatliche Macht zur völligen Unterhöhlung des Vertragspartners, der Kirche! Hier konnte es nicht mehr um Absprache und Zuspruch gehen, sondern nur noch um Widerspruch.

Resistance! Widerstand unter dem Kreuz!

Aber gleichzeitig meldet sich aus der Mitte des polnischen Katholizismus eine Paradoxie der christlichen Existenz: Gleichzeitig werden dem schrecklichen Moloch, dem Regime, die Märtyrer und die Hand angeboten. Hier vollzieht sich ein wahrhaft erschütterndes Schauspiel, das wert ist, sich in seine Betrachtung zu versenken: Immer neue Verhandlungen, immer neue Bereitschaft zu einem „Kompromiß“, zu tausend Kompromissen. Und immer neue Märtyrer! So einfach liegen die Dinge natürlich nicht, daß da auf der einen Seite nur volksdemokratisierte, kominformierte Prälaten stünden, die eine Kirche in Polen dem bolschewistischen Staate übergäben, und auf der ganz anderen Seite die Zeugen und Blutzeugen, wie Bischof Kaczmarek und Kardinal Wyszynski. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die jetzt .erfolgte Wahl von Mon-signore Michael Klepacz zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz und die anschließende regimegenehme Erklärung der polnischen Bischöfe in der uns allen wohlbekannten Atmosphäre des Terrors und schärfsten Drucks zustande gekommen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß hier neue Riskcn, neue Gefährdungen für den ganzen polnischen Katholizismus eingegangen werden, weil man den Versuch macht, zu retten, was eben noch zu retten ist, und dies bei einem politischen Kurs, der immer stärker zur vollständigen Entmachtung der Kirche in Polen führen muß. Das Schandmal des Verrates ist hier ganz nahe und drängt sich vor das andere, das heilige Schandmal, das alle „Kompromisse“ und Absprachen dieser Welt überleuchtet: das Kreuz Christi. — Das Kreuz der Menschen scheint hier das Kreuz Christi zu verdrängen. Deshalb tut es not, daß Zeugen für jenes Kreuz aufstehen. Sanguis martyrum, semen christianorum. Das Blut der Märtyrer ist der Samen neuer Christen. So war es in der frühchristlichen Zeit, so ist es heute. Wie seltsam aber war es schon damals: zu den Geschundenen, aus der Verbannung am Pontus, aus den Erzgruben und von den Folterstätten heimkehrenden Blutzeugen traten allenthalben die „anderen“, die daheim geblieben, die abgefallen waren, die abgeschworen hatten. Und brachten, unbewußte Diener des ewigen Heilsplanes, die geretteten Iteiligen Bücher und Kultgeräte mit.

Das polnische Experiment wird weitergehen. Mit seinen beiden Kreuzen: mit dem Kreuz weiterer Kompromisse und mit dem Kreuz eines heroischen Widerstandes, der das Zeichen des lebendigen Gottes den Gebildeten und Ungebildeten unter seinen Verächtern entgegenhält; gleichermaßen den kämpferischen Atheisten des Ostens und den lauen „Christen“ des Westens. In diesem Sinne zielt die Mahnung des Falles Wyszynski an alle Christen weiter, als je die Schergen und Schelter die Person des Primas von Polen „treffen“ und versehren können.

An uns aber ist es, zu protestieren vor aller Welt gegen die schändliche Gewalt und das Herz zu erheben für die Führer und Blutzeugen des schwerbedrängten katholischen Volkes Polens, dessen Vorfahren vor 270 Jahren durch die Befreiung Wiens Europa und seine Christenheit der Uebermachtung durch den Osten entrissen haben.

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