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Das Lachen in der Sowjetunion

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Eine Moskauer Studentin wurde mir einmal von ihrer Kollegin als „chocho-tunja“, als eine Person, die gerne lacht, vorgestellt. Und da entsann ich mich an manche „Berichte“ aus dem Osten, nach denen die Russen angeblich das Lachen verlernt haben. Vor mir stand jedenfalls ein lachendes, fröhliches, junges Ding, welches mit Neugier und mit dem den jungen Menschen der ganzen Welt eigentümlichen Lachen um des Lachens willen mich und die Welt betrachtete.

Das Lachen ist wohl der treueste Begleiter des Sowjetbürgers durch alle Peripetien des Sowjetlebens. Man lacht dort über Witze, deren Thematik genauso mannigfaltig ist wie die der Witze in unseren Breiten. Wenn vor der Revolution Popen, Juden und Offiziere die Hauptquellen für Witze abgaben, wurden sie nun von Armeniern, Schiebern und Politikern abgelöst. Dabei kommt es auf das gleiche hinaus, wenn im Zeitalter der Technik „der Armenische Rundfunk“ oder „Radio Eriwan“ als Zentralfigur agiert. Der Witz wird nämlich in dieser Serie immer nach einem bestimmten Schema angelegt. So bekommt der Armenische Rundfunk eine Frage vorgelegt und gibt prompt darauf eine Antwort, in deren Phrasierung die Pointe des Witzes liegt, etwa so: Der Armenische Rundfunk wird gefragt, warum zwischen 10 und 11 Uhr nicht gesendet wird. Der Armenische Rundfunk antwortet (immer im positiven Sinnl):Es wird gesendet, es handelt sich jedoch um die Sendung für die Taubstummen.“ Natürlich sind nicht alle „Fragen“ so harmlos und nicht alle „Antworten“ so naiv-eindeutig, wie folgendes Beispiel beweist. Die Frage „Kann das Unerfüllbare erfüllt werden?“ beantwortet der Armenische Rundfunk folgendermaßen: „Das ist eine Frage, die in den Kompetenzbereich der Landwirtschaft fällt und die daher von uns nicht beantwortet wird.“ Gemeint sind freilich mit dem „Unerfüllbaren“ die Landwirtschaftspläne der Regierung. Auf die Frage, ob man in Armenien den Kommunismus einführen könne, antwortet Radio Eriwan: „Ja, aber lieber in Georgien.“ Die Armenier, wie alle Nachbarn der Welt, mögen ihre Nachbarn, in diesem Falle die Georgier, nicht. Auf die Frage, ob eine Laus Kommunist werden könne, wird auch positiv geantwortet: „Ja, denn in ihren Adern fließt das Blut von Arbeitern und Bauern.“ In die gleiche Kerbe schlägt auch die Antwort auf die Frage, ob man auch in einem kapitalistischen Land die Industrie verstaatlichen könne: „Freilich, Herr Diplomingenieur, aber es wäre schade um die Industrie.“ Da es durchaus möglich ist, daß diese Zeilen auch von Damen gelesen werden, muß ich mir in der Anführung weiterer Beispiele Zügel anlegen.

Der Witz schlängelt sich durch das ganze Leben, durch den Alltag und fixiert historische Ereignisse. Wir lachten sogar in den grauenhaften Jahren 1938 und 1939, schreibt Ehrenburg in seinen Erinnerungen. Die Geldentwertung im Jahre 1947 löste eine Flut von Witzen aus. Im Kaufladen: „Was haben Sie noch zu verkaufen?“ fragte eine kaufwütige Dame. — „Nichts. Die Regale sind leer.“ — „Gut, dann pak-ken Sie mir die Regale ein.“ — Oder: Auf der Straße erlebt man plötzlich eine Menschenjagd: „Haltet ihn! Haltet ihn!“ ruft ein Passant. Endlich wird der Schreier von einem Milizsoldaten gefragt: „Was hat er Ihnen getan? Ist es ein Mörder, ein Räuber?“ — „Aber nein, woher denn, ich will ihm nur meine Schulden zurückzahlen ...“ Und aus einem anderen Zyklus: „Daß Genosse Iwanow den Titel einer Helden-m u 11 e r erhalten hat, gilt in der Sowjetunion als eine Höchstleistung auf dem Gebiete des Protektionismus.“ Zu diesem Thema wurden Witze und Schlagerlieder schon in den ersten Tagen der Revolution erzählt und gesungen:„Mein Liebster ist ganz ein Feiner, Ist mit dem Chauffeur von Lenin befreundet...“ Das Lied setzt weiter fort: „Jetzt kann man es sich endlich leisten, auf den Grafen Tolstoj und seine Heldin Anna Karenina zu pfeifen...“ In jener Zeit lachte ganz Rußland über herrliche Geschichten von den Empfängen im Kreml, über Bälle in den Zarenpalästen, bei denen das Publikum aus den Nachtasylelementen rekrutiert wurde, die sich bemühten, die bereits verschwundenen Herrschaften nachzuahmen.

In den zwanziger und dreißiger Jahren lieferte die Literatur Werke, welche durch ihren Humor Weltruhm erreicht haben. Die Namen des Erzählers Sostschenko und die Autoren des Romans „Die zwölf Stühle“, IIf und Petrow, sind weltbekannt. Interessant ist, daß sogar in der Zeit des zweiten Weltkrieges, also in der Zeit, in der den Russen tatsächlich das Lachen hätte vergehen können, eines der besten und humorvollsten Werke der russischen Literatur entstanden ist: „Wasilij Tjorkin“ von Alexander Twar-dowskij, ein Werk, welches aus einer

Vielzahl kleiner Geschichten zusammengestellt ist: Erlebnisse eines russischen Soldaten während des Krieges, Geschichten, welche während des Krieges geschrieben, in der Tagespresse abgedruckt und von Millionen Russen in diesem Hexensabbat des zweiten Weltkrieges gelesen und belacht wurden.

Die Sowjets haben es aber fertiggebracht, auch aus dem Lachen ein Politikum zu machen. Sie sind zwar nicht die ersten, die Humor und Satire in den Dienst der Politik gestellt haben. Sie haben aber in mancher Beziehung alle übertroffen, denn sie haben das physiologische Moment sich nicht ohne Erfolg dienstbar gemacht, so etwa, wie das Lachen und das Lächeln eines Filmstars der Reklame dienen muß. Am 29. Oktober 1954 — dieses Datum sollte sich ein Kulturhistoriker besonders gut merken — erschien nämlich in der Zeitung „Prawda“ ein sonderbares Gedicht von Konstantin Simonow, einem bekannten sowjetischen Dichter. Das Gedicht trägt den Titel „Ulybka“ („Das Lächeln“), in dem unzweideutig verlangt wird, daß die Politiker und „Vorgesetzten“ endlich sich abgewöhnen sollten, finstere Amtsmienen zu machen und die Menschen so freundlich ansehen müßten, wie sie an Sonntagen gestimmt sind, wenn sie beim Fischen ihre Beute anlächeln. Das Gedicht hätte keine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt, wenn nicht genau neun Tage später, am 8. November 1954, die ganze damalige Sowjetprominenz am Tage der Oktoberrevolution sich im Lenin-Stalin-Mausoleum versammelt hätte und wenn nicht die Photographen das für die damalige Zeit einmalige Bild der lachenden Sowjetführer (manche lachten noch etwas ungewohnt und verlegen) der Mitwelt präsentiert hätten.

Das anerkannte Organ des sowjetischen Humors ist die oft zitierte Zeitschrift „Krokodil“. Die Russen haben das tiefsinnige Wort „smech skowzj sljözy“ geprägt, was oft mit „Galgenhumor“ oder mit „Lachen durch Tränen“ übersetzt wird, besser wäre es vielleicht zu übersetzen als ein Lachen, bei dem einem das Weinen näher ist. Und eben dieses Gefühl weckt die satirische Zeitschrift Krokodil, welche übrigens einem Menschen, welcher sich für die Zeitgeschichte interessiert, viel mehr zu sagen hat als einem Menschen, welcher seine Lachmuskeln .betätigen möchte. Für solche Menschen ist Krokodil genauso reizlos wie ähnliche Werke in anderen Sprachen und Erdteilen. Neben lokalen Säuberungsaktionen, deren Thematik die menschliche Unvollkommenheit, Schwäche, Unehrlichkeit, Dummheit und sonstige rein menschliche Angelegenheiten streift, sind die Hauptthemen des Sowjetlebens leicht herauszulesen. Etwa die Erntelieferungen, Maispropaganda, die Halbstarken als Schreck für Eltern, welche ihre Kinder nicht erzielen können, usw.

Nicht uninteressant sind die politischen Karrikaturen. In der letzten Zeit dominieren Adenauer und de Gaulle, wogegen Kennedy jetzt außer Kurs geraten ist. Hier und da befaßt sich „Krokodil“ mit Vorwürfen, die um das Thema Religion kreisen. In dieser Hinsicht ist gerade die Nummer vom 20. Juli 1962 besonders auffallend und stellt ein absolutes Novum dar, da sie sich fast ausschließlich mit religiöser Thematik, und zwar von allen mögliehen Gesichtspunkten aus, befaßt. Zu sehen sind: eine betende, elegante, junge Dame, ein Beamter, der von den Engeln in den Himmel befördert wird,, und rwar wegen eines schlechten atheistischen Vortrags, dann noch ein Rubelanbeter, ein höherer Beamter, der seinen Sprößling geheim bei Nacht (anscheinend eine Sitte, die sich eingebürgert hat!) taufen läßt, und ein Pope, der einen Kolchoseklub in seinem „religiösen Nets“ einfängt.

Freilich sind solche „Witze“ in unseren Augen, ja wahrscheinlich auch in den Augen von manchen Sowjetbürgern keine Witze.

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