6709679-1964_14_16.jpg
Digital In Arbeit

Das Lagerfeuer ist erloschen

Werbung
Werbung
Werbung

SORGEN HABEN DIE POLITISCHEN Parteien des Landes. Nachwuchssorgen. Die Jugend, heißt es, sei kaum für Politik zu interessieren. Die Entscheidung der Jungwähler ist für die Parteisekretariate vor Wahltagen die unbekannte Größe.

Woran mag das liegen? Die Jugendorganisationen der Parteien — vor dem Jahr 1934 Nachwuchs-reservoir und Kader für Funktionäre — scheinen heute keineswegs mehr die Attraktivität vergangener

Jahre aufzuweisen. Auch die Mitgliederzahlen sind zurückgegangen. Sicherlich, auch der politische Stil der sechziger Jahre hat sich gewandelt. Die Jugendbewegungen der Parteien haben eine andere Rolle übernommen.

Grünes Hemd, blaues oder graues Hemd, Fahnen, Trommeln — das alles paßt schlecht in die Realität von 1964. Die Jugend sammelt sich nicht mehr im Heim, um das Lagerfeuer, auf Fahrt. Das haben die Parteistrategen bereits erkannt: Klubs, Ausflüge. Tanz, Tischtennis — Lockmittel, um an der Politik zu interessieren; Politik, gefällig verpackt.

DOCH AUCH DAS SCHEINT KEIN Allheilmittel zu sein. „Es genügt nicht, einen Keller herzurichten und ,Jugendklub' an die Tür zu schreiben. Das allein ist keine Lösung des Problems Freizeit. Die Grundidee, welche die Gründer der verschiedenen Klubs bewegt, ist allerdings ganz in Ordnung: Wir wollen gemeinsam unsere Freizeit verbringen und womöglich auch sinnvoll. Wir wollen uns unterhalten, entspannen, aber auch miteinander über Fragen und Probleme, die uns bewegen, nachdenken und sprechen. Zwanzig Köpfe sind vielseitiger und leistungsfähiger als einer allein. Das ist klar und in der Theorie auch sehr schön. Leider nicht immer in der Praxis.“ Dieses Unbehagen drückt sich in der jüngsten Nummer des ..ausblick“, des Organs der Österreichischen Jugendbewegung Junge Generation in der Volkspartei, deutlich und unüberhörbar aus.

„Laut Beschluß des 4. Bundestages der Österreichischen Jugendbewegung am 23. und 24. Mai 1953 in Gmunden (Oberösterreieh) wurde dieses Organisationsstarut genehmigt.“ Die schmale grüne Broschüre wirkt ein wenig vergilbt. Ungefähr 35.000 Mitglieder zählt die Jugendbewegung der

Österreichischen Volkspartei, über deren Aufgaben das Statut im Paragraph 7 sagt: „Die Österreichische Jugendbewegung ist die Jugendorganisation der ÖVP. Sie hat die Aufgabe, die in ihr erfaßte Jugend gemäß dem Erziehungsprogramm der ÖVP zu betreuen. Sie hat diese heranwachsende Generation zu Gottesfurcht, Grundsatztreue und Vaterlandsliebe zu erziehen und — den Altersstufen angepaßt — planmäßig mit den Ideen der ÖVP vertraut zu machen.

Sie hat auch für die körperliche Ertüchtigung wohlgeordnete Maßnahmen zu treffen und vorzukehren.“

AUCH DIE FORMULIERUNG DES TEXTES wirkt vergilbt. Doch

dies täuscht. In den letzten vier Jahren gelang es der Bundesführung, den Anschlußzug an die Zukunft nicht zu verpassen. Die Situation bei der Amtsübernahme war freilich trist: Das Bundessekretariat war mehrere Monate hindurch geschlossen gewesen, und

der Kontakt mit den verschiedensten Dienststellen und Organisationen war zum Großteil abgerissen. Berge überfälliger Post mußten dringend erledigt werden, die Bank und Postsparkassenverbindungen waren zu regeln, eine übersichtliche Buchhaltung anzulegen, und eine geordnete Organisationstätigkeit in vorerst kleinstem Rahmen mußte begonnen werden. Heute stellt sich die Österreichische Jugendbewegung in durchaus ansehnlicher Form dar. Zehn Arbeitskreise beschäftigen sich mit den verschiedensten Problemen, die modern aufgemachte Vierteljahreszeitung „ausblick“ erscheint in einer Auflage von 15.000 Stück, die weitgehende Verbreitung findet.

In der Kärntner Straße setzt man auf die Geheimwaffe „Jugendparlament“. Von diesen Aktionen der lebendigen Demokratie erwartet man sich auch in Zukunft sehr viel, haben doch diese Veranstaltungen zum Verständnis für den Standpunkt der Österreichischen Volkspartei viel beigetragen. Auch Kurse in Wartholz und im Europahaus Babenberg am Semmering dienen politischer Schulung.

Das Lagerfeuer freilich ist in der österreichischen Jugendbewegung am Verglimmen.

„POLITIK WIRD VERPACKT“, sagt man auch in der Wiener Löwelstraße. Die sozialistischen Parteistrategen stellen nämlich nicht ohne Besorgnis ein wachsendes Desinteresse an der Politik fest. Die Stärke der Sozialistischen Jugend hat abgenommen, die Zahl der Mitglieder ist gegenüber der Vorkriegszeit um zwei Drittel zurückgegangen. So beträgt die Gesamtzahl aller in der sozialistischen Jugend, dem Verband Sozialistischer Mittelschüler und anderen Organisationen — der Naturfreund ejugend etwa — vereinigten Jugendlichen ungefähr 43.000.

Ziele der sozialistischen Jugend sind die Erfassung, die Schulung und die Interessenvertretung der jungen Menschen. Doch auch dies ist heute in den ehrwürdigen Traditionen von Hainfeld nicht mehr möglich. War einst das Heim Mittelpunkt, Zentrum politischer Ausbildung, Sammlungsort klassenbewußter Jugend, so geht man

heute in der Löwelstraße neue Wege.

Jazzkonzerte, Tanzparties, Schlagerparaden — zweifellos Anziehungspunkte für die Jugendlichen. Und in diesem Zuckerlpapier verpackt Politik. In kleinen Dosen. Um niemanden abzu-

schrecken. Dieser „Fliegenfänger für Jungwähler“ ist die „Junge Generation“, eine bereits bewährte Institution, die eine Ergänzung der traditionellen Jugendgruppen sein soll.

DER KLUBBETRIEB IST ALLERDINGS nicht Ziel der sozialistischen Jugendarbeit. Weniger vor den Augen der Öffentlichkeit, weniger spektakulär wird ernste Arbeit geleistet. Der Verband Sozialistischer Mittelschüler etwa — zu dessen Gründern übrigens auch Bundespräsident Doktor Adolf Schärf zählt — widmet von seinen vier monatlichen Heimabenden zwei der Politik, einen der Wissenschaft und nur einen der Unterhaltung. Der Ruf politischen Radikalismus, der dem Mittelschülerverband, vor allem aber seiner Zeitung, „Rote Tafel“, anhängt, mag wohl zu einem guten Teil darin begründet sein.

Das politische Engagement in der Jugendbewegung ist freilich größer als in der Partei. Wer Mitglied ist, nimmt an den Veranstaltungen teil. Beitragszahler um des Mitgliedsbuches willen gibt es nicht.

Die Forderungen der Sozialistischen Jugend unterscheiden sich im

allgemeinen nicht von denen anderer Jugendorganisationen. Punkt 1 ist auch hier die Lösung der Wohnungsfrage. Doch die Frage einer Wehrdienstverkürzung spielt eine große Rolle, ein Thema, über dessen Ablehnung es in der Österreichischen Jugendbewegung keine Diskussion gibt.

Auch Österreichs Jungsozialisten wandern nicht mehr singend und blaubehemdet durch das Land. Politische Arbeit oder Klub — eine Frage, die alte Formen der Jugendbewegung ins Museum verweist.

HAUPTANLIEGEN DES RINGES FREIHEITLICHER Jugend ist die Aufnahme in den Bundesjugendring. Denn damit ist ein Anteil vom Kuchen des Bundesjugendplanes verbunden. Zweimal schon wurde das Aufnahmeansuchen abgelehnt. Einstimmig, bei zwei Enthaltungen. Findige Jungfreiheitliche glauben, die Enthaltungen Vertretern zweier den Koalitionsparteien am nächsten stehenden Jugendbewegungen zuschreiben zu können...

Das fehlende Kuchenstück bedeutet für die Freiheitlichen keine geringen Opfer, müssen doch 90 Prozent der Kosten der Jugendorganisation von der Partei getragen werden, da das Aufkommen der Beiträge aus dem Nachwuchs viel zu gering ist.

Österreichs Jungfreiheitliche — mit der Untergruppe Jungvolk — sind in 88 Gruppen über ganz Österreich verstreut. Die 412 Wiener Mitglieder scheinen die aktivste Gruppe darzustellen. Eine ganze Reihe von Anregungen geht von Wien aus, darunter die Vorarbeiten zu einem neuen Grundsatzprogramm.

Das Programm ist im wesentlichen dem der anderen Parteien ähnlich, doch steht die Vermittlung nationalfreiheitlichen Gedankengutes im Vordergrund.

Auch die Freiheitlichen können auf das Klubsystem nicht verzichten, doch scheint das Lagerfeuer — zumindest beim Jungvolk — noch zu glimmen.

DREI JUGENDGRUPPEN DREIER im Parlament vertretener Parteien. Drei Jugendgruppen auf der Suche nach einem Weg, der altes mit Neuem verbinden soll. Es scheint, als tappten alle drei noch suchend umher. Wird der eingeschlagene Weg der richtige sein? Kann das Interesse der künftigen Staatsbürger an der Politik wieder geweckt werden? Wir werden die Antwort auf diese Fragen alle noch erleben. Das Zelt aber ist abgebrochen, das Lagerfeuer ist erloschen. Opfer der Politik?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung